Es gibt treffliche Gedichte des noch ziemlich jungen Griechen Stamatis Polenakis, der den alten Odysseus zum Namensträger eines durch unsere Zeit irrenden Menschen macht – wir sehen den gebrochenen Menschen der Moderne, der dem Schicksal der Geschichte ausgeliefert ist.
Im ersten Gedicht die Anspielung auf Celans Sulamith; im zweiten die verlustreiche Eroberung der Stadt Teruel durch Francos Truppen im Spanischen Bürgerkrieg, unterstützt durch die Legion Condor; es folgt die kapitalistische Verödung der griechischen Heimat, der Tod der Mutter und der eigene Lebensrausch; im vierten Gedicht die Schlacht an der Weichsel im Herbst 1914; im fünften Gedicht Rimbaud in Abbessinien, eine letzte Liebe, Myriam, – und hier scheint das lyrische Ich schon zu wechseln … zu sterben. Schließlich das Epitaph, die Verallgemeinerung, die Wiederholung der alten Mythen in neuen.
DES ODYSSEUS GRABINSCHRIFT
Hier liegt Odysseus, Sohn des Laertes;
jener der nie gelebt;
jener der von einem End zum anderen
das fremde Binnenland der Nacht durchquerte.
Unser Los ist der Untergang
und der Wellen ewige Wiederkehr.
Was heute gewonnen, ist morgen verloren.
Die Götter mischen stets die Karten neu.
Ein wenig denkt der Leser auch an die heutige Zerstrittenheit Europas, nur werden die Kämpfe jetzt heftiger als bisher ökonomisch geführt, mit Geld, Banken, Waffenexport, Embargo, Sanktionen, Steuerparadiesen und Wirtschaftshöllen … da leben Mythen wieder auf, Kirke und die Sirenen in der Beziehungs- und Warenwelt, Ikarus und Prometheus vermessen Welt und All … Es sind sehr beeindruckende Gedichte, die Stamatis Polenakis schrieb, und die Bonner LEXIS-Gruppe hat gute Übersetzungs-Arbeit geleistet.
Weiterführend → Poesie zählt für KUNO weiterhin zu den identitäts- und identifikationstiftenden Elementen einer Kultur, dies bezeugte auch der Versuch einer poetologischen Positionsbestimmung.