Ausgezogen

 

Wir waren ausgezogen, den Himmel auf
Die Erde zu holen und hatten gestohlen,
Was die Welt uns nicht freiwillig gab,
Die Welt, das Grab,
In das sie uns hineingelegt hatten in
Arger Selbsttäuschung, wie sie
Sollten wir werden, verkrüppelt von
Tausend Jahren Kadavergehorsam,
Das Raunen im Ohr, wir folgen dir,
Zum Zeugen nehmend, den skrupellosen Arm,
Den kurzes Denken gelähmt,
Emporgehoben zu den dichten Wolken,
So lugten sie in den Nebel,
Und riefen, die anderen sind Schuld,
Machts uns nach, wir süffeln und rauchen
Und schreien das Land zum 3 zu 2 Sieg,
Dreist und feist wieder geworden,
So wollten sie uns zum Lernen zwingen,
Zum Einstudieren der Rituale, der
Qualen, welch Hochgenuss und was für ein
Bitterer Nachgeschmack, o reiß den
Horizont auf, sangen wir im One, two,
Three o’clock four o’clock Rock-Rhythmus,
Und warfen die Kuckucksuhren an die
Tafel, beschmierten uns mit dem Rouge der
Verbotenen Tempel, angespitzt und vernagelt,
Bis uns etwas Besseres einfiel,
Der Fall der Alten, der Zufall der Bewegungen,
Wenn wir uns heiß tanzten und den
Gestanzten Bücherweisheiten den Rücken kehrten,
Als ob die Straße das Heil brächte,
Als ob wir uns verkaufen könnten
An das Gekotze, wisch das weg,
Als ob wir etwas zu verraten hätten
Beim Schlag der Glocke,
Beim Schlagerduell,
Beim Befühlen unserer Wühlmaushaut,
Beim Wühlen in den Plattenstapeln mit ihrem
I’m just a lonely boy, lonely and blue,
Während unsere Augen ertranken im Watt
Vor den Klippen, während das Meer rauschte,
Got myself a crying, talking, sleeping,
Walking Living Doll,
Ach nein, Marionetten wollten wir nicht sein,
Lieber verwildern auf Trampfahrten
Als versauern im Lateinunterricht, in dem
Uns eingebläut wurde: die dem Tode
Geweihten grüßen dich,
Bis uns der Beat an neue Gestade warf,
Der Hoffnungsträger, der sich nicht pervertieren
Lassen durfte, denn der Beat, denn der Beat
Bleibt links, skandierten wir in den
Dumpfen Hörsälen vor magerem Publikum,
Durch den Ruhrpott rasend,
Mit Pot-Zigaretten im staunenden Mund,
Ohne um Erlaubnis zu fragen
Die Polizei und die Bürger,
Ohne uns zu scheren,
Mit wallendem Haar,
Aber verwundert, welch Wunder das Leben bereit
Hielt, wenn du nicht anhältst an der
Ampel, egal wie das Farbenspiel,
Wenn dir der Blitz der hellen Freude
Durch den Kopf zischt und du in den süchtigen
Augen die Losung trägst:
We want the world and we want it
Now, bis wir merkten, dass es keine Gewinner
Gibt, sondern nur schöne Verlierer,
Bis aaaargh I feel good
Aus dem Verstärker krachend fuhr und uns ins
Mark traf, wie kann es weitergehen,
Wenn du stehen bleibst?
Also wurden wir Provokateure,
Teure Vagabunden, Heimatlose, Wanderer,
Also zischelten wir: Ach, diese Minderjährigen,
Oder zerrissen die Pop-Plop-Gedichte
Und warfen die Schnitzel ins Publikum, die
Jagd ist eröffnet,
Also summten wir: Mutter Erde, auf der wir
Alle zusammen sind, mit großen Kinderaugen
Und glänzenden LSD-Pupillen,
Also verschenkten wir unsere Herzen wie Dutzendware,
knipsten mit unseren Lidern
Als steckte dahinter die Kamera des
Inneren Weltalls,
Also waren wir in Tages- und Nachtreisen
Verwegen und unnahbar schön,
Denn der Beat bleibt links,
Denn wir wollten verstehn,
Denn der grenzenlose Raum lockt,
Denn Zeit war auf unserer Seite,
Und so verrammelten wir tollkühn die Rat-
Häuser, suhlten uns tabulos in den
Brackwassern der Flüsse,
Gammelten wir durch die Einkaufsparadiese
Mit dem Motto: Geld spielt keine Rolle,
Also waren wir Zukunft,
Und Zuckung,
Und Verlockung,
Und Verruf,
Und heiter und bunt wie Schmetterlinge,
Und versessen darauf, allen zu zeigen,
Wie hübsch wir waren, wie unwiderstehlich, Draufgänger, Saufbrüder,
Höhlenbewohner des Kiffs,
Mit dem Yellow Submarine jedes Riff umfahrend,
Fahrig und verwahrlost,
Eben die, vor denen uns unsere Eltern
Gewarnt hatten,
Bis alles zu viel wurde,
Bis wir stolperten und fielen,
Weil wir nicht mehr gefallen wollten,
Bis wir alle wurden,
Weil wir nur noch lallen konnten,
Bis das magere Licht jenseits des Liebestales,
Das uns magisch angezogen hatte,
Erlosch, bis wir lasch in den Seilen hingen,
Jeder eine Legende,
Ein Überraschungsei,
Ein Segler durch die Mauern in und außer uns,
Aber verraten von unserer Unfähigkeit,
Mehr zu sein als Schein,
Mehr zu werden als Erden,
Mehr zu geben als Piranja-Leben,
Mehr zu erfahren als wir in 100 Jahren
Lernen könnten, entkernen könnten,
Erwärmen könnten, umschwärmen könnten,
Ach, das Bild, das wir von uns machten,
Zerfloss in bleierner Stille,
Unser Wille Ohnmacht,
Ausgelacht wurden wir von den Größen,
Verachtet, weil wir uns entblößten,
Selten auch beweint,
Eingedenk der Lieder: wo meine Sonne scheint,
Und wo meine Sterne stehn,
Da kann man der Hoffnung Land und der
Freiheit Licht in der Ferne sehn,
Aber zu viele kamen nicht an,
Zu viele verrottet, verstorben, verlassen,
Zu viele verwirrt, verirrt, verwest,
Aber einige haben die Suche nach der blauen
Blume nicht aufgegeben,
Einige, die schweben, die heben immer wieder
Die Steine auf, die auf ihren Weg gerollt
Werden wir Groll und Laster, Hohn und Zaster,
Wanderer, kommst du an da,
Dann höre auf den, der sah,
Der nicht abgespritzt wurde,
Von fremder oder eigener Hand,
Der den Verstand schärfte,
Der sich impfen ließ gegen den Ausverkauf,
Der nicht aufhört zu fragen,
Was die Sagen zu verkünden haben,
Was die heiligen Schriften offenbaren,
Von Eingebungen heimgesucht und nicht verflucht,
Immer auf der Suche, immer in Bewegung,
In Erregung nicht verharrend,
Auf Schlangen nicht starrend,
Von Erinnerung zehrend,
Sich über’s Gestern nicht beschwerend,
Lernend und lehrend,
Die Habgier verzehrend,
Die Eifersucht verzehrend,
Den Neid verzehrend,
Den Hass verzehrend,
Die Feindschaft verzehrend,
Das Dunkle verzehrend,
Wie Feuer auf dem Berg der großartigen Toten,
Wie Schneeflocken auf den Wiesen der shcönen Tage,
Wie ein Laserstrahl, der auf die Stirnbänder
Graviert: Come on baby light my heartbeat,
Heart Beat Art Beat Hard Beat Start Beat
Start Beat Bbbbbbbbbbeat
It.

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Der Urvater des Social-Beat. Hadayatullah Hübsch. Photo: Masroor-ahmad

Hübschs literarische Laufbahn begann mit einer Veröffentlichung in der von Peter Rühmkorf herausgegebenen, viel beachteten Sammlung Primanerlyrik – Primanerprosa. 1969 veröffentlichte Hübsch seinen ersten Gedichtband Mach was du willst bei Luchterhand. Der ebenfalls bei Luchterhand veröffentlichte spätere Literaturnobelpreisträger Günter Grass prophezeite Hübsch daraufhin eine große Karriere als Lyriker; Hübsch bevorzugte es jedoch, Undergroundpoet jenseits der „Hauptstraßen“ zu bleiben.

Hübschs Lyrik war inspiriert von experimenteller Literatur, dem Dadaismus und expressionistischer Lyrik. Später haben ihn die Beatliteraten geprägt, vor allem Allen Ginsberg, William S. Burroughs und Jack Kerouac. Nach seiner Konversion zum Islam war seine Lyrik zusätzlich von der mystischen Poesie Persiens, von Hafis, Rumi und Sadi beeinflusst.

Hübsch war ein „Spoken-Word-Dichter“, der die literarische Strömung des deutschen Poetry Slam mitbegründete und Namensvater des ersten Social-Beat Festivals in Berlin war. Er gilt als „Urgestein“ und „Legende“ der Social-Beat-Szene und der „Lyrik Performance“. Er war deutschlandweit unterwegs auf Lesetouren und förderte junge Nachwuchsliteraten. 1996 wurde er zum „Deutschen Literatur-Meister“ beim internationalen Poetry Slam gewählt.

Weiterführend →

Zu den Gründungsmythen der alten BRD gehört die Nonkonformistische Literatur, lesen Sie dazu auch ein Porträt von V.O. Stomps, dem Klassiker des Andersseins. Kaum jemand hat die Lückenhaftigkeit des Underground so konzequent erzählt wie Ní Gudix und ihre Kritik an der literarischen Alternative ist berechtigt. Ein Porträt von Ní Gudix findet sich hier (und als Leseprobe ihren Hausaffentango). Lesen Sie auch die Erinnerungen an den Bottroper Literaturrocker von Werner Streletz und den Nachruf von Bruno Runzheimer. Zum 100. Geburtstag von Charles Bukowski, eine Doppelbesprechung von Hartmuth Malornys Ruhrgebietsroman Die schwarze Ledertasche. 1989 erscheint Helge Schneiders allererste Schallplatte Seine größten Erfolge, produziert von Helge Schneider und Tom Täger im Tonstudio/Ruhr. Lesen Sie auch das Porträt der einzigartigen Proletendiva aus dem Ruhrgebeat auf KUNO. In einem Kollegengespräch mit Barbara Ester dekonstruiert A.J. Weigoni die Ruhrgebietsromantik. Mit Kersten Flenter und Michael Schönauer gehörte Tom de Toys zum Dreigestirn des deutschen Poetry Slam. Einen Nachruf von Theo Breuer auf den Urvater des Social-Beat finden Sie hier – Sowie selbstverständlich his Masters voice. Und Dr. Stahls kaltgenaue Analyse. – Constanze Schmidt beschreibt den Weg von Proust zu Pulp. Ebenso eindrücklich empfohlen sei Heiner Links Vorwort zum Band Trash-Piloten. Inzwischen hat sich Trash andere Kunstformen erobert, dazu die Aufmerksamkeit einer geneigten Kulturkritik. In der Reihe Gossenhefte zeigt sich, was passiert, wenn sich literarischer Bodensatz und die Reflexionsmöglichkeiten von populärkulturellen Tugenden nahe genug kommen, der Essay Perlen des Trash stellt diese Reihe ausführlich vor. Die KUNO-Redaktion bat A.J. Weigoni um einen Text mit Bezug auf die Mainzer Minpressenmesse (MMPM) und er kramte eine Realsatire aus dem Jahr 1993 heraus, die er für den Mainzer Verleger Jens Neumann geschrieben hat. Jürgen Kipp über die Aufgaben des Mainzer Minipressen-Archives. Ein würdiger Abschluß gelingt Boris Kerenski mit Stimmen aus dem popliterarischen Untergrund.