Vor 100 Jahren wurde Daniil Charms geboren
Daniil Charms erlebte als Erwachsener den Umbruch zwischen zaristischer Vergangenheit und sowjetischer Zukunft. Als er im Revolutionsjahr 1905 geboren wurde, war St. Petersburg seit zwei Jahrhunderten Hauptstadt und bis 1918 Schauplatz aller wichtigen Revolutionen. Die nach der Oktoberrevolution einsetzende Hungersnot und der Bürgerkrieg ließ die Einwohnerzahl von 2,5 Millionen auf 722.000 im Jahr 1920 sinken. Auch die Familie Juwatschow verließ die Stadt und verbrachte einige Zeit im Haus der Großeltern mütterlicherseits in der Gegend von Saratow.
Mit dem Umsturz endete auch das Silberne Zeitalter mit seinen literarischen Hauptströmungen Symbolismus, Akmeismus und Futurismus. Die heterogene, provokative Richtung des Futurismus spielte besonders mit den Wortwurzeln und Klangelementen der Sprache und war Vorbild für Charms. In der Malerei drückte sich der Futurismus in der abstrakten Kunst aus, deren wichtigster Vertreter in St. Petersburg Kasimir Malewitsch („Kubofuturismus“) war.
1925 lernte Charms den Dichter Alexander Wwedenski kennen, der seit der gemeinsamen Schulzeit mit dem Philosophen Leonid Lipawski und Jakow Druskin befreundet war. Charms fand Anschluss an diesen Kreis, mit dem er sein Leben lang eine enge Freundschaft über alle Gruppierungen hinweg pflegte. Druskin nennt in seinen Tagebüchern Namen und Titel, die ihn und seine Freunde prägten. Dazu gehören die Philosophen Nikolai Losski und Wladimir Solowjow, die Dichter und Futuristen Welimir Chlebnikow, Alexei Krutschonych und der frühe Majakowski sowie die Filme Das Cabinet des Dr. Caligari oder Dr. Mabuse, der Spieler. Als prägende Schriftsteller werden Gustav Meyrink, Knut Hamsun und besonders die Werke von Sigmund Freud genannt, von denen bis zum Verbot 1936 allein im Staatsverlag 28 der 50 russischen Übersetzungen erschienen waren. In den 1920er Jahren hatte die psychoanalytische Bewegung in der Sowjetunion ihren Höhepunkt und beschäftigte auch andere Vertreter der Avantgarde.
Charms war nicht nur in verschiedenen, unterschiedlichen künstlerischen Gruppierungen, er pflegte auch sonst vielfältige Kontakte, die über seine systematisch geführten Aufzeichnungen namentlich erschlossen werden können. Darunter befanden sich etwa 150 Schriftsteller, mehr als 60 Schauspieler und Regisseure sowie um die 50 Maler.
1925 traf Charms den Dichter und Kunstwissenschaftler Alexander Tufanow, der mit seiner Dichtung an Welimir Chlebnikow anknüpfte, für seine phonematischen Experimente bekannt war und zu den letzten gehörte, der noch in der zaum’-Lauttradition schrieb. Die erste Schriftstellervereinigung, der Charms beitrat, war der von Tufanow gegründete Orden DSO. Im Herbst 1925 benannten sie sich in Samowtschinaum und anschließend in Linke Flanke.
Gemeinsam mit Wwedenski formierte Charms 1926 die Vereinigung der Tschinari (dt. „Rang“, „Beamter“), einen privaten Freundeskreis, in dem die beiden Philosophen Druskin und Lipawski eine wichtige Rolle spielen und der sich vor allem mit religiösen Fragen beschäftigte. Erhalten sind die Protokolle der Gespräche aus den Jahren 1933 und 1934.
Auch in offiziellen Verbänden war Charms Mitglied. So wurde er am 26. März 1926 in den Allrussischen Dichterverband aufgenommen, aus dem er jedoch wegen nichtgezahlter Mitgliedsbeiträge am 30. September 1929 wieder ausgeschlossen wurde. Am 1. Juli 1934 trat er dem 1932 gegründeten Schriftstellerverband der UdSSR bei.
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Kurt Tucholsky über die Premiere von Dr. Caligari.
Dem Begriff Trash haftet der Hauch der Verruchtheit und des Nonkonformismus an. In Musik, Kunst oder Film gilt Trash als Bewegung, die im Klandestinen stattfindet und an der nur ein exklusiver Kreis nonkonformistischer Aussenseiter partizipiert. Dieser angeschmutzte Realismus entzieht sich der Rezeption in einer öffentlichen Institution. In der Reihe Gossenhefte zeigt sich, was passiert, wenn sich literarischer Bodensatz und die Reflexionsmöglichkeiten von populärkulturellen Tugenden nahe genug kommen. Der Essay Perlen des Trash stellt diese Reihe ausführlich vor. Daher sei sei Enno Stahls fulminantes Zeitdokument Deutscher Trash ebenso eindrücklich empfohlen wie Heiner Links Vorwort zum Band Trash-Piloten. Ebenso verwiesen sei auf Trash-Lyrik.