Schläuchmaschin basiert auf Tatsachen, die mir Schüler meiner 10C erzählten. Nur der Schluss ist erfunden, soll aber gelesen werden als Bild für die selbstzerstörerische Tendenz beim Suchen nach sich selbst, Saufpotenz mangels Gelegenheit an Realisierung sexueller und geistiger Potenz zum selbständigen und verantwortlichen Handeln in gesellschaftlichen Räumen.
Am Arsch der Welt dokumentiert die Freude des Erzählers am Spiel, das in alltägliche Wirklichkeiten hineingewoben ist: Hier ist es die Begegnung mit einer schönen Frau in einer Würstchenbude am Alex, mit der (Frau u n d Würstchenbude!) das Erzählte konkurriert. Wochen später traf der berichtende Erzähler (ich) HEL dann tatsächlich im Torpedokäfer, Prenzlauer Berg.
Re: Matrix ist eine Auseinandersetzung mit tatsächlich geschehenen Handlungen: Die gefährliche Austauschbarkeit von Wirklichkeit und Vorstellung. Allerdings sollte man, um alle Anspielungen dieses Textes (insbesondere die satirische Ebene) zu verstehen, den Film „Matrix“ kennen.
Tacheles beruht auch auf einer tatsächlichen Begebenheit, die ich lediglich zu einer (reflektorischen) Erzählung umgeformt habe. Mir geht es hier um die trocken gemixten Tatsachen, die Oberflächlichkeit der Beziehungen und das Schnöde der (zwischen-) menschlichen Fehldeutungen.
Nikotin ist eine böse Geschichte. Aber auch sie war vor einiger Zeit wirklich passiert. Tatsächlich haben Jugendliche einen alten Mann, der ihnen keine Zigarette gab, in einer über 10 Stunden langen Nacht langsam zu Tode gequält. In meiner Geschichte stirbt jedoch einer der Jungen, während der Mann die Folter körperlich (nicht aber seelisch) übersteht. Böses Spiel steckt auch in den Kafka-Bezügen…
23:55 Gelächter im Nebenzimmer (Der Process)
0:05 Ich fresse dich (Ein Landarzt)
0:22 In die Haut geschnittene Buchstaben (In der Strafkolonie)
1:01 (Die Brücke)
1:44 Ich verurteile dich … (Das Urteil); Du Vieh!… (Ein Landarzt)
2:00 Pferdeköpfe… Hacke… (Ein Landarzt); Wie ein Hund (Der Process); Winter…
Frost… (Ein Landarzt)
4:48 Diese Uhrzeit ist der Titel des letzten Stücks von Sarah Kane.
Die Lösung ist eine ins Absurde fortgesponnene erlebte Wirklichkeit: Der Diebstahl war von Schülern meiner Klasse im Rahmen der Projekttage wirklich inszeniert, real ist der Kleinlastwagenfahrer, der Penner und die Bäckerin – der Rest ist eine Hommage an Bonn, die Stadt, in die ich mich verliebte, als ich sie, ich war neun Jahre alt und besuchte meinen Vater, der in Bonn sein Studium nach der Kriegsgefangenschaft beendete, zum ersten Mal sah, … bis ich sie später zwei Mal heiratete: Ich zog dort für immer ein und ich verband mich, nachdem ich meine rheinische Frau, eine Bonnerin, zur Frau nahm, mit der rheinischen Natur, mit der Sprache, dem Rhein, mit dem Siebengebirge, Beethoven, überhaupt mit der volkstümlichen, toleranten und leichten Art der rheinischen Menschen.
Nachtschaum erzählt einen tatsächlich erinnerten Traum als Deutung mit Fortsetzung ins Groteske: Wirklichkeitsverlust mit Beginn des Tages! Und Selbstverlust: Der Mann wird vaginal geschluckt von einer übermenschlich großen Frau, die mit einem Bild von Magritte korrespondiert, das in Köln hängt. Der Mann bekommt, was er in seinen Allmachtsphantasien denkt, aber das ist mehr, als er will. Es ist viel zu viel und endet im Nichts.
Canale Cinque erzählt ironisch die Zukunft der optischen Medien. Im unterhaltsamen Gewand einer erotischen Geschichte ist der Text selber das, was er spiegelt. Die politische Nachricht ist nur noch Vorwand oder Anlass für die eigentliche Beziehung, die das Medium zum Konsumenten herstellt: Das Medium erzeugt mit immer neuen Mitteln erotische Spannungen und dient damit allein der oberflächlichen Unterhaltung. In Wahrheit geht es hinter den Kulissen um Geld. Der Konsument lässt sich als Mittel missbrauchen.
Ramsch sieht aus wie eine Variante von Nikotin, ist aber im Plot ganz anders: Die Menschen quälen sich gegenseitig im schwachen Schutz dumm vereinbarter Regeln, die Qual wird als Spiel getarnt und ist Ausdruck einer aufgesetzten, neurotischen Geilheit. Die Geschichte basiert auf einer wahren Begebenheit: Ich habe das Verhalten von Gefängnisinsassen ins freie Leben verlegt.
Sattel ist die ausgestaltete Geschichte eines Traums, den ich schon vor zwei Jahren in Striptease (SCHLACHTBILDER) behandelte. Sattel ist näher am Traum, in der Ich-Perspektive gesprochen.
Ptok ist die Geschichte meines armen Freundes Walter Ptok, eines Mitschülers am Gymnasium in Neuenbürg/Enz. Wir gaben 1962-1963 die ersten Nummern der Schülerzeitung BIMMEL heraus. Aber erst seit 1972 sind wir langsam zu kritischen Freunden geworden. In der Achse der Lebenslauf-Erzählung steht ein Gedicht von Heinrich Heine.
Hornissen ist die Verfugung zweier Zeitungsmeldungen zu einer Geschichte ohne Moral. Ein makabres Spiel, so scheint es. Am Schluss wird die Geschichte aber ernst. Es sind die Gedanken der Sterbenden, die eigentlich die Gedanken des Erzählers sind, der seine Lebensfreundin an die Tumor-Hornissen verliert.
Amba Mata scheint eine spielerische Gestaltung auf dem kargen Fundament einer Zeitungsmeldung zu sein, in der von einem indischen Hungerkünstler unserer Tage die Rede ist. Aber nicht nur das. Es geht um Leben und Tod.
Herzblut sublimiert den Fall des ‘Kannibalen von Rotenburg’ als allgemeineren Seelenprozess: Meine eigene Zerspaltung in der aussichtslosen Suche nach mir. Es ist Leben gegen mich selbst, was ich da geschrieben habe. Diese kleine Erzählung, die ich mit einem tatsächlichem Anglerunglück kombinierte, ist sehr spielerisch entstanden, ohne irgendeine Intention. Ich habe überhaupt nicht auf Sinn geachtet. Der Text floss aus mir heraus, ich verstehe ihn selber nicht und ich habe gar keine Lust mich zu interpretieren. [An Louise-Charlotte Beyer 3.9.-18.12.2003]
Tina ist die Kreuzigung einer zur Selbstmörderin gemachten jungen Frau, die sich für das Stück, für die Kunst, also für sich selbst opfert. Diese mythologische Anekdote wird verschränkt mit einer alltäglichen Zeitungsmeldung aus dem neurotischen Lebensbezirk. [14.4.2004]
***
Kritische Körper von Ulrich Bergmann, Pop Verlag Ludwigsburg, 2006