für 40 cent
ein viertel des preises
für einen kleinen braunen
bei eduscho oder tchibo
kaufe ich in Eisenstadt
wo ich zufällig bin
in einem altwarengeschäft
in dem ich das schmale bändchen
aus einem ramschwarenangebot
in einem plastikkorb herausziehe
den gedichtband meines kollegen
Hans Raimund mit dem titel
der lange geduldige blick
vorne auf dem umschlag
name titel und das wort gedichte
in eigenartiger manier geschrieben
in versalien vielleicht vom autor selbst
auf der weißen umschlagrückseite
ein gedicht auf mittelachse gesetzt
gleich einem motto hingesetzt
ein leitfaden von außen nach innen
ich lese die ersten zeilen die lauten
Für das Blühen des Ginsters im Karst
voll Ungeduld erwartet
hast du kein Auge gehabt
kein Ohr
und da erinnere ich mich
sehe das bild vor mir wie
wir herauffuhren von Triest
auf der gewundenen straße
dann noch einmal ein blick
hinunter zum meer rundum
der gelb blühende ginster
schau wie ein wunder
sagte ich damals zu ihr
immer ist es dieses blühen
die einzig gültige antwort
der einzige schutzraum
für eine lebensspanne
vor sterben und tod
i postskripta aus Duino
steht auf seite acht
wiederum in versalien
und ich lese das wort
Zitronendropsmond
sehe die kleine scheibe vor mir
und spüre den zitrusgeschmack
in meinem mund und sehe mich
nachts spazieren über den fels
oben im Karst hoch über Triest
und sehe das zelt in dem sie
längst schläft nur ich bin wach
all das liegt wie man so sagt
mehr als ein halbes leben zurück
der duft des ginsters noch immer
in meiner erinnerung der geruch
brennenden unkrauts im herbst
gewitterwolken oben am himmel
so vieles im leben ist einfach sage ich
das wasser der stein die erde der schnee
die sonne das blühen der ginster das licht
doch in der dämmerung verschwinden
die schatten und mein eigener auch
ein boot weit draußen am meer
ein winziger punkt ein mensch
zeitlosigkeit die liebe der tod
die namen stehen geschrieben
an den wänden der folterkerker
die schreie der gefolterten sind
noch immer auf ihrer reise
in die antwortlosigkeit
bei der autobahnraststätte
schon im Slowenischen haben wir
damals halt gemacht ich trank
einen grappa und einen kaffee
wir sprachen von Charles Lombard
dem übersetzer und freund der
zuvor ertrunken im reißenden fluß
wir wußten daß wir uns trennen
darüber sprach keiner von uns
alles war fühlbar und brüchig
auf seite neunundzwanzig
im buch bin ich jetzt und lese
tagelang in einem boot
auf dem Wasser zu treiben
und sehe mich selber rudernd
im boot damals in Medolin
in der bucht vor Brioni
und auch im slowenischen Bled
und auf anderen flüssen und seen
immer bin ich zu ufern gerudert
und wieder ans andere ufer zurück
sinnlos sage ich mir jetzt sinnlos
aber ich habe längst aufgehört
solche lebensfragen zu stellen
gelb und duftend blüht der ginster
weiß hängen die dolden der akazien
zu tausenden herab wir fahren hoch
über der bucht von Triest hinunter
zum meer sommerhitze staub durst
wir werden bald ankommen sage ich
es ist nicht mehr weit bis Buje und
von dort sehen wir schon Lanterna
und da sind wir dann vorübergehend
für zwei wochen zuhause es ist sommer
so viele sommer wie viele sommer noch
es ist sinnlos solche fragen zu stellen
schau wie der ginster blüht schau wie
die weißen schiffe durchziehen das meer
der lange geduldige blick auch nach innen
noch geht es uns gut sage ich sanft
und erhalte schweigendes nicken
als eine zustimmende antwort
und sehe hinaus in die ferne
ins letzte verschwindende licht
***
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Über den dezidiert politisch arbeitenden Peter Paul Wiplinger lesen Sie hier eine Würdigung.