Charismatische Blöcke

Ein Charakterbild für Anke de Witt

 

Steht da. Ruhig. Ernst. Die Augen signalisieren: Ich denke. Ich höre dir zu. Zwei kleine Stirnfalten in der Mitte wollen sprechen: Ich verstehe dich! Die Finger spielen mit dem Mund, der schweigen muss beim Zuhören. Höre ich, was Sandra da vorliest? Oder höre ich mir beim Schweigen zu, höre ich mich selbst als Lärm?

Steht da. Ruhig. Ernst. Langsame Bewegungen der Arme. Die Haare hinten streng geknotet. Kopf geradeaus, nicht hoch. Gute Haltung. Klare Anweisungen. Habt ihr mich verstanden? Ja. Schöne Direktheit. Ist sie so ausgeglichen, wie sie wirkt? Die ganze Nacht nicht geschlafen, Migräne unterm Mond… Aber die Kraft der Jugend hilft drüber weg, Euskirchener Stabilität auch. Habe ich mich heute wieder angemessen angezogen? Ja. Zum Glück habe ich so viele Klamotten, dass ich variieren kann. Sehen das die Kids überhaupt? Egal. Tu ich das für meine Kollegen? Nein. Nur für mich. Bin ich in mich selbst verliebt? Nein, glaube ich.

Steht da. Fest. Aber die Hand sucht Halt, greift an den Hals, an den Mund, ruht auf dem Hals, nun spielen die Finger mit den Lippen, was bedeutet das? Das weiß ich doch auch nicht, ich merke das gar nicht. Es fällt kaum auf. Den Schülern ist das egal, die sehen mich als Ganzes, als Gestalt, als Rolle eben. Ja, ich bin ruhiger geworden, meine Hände zappeln nicht mehr so, nichts zittert, die Augen flackern nicht – schon wächst mir eine neue Aura zu, ich wirke, aber so richtig locker bin ich noch nicht wirklich.

Mit sicheren Schritten geht sie durch die Klasse, Anke de Witt, noch etwas wie ein Mädchen, und doch schon die Dame von bald, die sie auch sein will. Ich gehe durch den Klassenraum, das ist mein Land, das ist mein Gebiet.

Manchmal bin ich gelangweilt, wenn ich so dastehe und warte, wenn die Schüler meine Impulse weiterverwandeln. Interessiert mich das wirklich, was die so denken und sagen? Meistens weiß ich ja schon vorher, was kommt. Aber WIE es kommt, das reizt mich. Ich bin aber, das fühle ich, noch sehr eingebunden in das Maß- und Messwerk der Erwartungen von Seminar, Fachleiterkritik und Selbstanspruch, bin noch nicht frei zu tun was ich will oder was einfach sich so vollzieht. Ich steh noch nicht drüber. Aber da will ich hin – und das schaffe ich.

 

Weiterführend →

Ulrich Bergmann nennt seine Kurztexte ironisch „gedankenmusikalische Polaroidbilder zur Illustration einer heimlichen Poetik des Dialogs“. Wir präsentieren auf KUNO eine lose Reihe mit dem Titel Splitter, nicht einmal Fragmente. Lesen Sie zu seinen Arthurgeschichten den Essay von Holger Benkel. Eine Einführung in seine Schlangegeschichten finden Sie hier.

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