Wenn wir von „deutschsprachiger“ Lyrik sprechen, vergessen wir allzuoft, daß in Luxemburg auch Gedichte „auf gut deutsch“ geschrieben werden. Seit Jahrzehnten bereits erscheinen in der Editions Phi Gedichtbände von Menschen, von denen ich bislang nichts, aber auch gar nichts ahnte – von einzelnen bekannteren Ausnahmen wie Guy Helminger oder Roger Manderscheid einmal abgesehen. Der kleine, bibliophil ausgerichtete Verlag Editions Phi ist mir allerdings seit Jahren ein Begriff – mit dem Begründer und langjährigen Verleger Francis van Maele (der den Verlag nach 2000 in die Hände von Angelika Thomé gelegt hat) arbeite ich im buchkünstlerischen Bereich zusammen, aber die schön gestalteten Bändchen der Reihe Graphiti stellen eine echte Überraschung dar. Guy Helminger schätze ich, seit ich seine starken Gedichte in Axel Kutschs Anthologie Zeit. Wort las. Diesen Eindruck kann ich nun durch die Lektüre von Leib eigener Leib (2000) und Verwanderung (2002) vertiefen. Auch Nico Helminger schreibt gute Gedichte: In In eigener Säure (1996) und Grenzgang (2003) lese ich starke Lyriksequenzen mit tiefgängiger Wortkombinatorik. Hochunterhaltsam (bei aller untergründigen Trauer) sind die mit visuellpoetischen Arbeiten illustrierten Gedichte des Luxemburgers Roger Manderscheid in summa summarum – gedichte aus einem vergangenen jahrhundert (2000). Immer noch lieferbar sind im übrigen die schon vor längerer Zeit erschienenen, aber immer noch gut genießbaren Gedichtbücher risse (1981) von B.E. Preuschoff sowie Guy Wagners Ziviler Ungehorsam. 15 Jahre Protestlyrik (1984), ein Buch, das während des Lesens globale Schweinereien der 1960er/70er Jahre Revue passieren läßt. Mit spitzer Feder entstehen die Verse von Jean-Paul Jacobs, dessen ironisch-lockerer Tonfall im Gedichtband Jenes Gedicht & Mit nichts (2004) eine vergnügliche Lektüre garantiert, bei der das Lachen allerdings regelmäßig im Halse steckenbleibt und den einen oder anderen Hustenanfall hervorruft:
LIEBER FASAN
Lieber Fasan
bevor man dich abknallt
mal uns in Watteaus Manier
das schöne
Fasanenfest
* * *
Weiterführend → Ein Essay über den Lyrikvermittler Theo Breuer.
→ Poesie zählt für KUNO zu den identitäts- und identifikationstiftenden Elementen einer Kultur, dies bezeugt der Versuch einer poetologischen Positionsbestimmung. Um den Widerstand gegen die gepolsterte Gegenwartslyrik ein wenig anzufachen schickte Wolfgang Schlott dieses post-dadaistische Manifest. Warum Lyrik wieder in die Zeitungen gehört begründete Walther Stonet, diese Forderung hat nichts an Aktualität verloren. Lesen Sie auch Maximilian Zanders Essay über Lyrik und ein Rückblick auf den Lyrik-Katalog Bundesrepublik. KUNO schätzt den minutiösen Selbstinszenierungsprozess des lyrischen Dichter-Ichs von Ulrich Bergmann in der Reihe Keine Bojen auf hoher See, nur Sterne … und Schwerkraft. Gedanken über das lyrische Schreiben. Lesen Sie ein Porträt über die interdisziplinäre Tätigkeit von Angelika Janz, sowie einen Essay der Fragmenttexterin. Ein Porträt von Sophie Reyer findet sich hier, ein Essay fasst das transmediale Projekt „Wortspielhalle“ zusammen. Auf KUNO lesen Sie u.a. Rezensionsessays von Holger Benkel über André Schinkel, Ralph Pordzik, Friederike Mayröcker, Werner Weimar-Mazur, Peter Engstler, Birgitt Lieberwirth, Linda Vilhjálmsdóttir, und A.J. Weigoni. Lesenswert auch die Gratulation von Axel Kutsch durch Markus Peters zum 75. Geburtstag. Nicht zu vergessen eine Empfehlung der kristallklaren Lyrik von Ines Hagemeyer. Diese Betrachtungen versammeln sich in der Tradition von V.O. Stomps, dem Klassiker des Andersseins, dem Bottroper Literaturrocker „Biby“ Wintjes und Hadayatullah Hübsch, dem Urvater des Social-Beat, im KUNO-Online-Archiv. Wir empfehlen für Neulinge als Einstieg in das weite Feld der nonkonformistischen Literatur diesem Hinweis zu folgen.