Bei der Ankunft unserer Delegation in Moskau, 1965, sagte der Schriftsteller Kiatkin, der beauftragt war, uns zu empfangen und zu dolmetschen: »Die Russen werden schmunzeln, wenn Sie sich vorstellen mit Ihrem Familiennamen!« Ich habe es dann im Verlauf der Reise erlebt: Die Gastgeber, nicht Schriftsteller allein, Leserinnen und Leser, erinnerte mein Familienname an einen der beiden Protagonisten im Roman des Autorenduos Ilja Ilf und Jewgeni Petrow mit dem Titel Zwölf Stühle.
Ostap Bender heißt er. Ein gutaussehender, charmanter junger Mann, ein Schlawiner, gescheiter und gerissener als die andere Hauptgestalt, der vertrottelte Staatsbeamte Worobjaninow. Ihm hat Ostap Bender als Kompagnon sich zugesellt auf der komplizierten Suche nach dem einen Stuhl, in dessen Polster Worobjaninows steinreiche Schwiegermutter aus Furcht vor räuberischen Revolutionären ihre Juwelen eingenäht hat. Ostap Bender ist »der große Kombinator« auf der gemeinsamen Suche, richtiger, der turbulenten Reise kreuz und quer durch die Sowjetunion; durch Verhältnisse, die nicht dem entsprechen, was die Propaganda vorgaukelt.
Der Roman spielt in der Epoche der NEP, in einer vergleichsweise liberalen, aufgeregten Zeit. Die Schriftsteller, auch Maler und Musiker, auch llf und Petrow, konnten sich mehr Freiheiten und Frechheiten erlauben als in den Jahren davor, erst recht danach, als Stalin mächtig wurde. Ostap Bender demonstriert in seiner Art, wie man als Individuum sich behauptet, Hindernisse überwindet, Niederlagen übersteht. llf und Petrow begingen den Fehler, den allseits bewunderten Helden gegen Ende der Zwölf Stühle sterben zu lassen. Die Leser waren enttäuscht. Viele protestierten. Und tatsächlich. llf und Petrow ließen Ostap Bender auferstehen und zum zweiten Mal seine Rolle spielen in ihrem nächsten gemeinsamen Roman Das goldene Kalb oder Die Jagd nach der Revolution, dem jedoch der gleiche Erfolg wie den Zwölf Stühlen versagt blieb.
Vor acht Jahren reiste ich wieder nach Rußland. diesmal in einer Touristengruppe. Sankt Petersburg war die erste Station. Die junge Russin – Anja hieß sie –, die uns am Flughafen empfing, uns in die Busse und Hotels zu verteilen, hatte Mühe, auf ihrer langen Liste die schwierigen deutschen Namen zu finden. Ich ging hin, ihr zu helfen, meinen Namen zu entdecken, und sprach ihn aus, wie die Russen ihn aussprechen: mit jeweils weichem J vor dem E. Da kräuselte sich nicht nur Anjas Miene zu dem mir wohlbekannten Schmunzeln, nein, Anja umarmte mich stürmisch und schmatzte zwei Küsse auf meine Wangen rechts und links. Ostap Bender war also noch lebendig im veränderten Rußland. llfs und Petrows Roman Zwölf Stühle wurde noch immer gelesen, und ich profitierte davon. Zwei Küsse für meinen schlichten Nachnamen. Das gab es in keinem anderen Land.
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→ In loser Folge bringt KUNO sämtliche nach 2000 entstandenen Aufzeichnungen Hans Benders (*1919), die erstmals in Matrix 29. Jeder auf seine Art für Hans Bender veröffentlicht werden.
Weiterführend → ein Essay über die neue Literaturgattung Twitteratur.