Die Begleiter hatten sich wohl irgendwann heimlich aus dem Unterschlupf gestohlen, draußen den Tisch gedeckt. Eier gekocht. Sie saßen auf ihren faltbaren Campingstühlen, die in der rechten Armlehne eine Netzvorrichtung als Halterung für Flaschen, Dosen oder Gläser hatten. Egal wohin man schaut, überall wird an die Rechtshänder gedacht, nicht aber an jene fünf Prozent der Bevölkerung, die sich damit herumschlagen müssen, jenen anderen, den benachteiligten Arm und die Hand lieber gebrauchen. Schon solche Kleinigkeiten konnten Herrn Nipp normalerweise fast bis an den Rand der Verzweiflung treiben, nicht allerdings an diesem Morgen. Ihm schien die Welt Idylle.
Aus Ermangelung an Kaffee gab es Mineralwasser zu trinken.
Ziemlich verdattert kam er aus dem Zelt, reckte sich genüsslich und blinzelte leicht verspielt bis schauspielerisch in das frische Tageslicht. Es kam ihm noch unverbraucht vor. Obwohl es die gesamte Nacht lang geregnet hatte, schien nun die schönste , die freundlichste Sonne Südtirols, die man sich denken kann. (Hiermit, könnte man nun meinen, gehen wir langsam märchenhaften Sequenzen entgegen, aber weit gefehlt. Der Erzähler wurde vom Autor bemüht, ja geradezu gezwungen, auf dem schnöden, manchmal auch bunten, eben dem sprichwörtlichen Teppich zu bleiben und einen Entwurf möglicher, man möchte sagen, fast reeller Geschehnisse abzuliefern.) Die Regenmassen (eigentlich Wolkenmassen) hatten sich, wie von Zauberhand dazu gebracht, verflüchtigt. Der konkrete Zeltplatz auf Kleinststeinen erwies sich in diesem Fall als mehr als günstig, da eventuelle, nachts entstandene Pfützen sich so schleunigst absentiert hatten. Der Schwamm einer nimmersatten Gebirgslandschaft hatte jeden Tropfen eingefordert und so blieb nur noch der handfeuchte Split übrig, der teilweise sogar fast augenzwinkernd vor Dolomitkriställchen glitzerte. Der Morgen schien allen dreien, dies sei hier noch einmal ganz unschuldig unterstrichen, fast perfekt. Man kann ja auch ohne den sonst gewohnten Kaffee den Tag beginnen, dachten die drei Unerfahrenen. Sie hatten jedoch ihre Abhängigkeit völlig unterschätzt. Wer jeden Tag mehrere Portionen Coffein zu sich nimmt, kann eben nicht ohne. Die Gewohnheitsdroge lässt sich nicht einfach mal so eben absetzen und antwortet mit schlimmen Kopfschmerzen, nicht sofort, aber immerhin schon nach wenigen Stunden. Eiskalt erwischt, kalter Entzug. Zumindest Herr Nipp sollte an diesem Tag von Ermüdungsattacken, die er sich zunächst als Folge der langen Fahrt zu erklären versuchte, und permanentem Druck im Schädel heimgesucht werden. Erst die eiskalte Cola, die dem verdrießlich Dreinschauenden am späten Nachmittag mit nachsichtigen Blicken zugeführt wurde, sollte ihm Linderung verschaffen. Umgehend würde er im nächsten Laden mittelmäßig köstlichen löslichen Kaffee besorgen. Und am nächsten Morgen würde es Kaffe geben, schwarz wie der Alpensalamander, den sie allerdings erst auf ihrer letzten Tour auf fast 2000 Metern Höhe entdecken würden.
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Das Mittelmaß der Welt, unerhörte Geschichten von Herrn Nipp, dokumentiert auf KUNO 1994 – 2019
Weiterführend → Zu einem begehrten Sammlerstück hat sich die Totholzausgabe von Herrn Nipps Die Angst perfekter Schwiegersöhne entwickelt. Außerdem belegt sein Taschenbuch Unerhörte Möglichkeiten, daß man keinen Falken mehr verzehren muss, um novellistisch tätig zu sein. Herr Nipp dampft die Gattung der Novelle konsequent zu Twitteratur ein. Und außerdem präsentiert Haimo Hieronymus die bibliophile Kostbarkeit Über Heblichkeiten, Floskeln und andere Ausrutscher aus den Notizbüchern des Herrn Nipp. Begleitendes zur Veröffentlichung des Buches Fatale Wirkungen, von Herrn Nipp (Mit Fotos von Stephanie Neuhaus). Über die historische Aufgabe von Herrn Nipp aus Möppelheim.
Zum Thema Künstlerbucher lesen finden Sie hier einen Essay sowie ein Artikel von J.C. Albers. Vertiefend auch das Kollegengespräch mit Haimo Hieronymus.
Diese bibliophile Kostbarkeiten sind erhältlich über die Werkstattgalerie Der Bogen, Tel. 0173 7276421