Stille

Medientheorie ist kein Herzstück einer irgendwo universitär und irgendwie institutionell beheimateten Wissenschaft mit relativ fester und konkreter Lehr- und Forschungspraxis. Medientheorie ist die fortgesetzte Suche nach einem Medienbegriff und Symptom dafür, dass es keine Medienwissenschaft in diesem Sinne gibt.

Prof. Dr. Oliver Jahraus

Wie die Menschheit miteinander kommuniziert, ist langsam und fehleranfällig. Das Gehirn denkt mit elektrischen Signalen, die für eine Unterhaltung zeitraubend und mechanisch in Schallwellen umgewandelt werden. Wir umgeben uns mit Dämmstoffen und erlassen Schallschutzbestimmungen, aber wir empfinden unsere Umwelt als lauter denn je. Unsere Ohren kommen nicht mehr zur Ruhe. In Kaufhäusern, Restaurants, Fußgängerzonen: Allerorten werden wir berieselt und in ein Meer von akustischem Müll getaucht – ein Gewoge, in dem unsere Wahrnehmungsfähigkeit für Nuancen untergeht. Wir verlieren uns in diesem schrillen Orchester für Dienstleister und Medien, die um die Aufmerksamkeit buhlen und unsere privaten Hörräume zu winzigen Nischen schrumpfen lassen. Wir sind alles andere als nur Opfer – und sehnen uns dabei ständig nach Stille. Was aber, wenn sie tatsächlich eintritt?

Photo von Eckhard Etzold

„Das Ohr ist ein Organ der Angst“, schrieb der Philosoph Ludwig Feuerbach, „hätte der Mensch nur Augen, Hände, Geschmacks– und Geruchssinn, dann hätte er keine Religion, denn jene Sinnesorgane sind Organe der Kritik und des Skeptizismus.“ Das Organ der Angst, das natürlich auch das Organ der Freude ist, ist ein direkteres, ungeschützteres Einfallstor menschlicher Wahrnehmung als das Auge. Töne dringen ungefiltert in unseren Körper ein – im Gegensatz zu Bildern, die das Gehirn selektieren oder ausblenden kann. Die Ohren messen Luftdruckschwankungen und senden das Messresultat als elektrische Signale an das Gehirn. Keiner der Sinne ist schneller. Augen können zwanzig Bilder pro Sekunde unterscheiden, Ohren reagieren bis zu tausendmal rascher. Das Gehör reagiert auf schallbedingte Vibrationen, die kleiner als der Durchmesser eines Atoms sind. Da beide zwei Ohren nicht nur die Stärke eines Schalls, sondern auch sein zeitliches Eintreffen mit fast unheimlicher Präzision untereinander vergleichen, geben sie Auskunft darüber, woher ein Schall kommt, und geben den Menschen seit der Kindheit an auch im Dunkeln ein räumliches Bild der Umgebung. Das Organ, das diese Wunderleistungen vollbringt, ist kaum größer als eine Murmel und lagert sicher im Schläfenbein. Sein Herzstück ist ein mit Flüssigkeit gefüllter spiraliger Kanal, dem zwei elastische Bänder als Boden und Decke dienen. Am Bodenband sind wie auf einer Wendeltreppe etwa zehntausend schallempfindliche Zellen stufenartig aufgereiht, die, ähnlich gleich Rasierpinseln, an der Oberseite feine Haare tragen. Diese Wendeltreppe ist vom Mittelohr durch eine feine Membran getrennt. Wird diese zum Schwingen angeregt, überträgt sie die Schwingung auf die Flüssigkeit und die beiden elastischen Bänder der spiraligen Wendeltreppe und verbiegt dabei die Haarspitzen der schallempfindlichen Zellen. Selbst die winzigste Verformung dieser Spitzen ändert die elektrischen Eigenschaften der betreffenden Zelle und erzeugt ein elektrisches Signal, das über angekoppelte Nervenbahnen fast augenblicklich die Gehörzentren des Gehirns erreicht. Jede Haarzelle unterscheidet sich von allen anderen in der Länge ihrer Haare und der Steife ihres Zellkörpers. Da eine Struktur umso langsamer schwingt, je größer und flexibler sie ist, sprechen die verschiedenen Haarzellen auf verschieden hohe Töne an. Die Ansprechbereiche der einzelnen Zellen überlappen jedoch; das Ohr berücksichtigt diese Überlappungen und kann so ein differenziert–farbiges Klangbild liefern. Wenn ein Ton die Haarzellen verformt, öffnet er in den Membranen der Haarzelle Schleusen für elektrisch geladene Kalium– und Kalziumionen und erzeugt damit augenblicklich ein elektrisches Signal. Die Haarzellen unseres Gehörs sind hochverletzlich. Werden sie zu stark oder zu lange beschallt, sterben sie und wachsen nie mehr nach. Nicht wenige Zeitgenossen scharren nervös mit den Füßen scharren, wenn die Türen geschlossen sind. Nicht wenige, die dann als einziges Geräusch ein spitzes Pfeifen im Ohr hören: Tinnitus.

Fortzuhören ist schwieriger, als fortzublicken. Die Qualität der Sinnesempfindung hängt, wie die jedes Signals, vom Rauschabstand ab – von dem Verhältnis von Signalstärke zu zufälligem Hintergrundrauschen. Ein gesundes Ohr kann noch Geräusche wahrnehmen, die über eine Million Mal schwächer sind als solche, die an der Schmerzgrenze liegen. Dieser eindrückliche Rauschabstand schenkt uns nicht nur eine reiche Klangpalette, sondern lässt uns auch komplexe akustische Signale virtuos entschlüsseln. Hoher Rauschabstand ermöglicht Stille zur rechten Zeit. Die Dimension des Akustischen ist das Ausmaß der Unfreiheit. Als Hörende sind wir unfrei. Wir sind alle Ohryeure*. In das geöffnete Ohr ebenfalls verschwindet gesprochene Sprache, die sich in Erinnerungsräume einnisten kann, die verschwindet. Aber Sprache verschwindet nicht immer spurlos, denn sie kann aufgerufen und erinnert werden, sie kann durch einen Mund– oder Schriftraum mitgeteilt werden. Hören bedeutet Eintauchen, es birgt ein Potenzial an Regression, so daß sich der Hörer im besten Fall an den tiefsten Orten seines Wesens berührt fühlt. Das Gehör ist der erste Sinn, der sich im Mutterleib bildet, und der letzte, den der Sterbende verliert. Die Faszination des Hörbuchs geht daher über die Lust an Geschichten hinaus und reicht, anthropologisch betrachtet, sehr tief.

Hören ist eine Tätigkeit auf Ohrenhöhe, demokratisch, offen, optional. Neben dem Gehör ist es die Stimme, die mehr über uns verrät, als uns lieb ist: Unsicherheit, Aufgebrachtheit, Bitterkeit, sind einige Gefühle die dieses Organ preisgibt, obzwar wir dies gar nicht wollen. In Bruchteilen von Sekunden enthüllt die Stimme schonungslos alles, was wir verbergen möchten: Verliebtheit, Neid, Stolz, Wut. Sie wirkt wie eine akustische Visitenkarte, die neben dem Beruf auch die soziale Herkunft und das Ausmaß des Selbstbewusstseins mitteilt. Die menschliche Sprache ist nicht nur ein Verlautbarungsorgan, Träger von Information, sondern auch ein rhetorisches Instrument, Medium, Träger von Ausdruck, Stil, Aura. Die Stimme hat eine Signatur. Sie beglaubigt den Text gleichsam als Unterschrift. Es ist die physische Präsenz einer Stimme, die einem Wort, einem Text Aura verleiht. Und diese Präsenz, die aus einem Körper spricht, kann sich übertragen, kann die Adressaten, die Hörer, einbeziehen. Die Präsenz der Spreche wirkt der Anonymisierung des Wissens entgegen und schafft so eine Voraussetzung, dass aus Informationstransfers Orientierung erwächst, dass aus der Vermittlung von Wissen Bildungsinhalte werden können. Die sind vonnöten, damit wir in einem zunehmend komplexeren Lebensumfeld, das so viele Optionen wie nie bereit hält, nicht aus dem Blick verlieren, was eigentlich das Problem war. Die menschliche Stimme ist der erste Special-Effekt, den die Menschheit entwickelt hat, und der nachhaltigste.

Thomas Alva Edison

Aus den liegen gebliebenen Experimentiergeräten der Physik entstanden, die eigentlich ganz anderen Forschungen gedient hatten, gibt das ‚Neue Medium’ Radio bereits in seinen Anfängen Anlass zu Medienphantasien. 1857 entwickelte der Franzose Edouard Léon Scott de Martinville einen sogenannten „Phonautographen”, der Schallwellen auf rußgeschwärztes Papier kratzte. Wie Forscher herausfanden, lässt sich eins der erhaltenen Blätter, anders als bislang angenommen, auch abspielen – zu hören ist eine Kinderstimme, die für etwa zehn Sekunden einen Ausschnitt aus „Clair de la lune” singt. Es läuft Thomas Alva Edisons Aufnahme von „Mary had a little lamb” den Rang als ältestes Tondokument der Welt ab. Ausgehend von der Idee eines so genannten ‚Äthers’, der Lichtwellen und Schwingungen übermittelt, verbinden sich Allmachtsvorstellungen von der Reichweite der Sender und auch spiritistische Erwartungen mit dem Monopol staatlicher Kontrolle über das Radio. Zunächst wurde ein so genannter Kulturfunk zugelassen ist. Das erste Hörspiel sendete am 3. August 1922 der Radiosender WGY (Schenectady, New York) mit der Funkfassung des Theaterstückes „The Wolf“ von Eugene Walter. Am 15. Januar 1924 sendete die BBC das Stück des jungen walisischen Autors Richard Hughes, das als das weltweit erste Original-Hörspiel in die Geschichte einging: „A Comedy Of Danger“. Das erste deutsche Hörspiel war „Zauberei auf dem Sender“, eine Produktion des damaligen Direktors des Frankfurter Senders, Hans Flesch. Fleschs Ziel war es, mit diesem Hörspiel eine originäre Kunstform für das neue Medium Radio zu etablieren. Das Stück beginnt mit der Ankündigung eines Konzerts im Rundfunk. Urplötzlich platzt eine „Märchen–Tante“ herein und fordert mehr Programmplätze für Kinder. Jetzt gleich. Ein Albtraum für den Hörfunkmoderator, der sich seine Sätze zurechtgelegt und den Finger schon über dem Knopf der Musikautomation schweben hat. „Aber entschuldigen Sie, gnädige Frau, wir können doch jetzt nicht die Gesamtlinie des Funkspruchprogramms ändern!“, entgegnet er. Im Folgenden wird aber nicht nur das „Funkspruchprogramm“ bedroht, sondern die gesamte Weltordnung. Und alles nur wegen eines Streits um die größtmögliche Freiheit der Öffentlichkeit! Von Beginn an ist das Genre Hörspiel nie in der Sparte Literatur gelandet, sondern aufgrund seiner hohen Technikaffinität eng mit dem Radio verbunden – wie diese »Zauberei auf dem Sender« schon im Titel offenbart. Unter dem Reichspropagandaminister Josef Goebbels wird das ‚Neue Medium’ Radio zu einem zum Instrument der propagandistischen ‚Verschaltung’.

Neben den Propagandasendungen ist auch auf die Radiotheorie von Eugen B. Brecht zu verweisen, wonach jeder Empfänger ein Sender sein soll. Bert Brecht brachte mit seiner „Rede über die Funktion des Rundfunks“, die er 1932 verfasste, einen frühen Entwurf von Radiotheorie. Den Schwerpunkt seiner Radiotheorie bildete der Wunsch nach Demokratisierung des Rundfunks. Im Zuge dessen verlangte Brecht nach einer Umfunktionierung des Rundfunks, und zwar einer Umfunktionierung aus einem Distributionsapparat in einen Kommunikationsapparat. So schreibt Brecht: „Der Rundfunk wäre der denkbar großartigste Kommunikationsapparat des öffentlichen Lebens, ein ungeheures Kanalsystem, das heißt, er wäre es, wenn er es verstände, nicht nur auszusenden, sondern auch zu empfangen, also den Zuhörer nicht nur hören, sondern auch sprechen zu machen und ihn nicht zu isolieren, sondern in Beziehung zu setzen.“ Der Rundfunk sollte nicht nur eine Seite haben, also nicht nur zuteilen, sondern er sollte auch empfangen können, den Hörer in Beziehung setzen. „Der Rundfunk müsste demnach aus dem Lieferantentum herausgehen und den Hörer als Lieferanten organisieren.“ – »Der Ozeanflug«, das erste Lehrstück Brechts, behandelt Lindberghs Erfolg. Es ging 1929 vom Musikfest in Baden–Baden über den Rundfunk. Am Tag darauf wurde das Badener Lehrstück in einer „unfertigen Fassung“ aufgeführt, vertont von Paul Hindemith. Brecht und Hindemith griffen noch auf der Szene in den Text und die Musik ein, während ihre Arbeit schon heftig abgelehnt wurde. Die Aufführung geriet zu einem Eklat. Danach trennten sich Hindemiths und Brechts Wege. Brecht schrieb eine geänderte Fassung. Er reichte 1930 »Die Maßnahme« für eine Aufführung ein, das wurde wegen „Minderwertigkeit des Textes“ abgelehnt. Brechts Utopie vom öffentlichen Gebrauch des Apparates Rundfunk erfüllte sich nicht. Die Lehrstücke allerdings wurden nachgeahmt. Aus dem Jahre 1931 existiert ein Oratorium Hindemiths »das Unaufhörliche« zu einem Text von Gottfried Benn, ein nach „vitalistischer“ Weltanschauung geformtes Einverständnis mit dem Tod, dem Werden und Vergehen.

Ästhetisch reizvoller sind die Radio-Arbeiten von Gottfried Benn, obzwar er dem Rundfunk skeptisch gegenüberstand, hat er das publizistische Potenzial dieses Mediums dennoch für seine Zwecke zu nutzen verstanden. In einem Gedicht aus den frühen fünfziger Jahren, dem Gottfried Benn den Titel ‚Radio’ gegeben hat, heißt es: „Eigentlich ist alles im männlichen Sitzen produziert, was das Abendland sein Höheres nennt, ich aber bin, wie gesagt, für Seitensprünge.“ So ist es nur zu begrüßen, daß der Dichter seinem methodischen Insistieren auf dem geschriebenen Wort nicht immer treu geblieben ist und von Zeit zu Zeit ein Aufnahmestudio betreten hat. Am 6. März 1930 nahmen in einem Studio der Berliner «Funkstunde» zwei Dichter unter einem Mikrofon Platz, die sich als Weggenossen aus den Aufbruchszeiten des Expressionismus kannten. Der 44–jährige Gottfried Benn wird drei Jahre später den Nationalsozialisten seine Reverenz erweisen – und danach lange schweigen. Der 38 Jahre alte Johannes R. Becher ist Parteigänger der „Tendenzkunst“, wird später Stalin–Elogen verfassen und der DDR als Kulturminister dienen. Becher redet in diesem Radiogespräch einer „klassengebundenen Dichtung“ das Wort, die zur „Befreiung der gesamten Menschheit“ angetreten sei. Benn hält das Bild eines autonomen Künstlers dagegen, der nur seinem inneren Gesetz verpflichtet ist. Den linken Fortschrittsglauben Bechers tut er als vulgären Hegelianismus ab. „Eine Offenbarung der Weltvernunft . . . beginnt großartig und endet namenlos, sie übersteht den Niagara, um in einer Badewanne zu ertrinken.“ Becher kontert mit moralischem Welterlösungspathos, doch seine Phrasen machen nur eine Projektionsfläche für neue Attacken auf. Benns Hörwerk spannt einen zeitgeschichtlichen Bogen aus den Pioniertagen des Weimarer Rundfunks bis zu den Sternstunden des Kulturradios der fünfziger Jahre. Das Kulturradio erlebte in der Gründungsphase der Bundesrepublik die heroische Epoche eines Neubeginns. Als nach der Niederlage von 1945 auch die nationalsozialistische Propagandamaschine zum Stillstand gekommen war, schufen die Alliierten mit dem öffentlichrechtlich verfassten Rundfunk ein föderales publizistisches Organ, das schon bald zum Medium und Movens intellektueller Debatten wurde. Schriftsteller wie Alfred Andersch und Axel Eggebrecht, Wissenschafter wie Hans Mayer und Dolf Sternberger oder Publizisten wie Walter Dirks und Eugen Kogon begleiteten und kommentierten die politischen und kulturellen Ereignisse aus den Aufnahmestudios der Funkhäuser. Bis weit in die fünfziger Jahre konnte sich so ein Modus intellektueller Auseinandersetzungen etablieren, der für das geistige Klima dieser Zeit prägend wurde. Sendetitel wie „Abendstudio“ oder „Radio–Essay“ klingen wie Synonyme für diesen aufgeklärten diskursiven Gestus. Keine Wunder, daß in diese Zeit auch die Hörspiel eines Günther Eich oder einer Ilse Eichinger fielen, der Rundfunk wurde in den 1950-er Jahren zu einem Zauberinstrument des Wortes, zur akustischen Probebühne der Poesie, zum Atem der Vernunft.

Ernst Jandl und Friederike Mayröcker anlässlich einer Lesung, Wien 1974

Das so genannte „Neue Hörspiel“ entwickelte sich in der 1960-er Jahren, parallel zur Stereophonie als eigenständiges Genre in diesem flüchtigen Medium. Hier prallten experimentelle Literatur, konkrete Poesie und Lautpoesie aufeinander. Helmut Heißenbüttel, Max Bense, Franz Mon und Ernst Jandl sind als hervorragende Autoren zu nennen. Herausragend das Hörspiel Fünf Mann Menschen von Ernst Jandl und Friederike Mayröcker, die als Repräsentanten experimenteller Lyrik bekanntgeworden sind. Sie haben zusammen mit dem Regisseur Peter Michel Ladiges zum ersten Male im Hörspiel die Möglichkeiten konkreter Poesie beispielhaft eingesetzt. Sie zeigen exemplarische Sprach- und Handlungsvorgänge, in denen der zur Norm programmierte menschliche Lebenslauf nicht abgebildet, sondern evoziert wird. Dabei nutzen und meistern sie die Möglichkeiten der Stereophonie. Eine Innovation stellte der Kunstkopf dar. Die kopfbezogene Stereophonie begann im Hörspiel 1973 mit Alfred Besters »Demolition«. Der Kunstkopf ist in seinen Abmessungen, Form und seinem spezifischen Gewicht dem menschlichen Kopf eines Erwachsenen sehr genau nachgeformt. Das Kunstkopfmikrophon ist anstelle der beiden Gehörorgane mit Mikrophonen ausgestattet. Hörspiele und Feature, die mit einem Kunstkopf aufgenommen wurden, sollten mit einem geschlossenen Kopfhörer abgehört werden, da nur hier der beabsichtigte extrem räumliche Klangeindruck entsteht. Daran scheiterte schließlich eine breite Anwendung.

Nach wie vor darf jedoch 1877, das Jahr von Edisons Durchbruch, als Beginn der Geschichte des Hörbuchs gelten, auch wenn das gesprochene Wort kurioserweise erst nach dem gesungenen für konservierungswürdig befunden wurde. Trotzdem hat es noch einmal 100 Jahre gedauert, bis das Hörbuch massenhafte Verbreitung fand – in Deutschland geschah dies eigentlich erst seit Mitte der 1990-er Jahre. Auch wenn Kinderkassetten und Sprechplatten schon seit den 1970-er Jahren in vielen bürgerlichen Haushalten zu finden waren, haben Hörbücher erst in letzter Zeit signifikante Aufmerksamkeit und einen relevanten Anteil am Buchgeschäft erlangt. Mittlerweile tummeln sich neben klassischen Hörspielen und O–Ton–Collagen auch Dokumentarstücke, Krimis, Kurzhörspiele und Klangkunst auf den entsprechenden Plätzen der Radiosender. Neben den ARD–Sendern und der Deutschen Welle produziert allein das DeutschlandRadio Kultur als einer der größten deutschen Hörspielproduzenten 36.000 Sendeminuten auf sieben verschiedenen Sendeplätzen jährlich. Es geht um Stimmen, um Klangmontagen, um Welten, die sich so nur dem Ohr erschließen. Vielleicht ist es die irritierende Affinität zum Buch, die der Anerkennung des Hörbuchs als eigenständiger Gattung dennoch im Wege steht. Dass sich immer noch kein treffender Name finden ließ, ist symptomatisch: Ein Hörbuch ist eben kein „Buch“, sondern ein „Etwas“ zum Hören, das sich einer eher zufälligen materiellen Hülle bedient. Einst war es die Kassette, jetzt ist es die CD, und als Datei aus dem Internet heruntergeladen – eine Praxis, die sich hierzulande nur zögernd, aber stetig durchsetzt – verschwindet sein dinglicher Charakter fast vollständig. Spätestens seitdem Buchverlage die Möglichkeit entdeckten, mit Lesungen oder „Verhörspielungen“ die Attraktivität ihrer Bücher und Autoren zu steigern, schwindet das Verständnis dafür, dass Hörbücher mehr sein können als verlängerte Literatur. Den Gedanken einer Zweitverwertung wollen Labels wie der Hörverlag gar nicht erst aufkommen lassen. Ihnen geht es – jedenfalls bei den mit Herzblut geschaffenen Projekten – um originär für akustische Räume Gebautes. Um Stimmen, um Klangmontagen, um Welten, die sich so nur dem Ohr erschließen. Seit einigen Jahren ist das Hörspiel aus dieser Domäne ausgebrochen. Durch ein Netz von Festivals, Wettbewerben und Preisen erschließt es sich ein vorwiegend junges Publikum. Mancher, der in seiner Kindheit mit den „Drei ???“ Fälle löste oder mit John Sinclair auf Geisterjagd ging, verlängert mit diesen Figuren seiner Kindheit die Adoleszenz bereits bei Club–Hörspielabenden. Allerdings braucht es nicht mehr unbedingt Justus Jonas und Co, auch bis dato unbekannte Helden erobern zunehmend das Genre. Die spezifischen Ausdrucksmöglichkeiten des Hörbuchs von den Verlagen häufig unterschätzt werden. Hörbücher dienen in der Regel bloß der Zweitverwertung literarischer Texte. Beworben werden sie, indem der „Double your time”–Effekt in den Vordergrund gestellt wird: Das Hörbuch als Bügelbegleiter. Das soll verkaufsfördernd wirken, stellt das Produkt in Wirklichkeit aber als minderwertig hin, so als könnte es nicht für sich allein stehen. Das gute Hörbuch braucht jedoch genauso viel Aufmerksamkeit wie ein Buch. Mit dem Medium Hörbuch gibt es die Möglichkeit an die erzählende Tradition der Literatur anzuknüpfen und schallillustrierten Erzählungen zu dokumentieren.

Schülerinnen und Schüler der Waldorfschule, Gerresheim

Im Zeitalter der so genannten „Neuen Medien“ erreicht man Kinder und Jugendliche nur schwer mit Büchern. Wir erleben einen zunehmenden kulturellen Analphabetismus, den auch die Indifferenz verursacht, zu der die modernen Vereinfältigungsmedien verleiten. User leben eine Kultur der Ungeduld. Sie wissen, wie man etwas findet, aber sie wissen meist eigentlich nicht was sie finden möchten. Das Betriebssystem für die elektronischen Medien ist das Lesen. Das Betriebssystem für das Lesen ist die Sprachkompetenz. Das Betriebssystem für das Hören ist Aufmerksamkeit; eine knappe Ressource.

In einer Welt, in der es kaum mehr öffentliche Räume ohne Musikberieselung gibt, gehört das Zuhören zu den gefährdeten Künsten. Auch Erwachsenen fällt es nicht leicht, einem Hörspiel durchgehend zu folgen. Doch im Gegensatz zu Kindern bleiben sie trotzdem still sitzen. Man darf Kinder beim Hören nicht lange allein lassen. Wer Hören will, muß Methoden entwickeln, um sich gegen das Abschweifen zu wehren. Der Einstieg ins konzentrierte Hören führt meist über andere Kanäle der Wahrnehmung, so ist etwa das Hörbuch »Peter und der Wolf« ein Stück für Ersthörer. Jugendliche haben eine ganz klare Vorstellung, welche Musik für sie in Frage kommt und welche nicht. In der Pubertät ist Musik eine Frage der Identität, eine Art seelischer Heimat, und das muß man respektieren. Wir haben verlernt, das Ohr zu schätzen und uns auf es zu verlassen. Ein Fötus fängt bereits vom 45. Tag der Schwangerschaft an zu hören. Wenn ein Baby geboren ist, hat es schon mehr als sieben Monate sein Ohr geübt, bevor sein Auge etwas sah. Wenn das Kind auf die Welt kommt, vergessen wir, was es durch das Ohr erlebt und lernt. Es lernt über die Strasse zu gehen, nach links oder rechts zu schauen, aber nicht nach links und rechts zu hören. Mehr als um musikalische Erziehung geht es dabei um Erziehung durch und mit Musik. Natürlich lernen die Kinder Musik. Aber durch Musik lernen sie Dinge über und für das Leben: Disziplin, Leidenschaft, Zeiteinteilung, alles was der Mensch braucht. Es ist viel interessanter, Disziplin über Rhythmus zu lernen. Wer es nicht schafft, Leidenschaft und Disziplin zu kombinieren, kann keine zwei Töne spielen. Vielleicht ist es eines der schwierigsten Dinge für den Menschen, in der Leidenschaft die Disziplin nicht zu vergessen. Kinder sollen alle diese Dinge schon im Kindergarten durch die Musik lernen Es geht nicht so sehr um Blockflöte oder Tanz, sondern darum, daß sie durch diese Erfahrung etwas über das Leben lernen. Ein Pädagoge muß sich in der Musik auskennen, die seine Schüler hören, allerdings ohne sich anzubiedern. Das Ziel der literaturpädagogischen Arbeit besteht in einer Horizonterweiterung. Die behutsame Begegnung mit Musik und Poesie, welche die Schüler eigentlich ablehnen, bereitet den Boden für eine Neugier, die sich bei manchen erst Jahre später entwickelt.

Es gehört zu den Phänomenen der Evolution, daß wir nach hinten nicht sehen, aber hören können, wenn von hinten etwas auf uns zukommt. Der Hörsinn signalisierte unseren Urahnen: Gefahr. Wer nicht hysterisch über Kunst und neue Medien sprechen will, braucht nicht in einen naiven Realismus zu verfallen. Es gibt auch dazu eine Alternative, die nicht minder rational ist: die medienarchäologisch genaue Analyse jener Änderungen der Wirklichkeit, die sich auf dem Weg von den einstigen Analogmedien wie Rundfunk oder Telefon zum Digitalmedium Computer ereignet haben.

Wenn Kant schreibt „Denken ist Reden mit sich selbst, folglich au inneres hören“, erwächst der Zwiesprache mit sich selbst eine moralische Dimension. Eine Idee die Kant anthropologisch und nicht metaphysisch verstanden wissen möchte. Der „bloße Weltbürger“, der laut dem Königsberger Philosophen den „kategorischen Imperativ“ ertragen kann, ist einer, der für sich urteilt. Zuhörern ist kein passiver Vorgang. Wir wollen unser Gegenüber verstehen, also müssen wir darüber nachdenken, was uns der Gesprächs–Partner eigentlich sagen will. Nicht nur was uns ein Gesprächs–Partner sagt, ist von Bedeutung, sondern wie er es uns sagt. Welche Betonung legt er auf die Worte und Silben.

Der ideale Zuhörer ist jemand, der sich durch das Zuhören völlig von der Welt entfernt, sie und sich selber vergisst, aber gleichzeitig durch die Musik, Sprache und Geräusch etwas Neues über sich, die Welt, die Gesellschaft oder über eine Beziehung erfährt. Das Hörspiel hat diese doppelte Möglichkeit: Sie ist das beste Mittel, um die Realität zu vergessen, aber sie zeigt auch, wie die Welt funktioniert. Die Beziehung zwischen den Klängen und der Sprache ist nicht viel anders als die Beziehung zwischen Menschen in der Gesellschaft. Klang ist ein physisches Phänomen. Er hat etwas Unheimliches, weil er nicht in unserem Universum wohnt – eine merkwürdige Mischung von etwas sehr Realem, das sofort wieder verschwindet. Wenn man einen Ton pfeift, dann ist er da. Man braucht kein Genie zu sein, um zu hören, jemand hat ein A gepfiffen. Aber wo geht der Klang hin, er bleibt nicht zwischen unseren Mauern. Das heißt, er hat etwas sehr Reelles, Konkretes, Physisches und trotzdem etwas für den Menschen Ungreifbares. Der Klang ist zugleich physisch und metaphysisch. Das ist die Phänomenologie des Klanges – was für das Wort nicht gilt. Der Klang hat eine physische und eine psychische Wirkung auf uns und trotzdem wohnt er nicht bei uns hier in dieser Welt.

Nach den Ergebnissen der „Pisa“–Studie fragt man sich, wie der Welt etwas hinzugefügt werden kann und die mediale „Wirklichkeit aus zweiter Hand“ reflektiert werden sollte. Die Frage einer Sinnenschulung angesichts des unterstellten Erfahrungsverlustes durch permanenten Medienkonsum wirft viele verborgene Ratlosigkeiten auf.

Während das Kino als siebte Kunst in Frankreich einen eigenständigen Status als Kultur– und Bildungsgut besitzt, ist die Filmbildung in Deutschland institutionell in die medienunabhängige Disziplin der Medienpädagogik eingebettet. Mit der Zurechnung des Films zu den Massen– und Kommunikationsmedien geht noch eine weitere Tendenz einher, die dem pädagogischen Diskurs über Film nach dem Zweiten Weltkrieg, auch durch den Einfluss der Kritischen Theorie, innewohnt: Dem Film als Medium näherte man sich vor allem in ideologiekritischer Absicht. Auch gegenwärtig verbindet sich mit dem in deutschen Rahmenplänen verankerten Begriff der „Medienkompetenz“ vor allem die Fähigkeit zur „Medienkritik“. Echte Bildung, das ist vor allem Geschmacksbildung. Durch das Vorführen anspruchsvoller Beispiele und durch die Sensibilisierung der Wahrnehmung anhand von künstlerisch wertvollen Arbeiten bildet sich dauerhaft ein Geschmacksempfinden aus, das die Rezeptionsgewohnheiten von Jugendlichen um einige Dimensionen erweitern kann.

Schüler des Schlossgymnasiums Benrath mit dem Tontechniker Volker Förster

Mit literaturpädagogischen Kursen versucht A.J. Weigoni die fluide Intelligenz abseits von Routinen zu schulen. Es geht ihm in erster Linie um eine Schärfung der Aufmerksamkeit und der Sinne – um eine Anstiftung zur Genauigkeit. Die Umgestaltung der Welt durch Literatur – an dieser revolutionären Lehre  hat Weigoni festgehalten. Sie kann nur gelingen, wenn sich alle künstlerischen Sparten in formaler wie inhaltlicher Hinsicht gegenseitig inspirieren und bereichern. Deshalb spricht aus allen Arbeiten Weigonis der Wille zur Einheit einer Kreativität, die alle Bereiche des Lebens ergreift und mit akustischen Mitteln auf die veränderten Konditionen einer industriellen Produktionsweise antwortet.  Aus dem suchenden Gedankenspiel eines Navigierens in einem Raum der Möglichkeiten speist sich ein Lernen, das andauernd den Entwurf mit der Reflexion konfrontiert und das zwischen Nachdenklichkeit und Idee agiert. Kopf und Hand gehen eine Vermählung ein, wie es das Lernen nur selten zulässt, weil bekanntermaßen das träge Wissen aus den Büchern meist nicht die nächste Lernkontrolle überdauert.

Der Philosoph Spinoza hatte im 17. Jahrhundert scharfsinnig festgestellt, daß die Eingebungen der Propheten diese selbst nie auch nur ein bisschen schlauer gemacht hätten: Sich selbst kaum zuzuhören und jedes Mal wieder bei Null anzufangen, scheint auch das Schicksal der Pädagogen zu sein. Tatsächlich aber ist Unterricht gestaltbarer als vielfach angenommen. Weigonis literaturpädagogische Vermittlungsarbeit vermittelt sich im Spannungsgeflecht eines Paradoxons: Sie muß die Rezeption mit Wissen um die Kunst ausstatten, und zugleich neben dieses Wissen treten, um im Hören und Erleben ästhetische Erfahrung zu ermöglichen. Auf diese Weise fördert die Literaturpädagogik die nach der „Pisa“-Studie stark gefragten Kompetenzen zum Verstehen einer komplexen Wirklichkeit, auch wenn ästhetische Bildung autonom ist, frei von kommerzieller Verwertung.

In den letzten Jahren hat sich eine Hörbuch-Szene etabliert, die mit dem schauspielerischen Potential der Sprecher ebenso zu experimentieren versteht, wie sie auf das Hörspiel alten Schlags innovativ zurückgreift. Gerade diese Liebhaberproduktionen sind es, die Aufmerksamkeit verdienen. Bei der Produktion »Ohryeure« handelt es sich um Hörspiele, die nicht von cleveren Marketingexperten für eine Zielgruppe zurechtgestutzt, sondern mit den Jugendlichen und JungautorInnen gemeinsam erarbeitet und umgesetzt wurden. Diese Arbeiten beinhalten Kriterien, die bisher kaum bei einer Beurteilung miteinbezogen wurden: Was ist der Sound der Zeit?

Ist es bereits absehbar, daß Pop zum bestimmenden Faktor der Cyberkultur wird, die schon dabei ist den bürgerlichen Kulturbegriff abzulösen?

Wie funktionieren Trivialmythen?

Als ein Kunstwerk eigenen Ranges verstärkt das Hörbuch die Reize des Auditiven und Oralen, mit diesem Medium kehrt die Literatur zu ihrem Ursprung zurück. Dies ist eine Gegenbewegung zu einer mit Bildern überreich gesättigten Kultur. Die Mündlichkeit des Erzählens knüpfen an Zeiten an, als dichterische Vorträge noch «mit einer Aufführungspraxis verknüpft waren, die Barden haben ein sediertes Comeback. Der Sound einer Stimmen erzeugt eine Stimmung. Der mündliche Vortrag schafft mit der spezifischen Atmosphäre auch eine Auslegung des Gesagten, eine Interpretationshilfe. Die Stimme ist authentischer als die Schrift und das Hören ursprünglicher als das Lesen. Hörbücher fordern Zu-Hörer im emphatischen Sinn des Wortes: sensibel für stimmliche Nuancen, für Tonfall, Rhythmus, Modulation und Sprache. Ernst und Ironie verbindet sich auf der CD-»Ohryeure« hintergründig spielerisch. Wir, die Spätalphabeten, stehen insgesamt vor der Frage, ob Literatur, dieses Medium der Vorzeit, an der Alphabetisierung der Medienkultur, die nur wirklich beeinflussen kann, wer ihr voraus ist, mitwirken oder sich von letzterer abgrenzen kann. Welche Einflußsphären bleiben der Literatur gegenüber einer Kommunikationslandschaft, die vielfach entweder zum Selbstzweck gerät oder unausgesprochenen Interessen dient?

Wissen ist immer vorläufig, denn die Tradierung jeder Offenbarung ist – empirisch überprüfbar – voller Irrtum und Gewalt. Die Pluralisierung der modernen Lebenswelt stellt traditionsgesicherte Stabilität in Frage, was Angst und in deren Gefolge Gewalt erzeugt. Angst als Folge der Machtlosigkeit, Schwäche, Ungewissheit, Deprivation muß überwunden werden, so daß Menschen wieder zu Subjekten ihrer Identitätsbestimmung und Geschichte werden können. Der nicht kritikfähige Konsument muß um so mehr vom wirklichen Leben wissen, je weniger er sich darüber medial berichten lässt. Wir müssen uns fragen, ob die Kinder in Zukunft noch gern miteinander sprechen, so richtig von Angesicht zu Angesicht. Oder ob sie nur noch per e–Mail miteinander klarkommen. Es ist kein Zufall, daß der Urheber des Blutbads am Erfurter Gutenberg–Gymnasium seine Freizeit im World Wide Web verbracht hat.

Dummheit ist nicht nur ein intellektueller Mangel, sondern auch eine bornierte Beschränktheit des Besserwissens, ein Mangel an Kreativität und das Fehlen von Neugierde gegenüber dem noch nicht Dagewesenen. Sie ist die Unfähigkeit, offen dafür zu sein und womöglich zu akzeptieren, daß die Argumente und Entscheidungen des Anderen, ja sein gesamter Lebensentwurf auch richtig sein können. Egozentrizität ist das – meist angstgesteuerte – Haften am eigenen Ich, das sich abgrenzt, um bestehen zu können.

Natürlich ist Ich–Abgrenzung ein wesentlicher Aspekt der psychischen Entwicklung jedes einzelnen Menschen; doch dabei stehenzubleiben, bedeutet geistige und soziale Erstarrung. Wir haften in diesem Sinne am Ich, weil wir die Dummheit nicht überwinden. Trägheit ist das Festhalten am Gewohnten, die Starrheit dessen, der so denkt, fühlt und handelt, weil er oder weil man immer so gedacht, gefühlt und gehandelt hat. Dummheit, Egozentrizität und Trägheit sind ein Mangel an Weisheit. Literaturpädagogik strebt danach, diesen Mangel zu überwinden. Wo wir einander ernst nehmen, schulden wir einander auch Wahrhaftigkeit. Das Leben ist komplex, Einsichten sind es auch.

Ohne Kultivierung einer solchen Geisteshaltung wird keine Verständigung erreicht werden können. Wir brauchen zum Dialog eine Geisteshaltung, die das Vorläufige aller menschlichen Erkenntnis ertragen und mit Gelassenheit Fragen stellen und zuhören kann.

Bewohner des Benninghofs

Die künftige Pädagogik, will sie den Erkenntnissen und der gewachsenen Bedeutung des Wissens Rechnung tragen, muß die Sprachumwelt, also die Kommunikationsbedingungen, gestalten, um Inhalte zu vermitteln. Dabei muß die Dominanz der Textvermittlung gebrochen werden, um kreative Verbindungen mit der Grundstruktur menschlicher Wissensbedürfnisse einzugehen. Dazu zählen Emotionen und Erinnerungen ebenso wie Bilder, Poesie ebenso wie sprunghafte Assoziation. Auf die Anforderungen der modernen Medien reagiert A.J. Weigoni als experimentierender Analytiker und analytischer Experimentierer. Ihm scheint, daß sich diese Form von literaturpädagogischer Arbeit nicht nur mit Erscheinungsformen und Problemen der Arbeitswelt befasst, sondern sich zukünftigen Arbeitsfeldern spielerisch annähert. Hörspiel als Spiel, nach seiner Erfahrung ist das Spielen der Königsweg zum Verständnis der neuen Medien. Computer, Tonstudios und Software sind keine Werk–, sondern Spielzeuge, wobei die traditionellen Medien als Navigationshilfen dienen.

Literaturpädagogik ist demnach ein Synonym für das Probieren, das Erforschen, das Improvisieren und das Erfinden, sie schließt die Jugendlichen mit dem künstlerischen Erfahrungspotenzial zusammen. Zugleich bindet sie die resultierenden Hörstücke aus dem suchenden Spiel an die Symbolwelten der Jugendlichen zurück und macht Jugendkulturen damit verständigungsfähig. Darüber lässt sich ein konstruktiver Streit führen, bei der man es nicht als Blamage ansieht, wenn man unterschiedlicher Meinung ist.

Wichtig ist, daß man beim Lernen die Frustschwelle nach oben treibt. Medienkompetenz umfasst aus Weigonis Sicht vier Punkte: Medienkunde, Medienkritik, Mediennutzung und Mediengestaltung. Diesen Weg zeichnet er mit seinem essayhaften Text Produktorientiertes medienpädagogisches Arbeiten mit Jugendlichen nach.

 

 

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*Restexemplare der CD „Ohryeure“ sind erhältlich über: info@tonstudio-an-der-ruhr.de

Cover: Almuth Hickl

Daher stehen einige Produktionen auf MetaPhon als download im Netz.

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