Wenn dieses Buch ein Maschinengewehr wäre, würde ich Sie damit niederschießen.
Rolf Dieter Brinkmann in einer Replik auf Marcel Reich-Ranicki
„RDB“, wie er von den Fanboys genannt wird, war eine typische Zeiterscheinung, der 1960-er Jahre: laut, wild und wie man heute sagen würde: frauenfeindlich. Die ästhetische und politische Radikalisierung von Rolf Dieter Brinkmann läßt sich nicht auseinanderhalten. Sein in 2005 erschienener director’s cut soll belegen, warum dieser Band einen nahezu kanonischen Stellenwert in der neueren deutschen Literatur erlangt haben soll.
Mir fällt nur ein deutscher Schriftsteller nach Weltkrieg #2 ein, der keine Zensur gebilligt hat: Rolf Dieter Brinkmann. Dieser Kollege benahm sich wild und fragte sich nicht, ob das gut oder böse oder wie es neudeutsch lautet: politisch korrekt ist.
A.J. Weigoni
Bei der Re:Lektüre wird eine inhaltliche Spannung, in starken Schwankungen zwischen den Gedichten bemerkbar. Obschon geplante Texte in dieser Ausgabe hinzugefügt sind, zerfällt „Westwärts 1&2“ in nahezu in drei Teile. Zu einem Drittel sind es Gedichte, die in ihrer Zeit stehen geblieben sind, es ist eine lesbar gealterte Neue Innerlichkeit, Alltägliches und Persönliches, eine Rückkehr zum Ich und zur Selbstreflexion beschrieben. Das zweite Drittel bezeugt die Lektüre von Arno Schmidts „Zettels Traum“, es sind lediglich ungelenke Plagiate und nicht weiter erwähnenswert. 1/3 der Gedichte liefern gleichsam den Soundtrack für die entstehende Lumpenbourgeoisie. Hier ist ein Proletkult dokumentiert, wie eben auch die politisch-popkulturelle Wirklichkeit der 1970ger Jahre. Die politische und ästhetische Experimentierfreudigkeit des Autors flackert nach seiner Sinnkrise zu Beginn des Jahrzehnts in hellsten Flammen auf und belegt, daß die kreativste Phase des kulturellen Aufbegehrens bereits vorbei war. Man kann diese Form des Trash als faszinierendes Zeitdokument auch 30 Jahre später noch lesen und sollte sie daher in einem schmalen Leseband auskoppeln. Allerdings ohne das Nachwort!
„Unkontrolliertes Nachwort zu meinen Gedichten“
Wir quälen uns durch ein erstmals in ganzer Länge abgedrucktes 89 Seiten umfassendes Nachwort, in dem Brinkmann über den Hintergrund für seinen Rückzug aus der Popszene und die Wende in seinem Schreiben aus erster Hand schreibt. In diesem essayistischen Text begeht er einen sprachlichen Amoklauf, es fehlt ihm die notwendige Vertiefung, wenn er allzusehr additiv, aufzählend, abklappernd Literatur charakterisiert. An keiner Stelle wird ersichtlich, daß er dem Material intellektuell auch nur ansatzweise gewachsen ist. Er hat aufgehört, seiner Sprache zu vertrauen und seine Sprache hat aufgehört, Sinn zu enthalten.
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Westwärts 1 & 2 von Rolf Dieter Brinkmann. Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2005
Weiterführend →
Ein Blick ins KUNO-Archiv: Lesen Sie auf KUNO eine Betrachtung der Jugendsünden des RDB. Aufzeichnungen eines Abgeschriebenen von Jamal Tuschik. Einen Besuch des RDB-Hauses, von Enno Stahl. Auch Sophie Reyer hat sich in der Domstadt auf die Spuren von RDB begeben. Einen Artikel über Das wild gefleckte Panorama eines anderen Traums, Rolf Dieter Brinkmanns spätes Romanprojekt, von Roberto Di Bella. Und die Beantwortung der Frage: „Wer hat Angst vor RDB? durch Axel Kutsch. Lesen Sie auch KUNOs Hommage an die Gattung des Essays.