Im Rückwärtsgang

 

Sie haben sich Fotos angesehen, einige hundert, immerhin meinte einer, da seien gute Bilder dabei. Das aus berufenem Munde, er ist Fotograf – und kein schlechter. Seine letzten Arbeiten haben beein- druckt, einen Eindruck davon vermittelt, was heute mit den Mitteln der digitalen Fotografie in Verbindung von sehr guten Bildideen möglich ist. Da schweben Figuren tänzerisch durch den irreal be- leuchteten Wald, der zur Naturbühne einer ungreifbaren Auf- führung wird und hinterlassen Leuchtspuren ihrer Vergangenheit als scriptural komplexe Zeichensysteme, erkennbar, aber immer ein Stück weit unerklärbar. Was auf den ersten Blick als deutliches Wort erscheint, offenbart auf den berühmten zweiten eine Fülle von widersprüchlichen Möglichkeiten, irgendwann kommt man vielleicht zu der Erkenntnis, dass tatsächlich gar nichts gemeint war, aber sicher kann man sich nicht sein. Leonard Billekes Arbeiten heben sich klar hervor aus der Masse uninspirierter Abklatsche verbrauchter Ideen der Adepten großer Meister. Er entwickelt seine eigene visuelle Welt und Sprache, ein klares ästhetisches Konzept, hier besteht die Forderung einer Hochzeit von Idee und Schönheit in der Fotografie ihre Feuertaufe. Diese Arbeiten sind keine Dokumente zufälligen Zeitgeschehens, sondern komponierte Verdichtungen verschiedener Seinszustände. Immer perfekt und gleich- zeitig immer eine Befragung dieser Perfektion auf Gültigkeit. Trotz all der schönen Bilder, die diesen Abend angeschaut wurden, bleibt man schließlich an einem alten römischen Wortspiel hängen, das Herr Nipp an einer Hauswand in Italien entdeckt hatte:

SATOR

AREPO

TENET

OPERA

ROTAS

Letztlich drehen sich über zwei Stunden lang die Gespräche und Gedanken um diese fünf Wörter, die eine unglaubliche Schönheit entwickeln. Und schließlich versucht man sich darin, auch im Deutschen ein solches Spiel zu schaffen. Sie finden echte und falsche Palindrome, setzen diese zusammen und müssen immer wieder erkennen, dass die Ergebnisse weder schön, noch aber sinnvoll, in keinem Fall vollständig sind. Leben – Nebel, Regen – Neger, neben – neben, und weitere… Man verkürzt Imperative: beleb. Gegen viertel vor eins nachts geben alle auf:

„Und ich werde doch noch eine Möglichkeit finden, die Sinn macht.“, sagt einer von ihnen und drückt den Knopf für den Aufzug. Plötzlich ist es ganz still.

***

Das Mittelmaß der Welt, unerhörte Geschichten von Herrn Nipp, KUNO 1994 – 2019

Die unerhörten Geschichten von Herrn Nipp sind glossierende Anmerkungen die sich schnoddrig mit dem Zeitgeist auseinandersetzen. Oft wird in diesen Kolportagen ein Konflikt zwischen Ordnung und Chaos beschrieben. Wir lesen sowohl überraschendes und unerwartetes, potentiell ungewöhnliches, das Geschehen verweist auf einen sich real ereigneten (oder wenigstens möglichen) Ursprung des Erzählten.

Weiterführend → 

Zum Thema Künstlerbucher lesen finden Sie hier einen Essay sowie ein Artikel von J.C. Albers. Papier ist autonomes Kunstmaterial, daher ein vertiefendes Kollegengespräch mit Haimo Hieronymus über Material, Medium und Faszination des Werkstoffs Papier.

Die bibliophilen Kostbarkeiten sind erhältlich über die Werkstattgalerie Der Bogen, Tel. 0173 7276421

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