Es gibt Alben, bei denen man sich nach mehrmaligem Anhören fragt, warum darauf noch niemand gekommen ist. Die Violent Femmes kamen zu Beginn der 1980-er Jahre auf die Idee Folk und Schrammel-Punk zu verbinden. Das Rezept ist denkbar einfach, schäbige Instrumentierung trifft auf die boshaft witzige Texte.
Let me go on, like I blister in the sun / Let me go on, big hands I know you’re the one.
Die Band wurde 1981 von Gordon Gano (Gesang, Gitarre, Banjo), Brian Ritchie (Gesang, Akustik- und E-Bassgitarre) und Victor DeLorenzo (Schlagzeug) in Milwaukee gegründet. Ritchie spielte in einer Band namens Ruthless Acoustics, der zuvor schon DeLorenzo angehört hatte und über den Ritchie als Musikjournalist schon sehr lobende Worte gefunden hatte. In einer Bar namens Harp lernten sie sich schließlich kennen und stellten gemeinsame musikalische Vorlieben fest.
Why can’t I get just one fuck / I guess it’s got something to do with luck
Der widersprüchliche Bandname entstand aus einer Idee Ritchies: Aus violent, einem englischen Adjektiv für „brutal“ und dem Begriff femme (franz. „Frau“), der im Jargon von Milwaukee „Weichei“ bedeutete. Von einem Theaterbesitzer wurde Ritchie Gano empfohlen, ein „zu klein geratener Lou Reed-Imitator.“ Sie trafen sich bei Auftritten des jeweils anderen, und spielten spontan miteinander, ihr erstes gemeinsames Konzert improvisierten sie als Gordon Gano and the Violent Femmes plus Curtis. Der Legende nach hat Chrissie Hynde die Band bei einem Straßenkonzert vor dem Milwaukee Oriental Theatre entdeckten und lud sie spontan als Vorband zu ihrem ausverkauften Konzert ein. Kurz darauf unterschrieben sie bei Slash Records und veröffentlichten 1983 ihr Debüt. Polka trifft auf Punk und möglicherweise war es Gordon Gano, der den Gitarren-Schrammelpunk erfunden hat.
I’m gonna get her drunk / I’m gonna make her cry / I’m gonna get her high
Das Debüt lässt sich als Blaupause für zahlreiche Indie-Bands hören. Auch wenn die Adepten das leicht Eiernde, über das Gano nölt und seinen Gesang auf eigene Art ins Micro nuschelt. Jeder Song ein wildes, unberechenbares Mini-Drama, auch mit Abstand fasziniert das frustrierte und doch so dynamische Kiss off mit den Yeah-Yeahs und der grandiose Ohrwurm Gone daddy gone, der mit dem das durchgedrehten Xylophon. Nicht zu vergessen Good feeling, das bezaubernde, streicherselige Finale der ursprünglichen Albumfassung. Dazu der eigenwillige Bass und das nebenherhoppelnde Schlagzeug und ab und an ist eine umgedrehte Metallwanne. Vor allem aber ist es der Melodienreichtum, den die Violent Femmes nie wieder so gut hinbekommen haben. Und mit Blister in the sun findet sich auf diesen Debüt ein unverwüstlicher Gassenhauer.
Es gibt Alben, die altern nicht, wir sind es, die graue Haare bekommen haben.
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Violent Femmes, 1983
Weiterführend → Punk ist eine Cover-Version des Rock’n‘Roll, der Style und die Haltung sind ebenso wichtig wie die Musik. Wir verorten auf KUNO die erste Punk-LP mit dem Bananenalbum. Oder war es doch eher der Garagenrock? – Lässt sich von MC Five (Motor City Five) oder den Stooges der verschwitzte Proto-Punk der New Yorker Proll-Combo ableiten? Oder hatte der testosterongesteuerte Punk gar eine Ur-Mutter? Würden das die Nerds unter den Musik-Kritikastern überhaupt zugeben? – Der Titeltrack des Albums ist der mit Abstand spektakulärste und zeitloseste Titel des Album. Bis heute ist Blank Generation der Song, der wohl größer ist, als die Band, die ihn produziert hat. Dies ist das beste Album, das die Buzzcocks nie gemacht haben. Kaum ein Song beschreibt den beginnenden britischen Punk besser als „Oh Bondage Up Yours!“. Es ist ein Zeichen von Chuzpe, wenn sich eine von Männern dominierte Szene, eine Combo von Frauen The Slits nennt. Waren die Pistols die erste Boy-Group? Johnny Rotten predigte Anarchie, The Pop Group praktizierte sie. PiL has his future in a British Steel. Klingt die Trostlosigkeit des Rust Belt nach Punk oder Industrial Folk? Eine weitere Seitenbemerkung über den Industrial-Punk der Nine Inch Nails aus Cleveland, Ohio. Tuxedomoon entwickelten einen experimentellen Sound, der seltsamer war als der ihrer Zeitgenossen aus den 80ern, indem er Jazz und hypnotisierende Elektronik auf eine Art und Weise einbezog, sie spielten einen hypnotischen Synth-Punk. Eine Würdigung der südafrikanischen Tekkno-Punks Die Antwoord. – Gegen Fresh Fruit for Rotting Vegetables hört sich alles andere wie Pop an. Retten kann uns die Schönheit der Tenorstimme des Punk. Zu Monarchie und Alltag gibt es einen Bericht zur Lage der Detonation. – Polka trifft auf Punk und möglicherweise waren es die Violent Femmes, die den Gitarren-Schrammelpunk erfunden haben. Weitere ungelöste Fragen: Stellen die The Ruts mit einem Album das Lebenswerk von The Clash in den Schatten? Wann hört der Substance von Punk auf? Wann beginnt der Post-Punk? Ist das bereits New Wave? Oder stellt Polyrythmik den Höhepunkt dar? Die Alben von Wire stellen in beeindruckender Weise dar, was aus Punk eigentlich hätte werden können.