Das mürrische Verwüsten,
das mir gedient als Schlaf,
zerstreut sich bei der frühsten
Röte, die mich traf.
In meine Seele dringe
ich auf des Zutrauns Schwinge:
Das ist mein Frühgebet!
Dem Sande kaum entglitten,
in meines Verstandes Schritten
wie herrlich es sich geht.
Gruß, ihr, noch Schlafbereiten,
an eures Lächelns Paar,
vertraute Ähnlichkeiten
unter der Worte Schar.
Wenn erst die Bienen lärmen,
so fang ich euch in Schwärmen,
schon hat meine Vorsicht jetzt
auf die Sprosse der goldenen Leiter,
die leise erzittert, heiter
den weißen Fuß gesetzt.
Welches Frührot über den Rücken,
die ein Frösteln überlief?
Ein Strecken und ein Bücken,
wo eben noch alles schlief:
Die gähnt noch, die, ganz Flamme,
langt nach dem Schildpattkamme
mit Fingern, die sie nicht lenkt,
noch nah an des Traumes Wende,
knüpft sie träge sein Ende
an die Stimme, die vorbedenkt.
Seid ihr das, ihr Halberwachten!
Was war diese Nacht euer Tun?
Ideen, die Leere verachten,
und stark sind, bei jedem zu ruhn?
Stets brav ist, was wir taten,
unsterblich verweilend verraten
wir niemals dein Dach, und hier
war keine von uns am Entrinnen,
wir sind die heimlichen Spinnen
innen im Dunkel in dir!
Und bist du nicht vor Glück
trunken! von allen den Sonnen,
die das Gewebe zurück
wirft, das dein Rätsel umsponnen?
Sieh zu, was wir leise dir schafften,
wie die einfachen Fäden haften
an deines Abgrunds Rand,
und schon ließ die Natur sich verleiten,
unser bebendes Vorbereiten
hat sie mit Netzen umspannt…
Ihr geistig leichtes Gespinne,
ich stieß daran und durchdrangs
und suche im Wald meiner Sinne
den Ansatz meines Gesangs.
Sein!.. .Weitestes aller Gehöre!
Als ob sich die Seele verlöre
und wäre nur Sehnsucht schon …
Sie vernimmt ihr eigenes Beben,
und manchmal, scheint es, geben
die Lippen denselben Ton.
Spaliere meiner Spiele,
mein schattiges Weingewind!
Der Bilder sind so viele,
als Blicke in mir sind …
Von jedem Blatte schnellen
mir zugeneigte Quellen,
ich trink ihr Geräusch von fern …
Was ist mir nicht Mark und Mandel,
mich heißt jeder Kelch seinen Wandel
erwarten zum vollen Kern.
Ich fürchte nicht Dornen im Laube!
Erwachen ist gut, selbst hart!
Es gibt bei so reinem Raube
keine sichere Gegenwart:
eine Welt an sich zu reißen
kann nur so sich verwunden heißen,
daß, wer sie an sich riß,
eine fruchtbare Wunde gewänne,
wenn das eigene Blut nicht ranne,
nie war der Besitz gewiß.
Ich nahe dem unsichtbaren
Weiher, und drinnen schwimmt
meine Hoffnung, getragen vom Klaren,
das sie bei den Brüsten nimmt.
Ihr Hals reicht in schwankende Zeiten
und läßt in der Flut jenes Gleiten,
das ein herrlicher Hals schafft, entstehn …
Sie fühlt unter ebener Glätte,
daß die Tiefe kein Ende hätte,
und schauert herauf von den Zeh’n.
***
Gedichte von Paul Valéry, übertragen durch Rainer Maria Rilke. Weimar: Cranach Presse für Leipzig: Insel-Verlag, 1925.
Weiterführend → KUNO dokumentiert den Beginn einer Wahlverwandtschaft.
→ Lesen Sie auch den Essay von Rainer Maria Rilke auf KUNO über Moderne Lyrik.
→ Poesie zählt für KUNO weiterhin zu den identitäts- und identifikationstiftenden Elementen einer Kultur, dies bezeugte auch der Versuch einer poetologischen Positionsbestimmung.