Der zivilisierte Mensch gibt sich gerne den Anstrich von Naturverbundenheit. Er macht seine Wanderungen, ausgerüstet mit hochmodernem Material aus Kunststoffen verschiedenster Art, nicht vor Ort, dazu muss er nach Neuseeland oder Kanada fliegen. Nur dort kann man die Natur noch in ihrer Ursprünglichkeit erleben. Andere Zeitgenossen bearbeiten ein Stück Land, vielleicht bis 800 Quadratmeter, nennen es Garten. Sie züchten dort vielleicht Gemüse und schöne Zierpflanzen. Da wird dann ganz natürlich Bambus eingeführt, sieht so asiatisch aus und das ist gerade Trend. Gegen die Schnecken und Mäuse, Pilzbefall und vor allem die bösen bösen Läuse und Ameisen werden Gifte aller Art eingesetzt, damit auch alles hübsch aussieht. Einige Gärten gleichen so eher Sondermülldeponien, aber das sollte man einem Kleingärtner niemals sagen.
Als Herr Nipp seine Freunde besuchte, musste er erkennen, was passiert, wenn die Natur den Menschen dummerweise auf die Pelle rückt. Dort standen drei eigentlich recht intelligente Künstler im Atelier, hatten große weiße Leinwände in den Händen und schwangen diese in unregelmäßigen Rhythmen über ihrem Kopf. Er ging natürlich sofort davon aus, dass es sich um eine Probe für die nächste Performance handeln musste. Schließlich waren seine Freunde für ihre innovativen Ideen bekannt. Ihre Gesten und Stimmen hatten etwas Beschwörendes. Mal entfernten sie sich voneinander, mal kamen sie aufeinander zu. Dabei wurden seltsam gebetförmige Formeln gemurmelt. Herr Nipp setzte sich auf einen der hohen Stühle, die im Bereich der sogenannten Theke im Ausstellungsraum der Werkstattgalerie zu Genüge vorhanden sind. Voller Spannung erwartete er, was wohl passieren würde. Die Reflexionen des Restlichtes, man hatte die großen Leuchten gelöscht, auf den Leinwänden vermittelten eine wunderschöne Atmosphäre, es würde wohl ein Mysterienspiel werden. Plötzlich rutschte einem der drei ein Fluch über die Lippen. Herr Nipp erkannte auch warum, denn eine Fledermaus sauste in ihrem genau bemessenen Flug knapp über seinen Kopf hinweg.
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Das Mittelmaß der Welt, unerhörte Geschichten von Herrn Nipp, dokumentiert auf KUNO 1994 – 2019
Weiterführend → Zu einem begehrten Sammlerstück hat sich die Totholzausgabe von Herrn Nipps Die Angst perfekter Schwiegersöhne entwickelt. Außerdem belegt sein Taschenbuch Unerhörte Möglichkeiten, daß man keinen Falken mehr verzehren muss, um novellistisch tätig zu sein. Herr Nipp dampft die Gattung der Novelle konsequent zu Twitteratur ein. Und außerdem präsentiert Haimo Hieronymus die bibliophile Kostbarkeit Über Heblichkeiten, Floskeln und andere Ausrutscher aus den Notizbüchern des Herrn Nipp. Begleitendes zur Veröffentlichung des Buches Fatale Wirkungen, von Herrn Nipp (Mit Fotos von Stephanie Neuhaus). Über die historische Aufgabe von Herrn Nipp aus Möppelheim.
Zum Thema Künstlerbucher lesen finden Sie hier einen Essay sowie ein Artikel von J.C. Albers. Vertiefend auch das Kollegengespräch mit Haimo Hieronymus.
Diese bibliophile Kostbarkeiten sind erhältlich über die Werkstattgalerie Der Bogen, Tel. 0173 7276421