Schritt, Schritt, Wechselschritt.
Und schon haste den nächsten anner Backe.
Mit meinem ersten gabs keine Probleme, der zahlte seine Miete, der machte den Abwasch, der trocknete die Dusche ab und fraß mir nicht den Kühlschrank leer, sondern kaufte sich sein eigenes Zeuch. Ich hatte Glück gehabt mit diesem Hausaffen. Konnte nicht klagen. Nur reden konnte ich nicht mit ihm. Aber das war nicht so schlimm.
Hans hingegen hatte damals einen Hausaffen, mit dem konnte man zwar reden, aber alles andere funktionierte nicht. Der konnte wunderbare Haschkekse backen, der konnte dir russische Balladen rezitieren und dir Horoskoptips geben. Aber der machte in der Küche nicht sauber, der spülte nicht, nichtmal sein eigenes Zeuch, der kauerte sich nur auf einen Stuhl, schob sich auf dem mit stinkendem Gerümpel überladenen Küchentisch ein Eckchen frei, stellte da seinen Napf hin und seinen Kaffee und seine Joint-Zutaten und verpfiff sich dann wieder in den Ballsaal, lautlos, wie er gekommen war. Nur der stinkende Napf und die leere Schinkentüte und die Haschkrümel auf dem Boden zeugten noch von ihm. Wenn du zu ihm sagtest, daß die Miete fällig sei, dann nickte er nur. Und wenn du ihm nach zwei Wochen dasselbe nochmal sagtest, dann erwiderte er mit leiser Schnorrerstimme, er habe gerade kein Geld. Und wenn man ihm auf den Kopf zusagte, daß er ein verdammter Schmarotzer sei, dann nickte er bekümmert, stritt nichts ab, sah alles ein und gelobte Besserung, während er den guten Schinken fraß. Von der Miete jedoch sah man nie was. Wir hatten damals ein Katz, und als Hans und Franz, dem das Katz gehörte, ne Zeitlang nicht in der Kolchose waren, baten sie mich, dem Katz regelmäßig sein Freßchen und seinen Trinknapf hinzustellen, da sonst ja keiner da sei, der das tun könne. „Was ist denn mit dem Hausaffen?“ fragte ich. „Der ist doch da!“ – „Der Hausaffe“, sagte Hans, „der kann das nicht.“ Genaugenommen konnte er fast nichts. Nur Geige spielen, das konnte er. Fand ich jedenfalls. Aber Hans sah das anders; er wohnte ja direkt neben dem fiedelnden Hausaffen, und die Wände waren in der Stargarder genauso dünn wie sonstwo. „Der geigt noch jedes Stück in Grund und Boden!“ stöhnte er. „Irgendwann geh ich da hinter und erwürg ihn mit den Saiten seiner Fiedel!“ Bevor es dazu kommen konnte, zog der Hausaffe vorübergehend in die Lychener um. Mit Fiedel.
Hausaffe, lat. semiolus domesticus, im Volksmund auch „Untermieter“ genannt. Hausaffen kommen in den besten Familien vor. Besonders grassieren sie in Berlin; Berlin ist geradezu verseucht von ihnen.
Hausaffen sind allerdings keine gewöhnlichen Untermieter. Gewöhnliche Untermieter, wie bereits oben erwähnt, zahlen Miete. Hausaffen nicht oder nur sporadisch. Hausaffen hängen gewöhnlich in der Küche ab, kauen irgendwas, saufen irgendwas und haben rund um die Uhr Bock auf Gelaber.
Mein zweiter war auch so ein Fall. Er schrieb Gedichte, machte ein Fernstudium und beendete jeden Satz mit „irgendwie sowas“. Das war eine stumme Phrase, die ihm gar nicht mehr auffiel. Er konnte etwa sagen: „Ey, da hat jemand angerufen oder irgendwie sowas, der wollte dich sprechen oder sowas, der ruft dann noch mal an und irgendwie sowas.“ So verpeilt, wie er klang, war er auch. Er wußte nicht, wie ein Staubsauger funktioniert, er saß oft im Flur auf dem Boden, obwohl ich Stühle besitze, und das Fernstudium bekam er nicht auf die Reihe, weil er sich angeblich nicht konzentrieren konnte. Manchmal latschte er abends barfuß raus und in eine Bar und vergaß, in seinem Zimmer das Licht aus- und die Wohnungstür zuzumachen. Er sprach ständig von „unserer WG“, bis ich ihn aufklärte: eine WG ist, wenn zwei gleichberechtigte Mieter drin leben; die Konstellation Hauptmieter-Hausaffe hingegen, das ist keine WG. Ich wollte mit diesem Typen nichts zu schaffen haben, ich brauchte nur seine Miete. Sein Gelaber konnte er sich sparen. Ich erklärte ihm die Grundzüge der Privatsphäre – auch davon haben Hausaffen keinen Dunst -, nachdem er einige Male ohne anzuklopfen in mein Zimmer gelatscht war. Ich ging nur noch in die Küche, wenn er nicht drin war, um mal ein wenig Ruhe zu haben. Und wenn er dann ankam mit seinem stinkenden Kaffeenapf, meistens barfuß, und während des Kaffeetrinkens an seinen Zehen herumpopelte und mit mir quatschen wollte, ging ich raus. Da fühlte er sich vernachlässigt und zog aus.
Hausaffen sind meist sehr empfindsame, d.h. psychisch angeknackste Wesen. Irgendeinen Dachschaden haben sie immer, sonst wären sie nie zu Hausaffen mutiert. Ich lernte dann noch die Spezies der Halbaffen kennen, die sind noch eine Stufe unter den Hausaffen. Meist treten sie in Form von „Kumpels“ der Hausaffen auf und gehen nicht mehr ab. Mein Hausaffe schleppte irgendwann auch so einen Kumpel an, der dann den ganzen Tag im Zimmer des Hausaffen rumhockte oder in der Küche oder in mein Zimmer gelatscht kam, um zu quatschen, so dass ich auch diesem Hemmschuh der Geschichte erstmal erklären mußte, wie privat geht. Der Halbaffe lief nicht nur barfuß, sondern hatte auch eine rutschende Hose und kratzte sich laufend am Hintern. Meine Wohnung war ein Affenstall geworden. Bis dann endlich beide Hausaffen auszogen. Da fiel mir ein Stein vom Herzen.
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Weiterführend →
Zu den Gründungsmythen der alten BRD gehört die Nonkonformistische Literatur, lesen Sie dazu auch ein Porträt von V.O. Stomps, dem Klassiker des Andersseins. Kaum jemand hat die Lückenhaftigkeit des Underground so konzequent erzählt wie Ní Gudix und ihre Kritik an der literarischen Alternative ist berechtigt. Ein Porträt von Ní Gudix findet sich hier (und als Leseprobe ihren den Hausaffentango). Lesen Sie auch die Erinnerungen an den Bottroper Literaturrocker von Werner Streletz und den Nachruf von Bruno Runzheimer. Zum 100. Geburtstag von Charles Bukowski, eine Doppelbesprechung von Hartmuth Malornys Ruhrgebietsroman Die schwarze Ledertasche. 1989 erscheint Helge Schneiders allererste Schallplatte Seine größten Erfolge, produziert von Helge Schneider und Tom Täger im Tonstudio/Ruhr. Lesen Sie auch das Porträt der einzigartigen Proletendiva aus dem Ruhrgebeat auf KUNO. In einem Kollegengespräch mit Barbara Ester dekonstruiert A.J. Weigoni die Ruhrgebietsromantik. Mit Kersten Flenter und Michael Schönauer gehörte Tom de Toys zum Dreigestirn des deutschen Poetry Slam. Einen Nachruf von Theo Breuer auf den Urvater des Social-Beat finden Sie hier – Sowie selbstverständlich his Masters voice. Und Dr. Stahls kaltgenaue Analyse. – Constanze Schmidt beschreibt den Weg von Proust zu Pulp. Ebenso eindrücklich empfohlen sei Heiner Links Vorwort zum Band Trash-Piloten. Inzwischen hat sich Trash andere Kunstformen erobert, dazu die Aufmerksamkeit einer geneigten Kulturkritik. In der Reihe Gossenhefte zeigt sich, was passiert, wenn sich literarischer Bodensatz und die Reflexionsmöglichkeiten von populärkulturellen Tugenden nahe genug kommen, der Essay Perlen des Trash stellt diese Reihe ausführlich vor. Die KUNO-Redaktion bat A.J. Weigoni um einen Text mit Bezug auf die Mainzer Minpressenmesse (MMPM) und er kramte eine Realsatire aus dem Jahr 1993 heraus, die er für den Mainzer Verleger Jens Neumann geschrieben hat. Jürgen Kipp über die Aufgaben des Mainzer Minipressen-Archives. Ein würdiger Abschluß gelingt Boris Kerenski mit Stimmen aus dem popliterarischen Untergrund.