Unter den gut 3000 Lyrikbüchern, die ich im Laufe der Jahre gelesen und gesammelt habe, befindet sich bis zum 19. Juli 2005 nicht ein Buch aus dem Programm des kleinen Verlags Straelener Manuskripte. Ich gehe von mindestens 400 Editionen, Handpressen und Verlagen aus, die im deutschen Sprachraum – alle auf ihre besondere Art und Weise – Lyrik fördern und Leser für Poesie zu finden versuchen. Über 250 dieser personifizierten editorischen Energien tauchen in Aus dem Hinterland auf. Als der freundliche Postbote Guido Huppertz klingelt, weiß ich, was mich erwartet. Strahlend öffne ich die Tür. Die der Büchersendung beigelegte Broschüre des Verlags für Essay, Lyrik und Wörterbücher vermittelt den ersten Eindruck: „Der Verlag nennt sich nach seiner ersten zweisprachigen Lyrikreihe. In Straelen am Niederrhein, zwei Straßenecken entfernt vom Europäischen Übersetzer-Kollegium (dem internationalen Arbeitszentrum für Literatur-Übersetzer) und diesem auch im Geiste nah, engagiert er sich für internationale Poesie, zeitgenössische Autoren und deren Übersetzung auf hohem Niveau.“ Mit diesem Programm gehört der Verlag Straelener Manuskripte in die Gruppe der Verlage Atelier, Kleinheinrich, Jutta Legueil, Verlag im Wald und Waldgut. Im Verlag Straelener Manuskripte erscheinen allerdings ausschließlich Lyrikerinnen und Lyriker aus anderen Ländern: beispielsweise Fuad Rifka aus dem Libanon oder Dan Pagis aus Israel (siehe „Ameisenjagd“), deren Gedichte ich nun lesen darf. Beim Auspacken fallen mir bildschöne bibliophile Bücher in die Hand. „Dichten ist sinnliches Vergnügen, Erkenntnis und Lachen“, strahlt mir Per Højholt (1928-2004) auf dem Schuber seines Buches Der Kopf des Poeten (mit Audio-CD und Lesezeichen; 1998) entgegen, das Peter Urban-Halle und Henning Vangsgaard gemeinsam herausgegeben und übersetzt haben. Lesen aber auch!, denke ich Højholts Vorstellung weiter während der Lektüre dieser zwischen Versenkung und Frohmut changierenden Verse, die mir schnell klarmachen, wen ich da vor mir habe: neben Inger Christensen einen der bedeutendsten dänischen Lyriker von heute. Was sich sonst noch – neben einer essayistischen Auseinandersetzung mit Mallarmé – im Kopf des Poeten abspielt? Erwerben Sie das Buch, und Sie werden es nicht bereuen. Prädikat besonders wertvoll.
PER HØJHOLT
SONNTAG. EINE DIAGNOSE
Auf den Hügeln ist nicht mehr Sonntag
als das Heidekraut erlaubt. Mitgebrachter Sonntag wird hier klein
wie ein Wurm, eine Wurzel weiß geschrubbt,
und viel, viel zu viel Himmel, Mann,
ein Riesen-Sonntag, aufgebockt mit Pfingsten!
Die Welt ist ja weich, weich, weich…
* * *
Weiterführend → Ein Essay über den Lyrikvermittler Theo Breuer.
→ Poesie zählt für KUNO zu den identitäts- und identifikationstiftenden Elementen einer Kultur, dies bezeugt der Versuch einer poetologischen Positionsbestimmung. Um den Widerstand gegen die gepolsterte Gegenwartslyrik ein wenig anzufachen schickte Wolfgang Schlott dieses post-dadaistische Manifest. Warum Lyrik wieder in die Zeitungen gehört begründete Walther Stonet, diese Forderung hat nichts an Aktualität verloren. Lesen Sie auch Maximilian Zanders Essay über Lyrik und ein Rückblick auf den Lyrik-Katalog Bundesrepublik. KUNO schätzt den minutiösen Selbstinszenierungsprozess des lyrischen Dichter-Ichs von Ulrich Bergmann in der Reihe Keine Bojen auf hoher See, nur Sterne … und Schwerkraft. Gedanken über das lyrische Schreiben. Lesen Sie ein Porträt über die interdisziplinäre Tätigkeit von Angelika Janz, sowie einen Essay der Fragmenttexterin. Ein Porträt von Sophie Reyer findet sich hier, ein Essay fasst das transmediale Projekt „Wortspielhalle“ zusammen. Auf KUNO lesen Sie u.a. Rezensionsessays von Holger Benkel über André Schinkel, Ralph Pordzik, Friederike Mayröcker, Werner Weimar-Mazur, Peter Engstler, Birgitt Lieberwirth, Linda Vilhjálmsdóttir, und A.J. Weigoni. Lesenswert auch die Gratulation von Axel Kutsch durch Markus Peters zum 75. Geburtstag. Nicht zu vergessen eine Empfehlung der kristallklaren Lyrik von Ines Hagemeyer. Diese Betrachtungen versammeln sich in der Tradition von V.O. Stomps, dem Klassiker des Andersseins, dem Bottroper Literaturrocker „Biby“ Wintjes und Hadayatullah Hübsch, dem Urvater des Social-Beat, im KUNO-Online-Archiv. Wir empfehlen für Neulinge als Einstieg in das weite Feld der nonkonformistischen Literatur diesem Hinweis zu folgen.