Kete Parsenow

 

Die Venus von Siam ist die Kete Parsenow. Feingebogene Dolche sind ihre Augen, wie die der Göttinnen in goldenen Tempeln.

Peter Altenberg gab vor einigen Jahren eine Zeitschrift heraus, auf jeder Seite stand »sie« in blonden Farben. Die Kete Parsenow spielte damals in Wien am Theater; nun wird sie hier spielen, und doch sollte solche Schönheit verborgen bleiben, im heiligen Haus zwischen geopferten, schweigenden Blumen. Im Sommer begeisterte sie hier als Ophelia die Zuhörer. Blutschwarz sank Hamlets Kopf in den Schnee ihres Schoßes. Immer wird sie die Jungfrau der Schauspielerinnen bleiben; sie ist unbetastete Skulptur. Einmal legte sich vor ihr nieder eine weiße Steppenhündin und wurde ihr ähnlich. Als sie vom Strauch eine Rose pflückte, blühte die höher in ihrer Hand. Sie ist selbst ein Wunder. In der Frau vom Meere erschrak sie vor dem Überschwang ihres Herzens. Und Ibsen, was hätte er gesagt, wenn er der Kete Parsenow begegnet wäre, seiner Generalstochter Hedda Gabler. Kete Parsenow ist sich ebenbürtig, sie ist ebenso schön wie großherzig. Elfenbein ist ihre Haut; immer singt ihr Gesicht. Einmal wurden die Sicheln der Venus zu Monden, als sie böse war. Ich sah die Venus von Siam lächeln, ich sah die Venus von Siam sterben.

 

 

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Essays von Else Lasker-Schüler. Mit einer Einbandzeichnung der Verfasserin. Verlegt bei Paul Cassirer in Berlin 1920

Weiterführend → Lesen Sie auch KUNOs Hommage an die Gattung des Essays.