Ausflüge

 

Es gibt, wie wir wissen, eine Gesellschaft zur Verbreitung nützlicher Kenntnisse. Die Leute behaupten nämlich, Wissen sei Macht und dergleichen mehr. Mich dünkt, daß ein gleiches Bedürfnis nach einer Gesellschaft zur Verbreitung nützlicher Unwissenheit besteht, eines Wissens, das in höherem Sinne nützlich ist, und das ich das »schöne Wissen« nennen möchte. Denn unser vielgerühmtes sogenanntes Wissen, was ist es anderes als die Einbildung etwas zu wissen, wodurch uns die Vorteile unserer tatsächlichen Unwissenheit geraubt werden? Was wir unser Wissen nennen, ist häufig unser positives Nichtwissen, unser Nichtwissen unser negatives Wissen. In langjähriger zäher und emsiger Zeitunglektüre – denn sind die wissenschaftlichen Bibliotheken etwas anderes als Stöße Zeitungpapier? – häuft der Mensch eine ungeheuere Menge von Tatsachen auf und legt sie in seinem Gedächtnis nieder; wenn er aber in einem Frühlingsmoment seines Leben abseits in die weiten Gefilde des Denkens hineinschlendert, dann geht er sozusagen wie ein Pferd zur Weide und läßt sein Zaumzeug daheim im Stall. Der Gesellschaft zur Verbreitung nützlicher Kenntnisse möchte ich zuweilen zurufen: Geht zur Weide! Ihr habt lange genug Heu gefressen.

 

 

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Henry David Thoreau gilt als Schriftsteller auch in formaler Hinsicht als eine der markantesten Gestalten der klassischen amerikanischen Literatur. Eine Einführung in Leben und Werk von Gerhard Gutherz findet sich hier. Als sorgfältig feilender Stilist, als hervorragender Sprachkünstler hat er durch die für ihn charakteristische Essayform auf Generationen von Schriftstellern anregend gewirkt. Wir begreifen die Gattung des Essays auf KUNO als eine Versuchsanordnung, undogmatisch, subjektiv, experimentell, ergebnisoffen.

Weiterführend → ein Essay über die neue Literaturgattung Twitteratur.