… Ich glaubte meinen Ohren nicht zu trauen, als er, eine flüchtige Bekanntschaft, sagte, er habe ein Gedicht geschrieben, und der einzige Grund, warum er mich heute für kurze Zeit (Zeit) angesprochen habe, sei der, mir den Vorschlag zu machen, mit ihm zusammen sein Gedicht zu lesen. Ich habe seit Jahrzehnten kein gutes Gedicht mehr gelesen, ich habe die Wogen der Zeit ausgesperrt, und ich hasse nichts mehr als heiß gestammelte Worte in der Nacht, tatsächlich nichts mehr als unnötige Flecken auf dem Schweigen, dem Nichts (Nichts), und die Dunkelheit der Lyrik, Worte überhaupt, sagte ich, aber ich dachte gestern, ich schaue mir diese endlose Leere an und teile mit ihm die Unendlichkeit und das Vergnügen dieser perversen Verrücktheit. Ja, sagte ich, man ist alles, man ist allein, das ist die Wahrheit, wenn es sein ausdrücklicher Wunsch sei, dass ich sein Gedicht lese, lese ich es, lese ich diese unentrinnbare Schwärze, Kälte, Einsamkeit, von der das lyrische Ich naturgemäß immer nur faselt, und er sagte, ja, es sei sein ausdrücklicher Wunsch, und gab mir sein Gedicht (Gedicht). Tatsächlich habe ich das Gedicht gelesen. Es war entsetzlich.
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Aus der Reihe Keine Bojen auf hoher See, nur Sterne … und Schwerkraft Gedanken über das lyrische Schreiben.
Weiterführend → Poesie zählt für KUNO weiterhin zu den identitäts- und identifikationstiftenden Elementen einer Kultur, dies bezeugte auch der Versuch einer poetologischen Positionsbestimmung.