Das lyrische Programm des altehrwürdigen Hamburger Verlags Hoffmann & Campe verbinde ich mit einem der wohlklingendsten Namen in der deutschsprachigen Lyrikwelt seit 1956 (dem Erscheinungsjahr des ersten Gedichtbandes Achtsam sein): Walter Helmut Fritz. Ich bin der spektakulär unspektakulären Poesie dieses sensiblen Seismographen hoffnungsvoll verfallen. Wo immer ich die Gelegenheit habe, fahnde ich nach vergriffenen Gedichtbüchern von Walter Helmut Fritz. Während eines Aufenthalts in Speyer 2003 entdecke ich beispielsweise Schwierige Überfahrt (1976) in einem Antiquariat. Den nunmehr sechzehnten Lyrikband von Walter Helmut Fritz in meiner Sammlung ersteigerte ich 2004 bei ebay: Werkzeuge der Freiheit (1983). Während ich Zugelassen im Leben (1999) lese, denke ich: Walter Helmut Fritz ist sich stets treu geblieben als Autor. Er hat früh seinen längst legendären lakonischen Stil mit den immer wieder aufblitzenden, oft nur angedeuteten Pointen gefunden. Lassen Sie doch einmal die Jahrzehnte von 1956 bis heute Revue passieren und stellen Sie fest, welchen Stürmen dieser besonnene Mensch ausgesetzt war. Statt sich irgendwo einer Modeströmung anzuschließen, hat er beharrlich an seinen poetologischen Überzeugungen festgehalten. Das Ergebnis lesen Sie in „Maskenzug“ (2003), das mit einem Zitat von Véra Linhartová einsetzt:
Was wir aussagen können, geht in Worte ein. Die Worte stellen sich zwischen uns und unsere Vorstellung (…) wie ein neues und unabhängiges Element, wie ein dritter Partner im Spiel. Langsam kommen sie herbei und reihen sich aneinander; sie bilden einen durchsichtigen Vorhang, von dem man nicht sagen kann, ob er uns mit unserer Vorstellung verbindet oder ob er uns von ihr trennt…
„Maskenzug“: die gleiche Feinheit, die gleiche Finesse, die gleiche Frische. Fritz hat in den über 50 Jahren seit 1956 (meinem Geburtsjahr) nie aufgehört zu schreiben, ist dabei allerdings alles andere als ein Vielschreiber. Seine dialektisch strukturierte, mit wenigen Wörtern stets nur operierende „Poesie ohne Aufwand“ (O-Ton Fritz) mit den präzisen Versen bzw. Zeilen der Gedichte und Prosagedichte finden Sie in den beiden umfangreichen Bänden Gesammelte Gedichte (1979) und Gesammelte Gedichte 1979-1994 (1994) sowie zahlreichen Einzeltiteln, von denen etliche noch lieferbar sind bis hin zu Sehnsucht von 1978. Ich bin gespannt, wann Hoffmann & Campe den dritten Band mit gesammelten Gedichten von Walter Helmut Fritz, der 2004 das 75. Lebensjahr vollendet hat, herausbringen wird. Ich warte. [Matthias Politycki, der bei Hoffmann & Campe ebenfalls Poesie veröffentlicht hat, habe ich übrigens nicht übersehen. Auf ihn und seinen Gedichtband gehe ich im Kapitel „Tür zum Meer“ ein.]
LANGE
ließ er sich von Schönrednern
ohne Not nasführen,
wollte manches nicht wissen.
Heute seine Bemerkung,
diese Kadaver von Tieren
auf Scheiterhaufen,
im Aschenregen
seien auch wir.
Er starrte in den Qualm,
auf die Keultrupps.
Dabei ist Frühling, überall
drängen Krokusse aus dem Boden.
* * *
Weiterführend → Ein Essay über den Lyrikvermittler Theo Breuer.
→ Poesie zählt für KUNO zu den identitäts- und identifikationstiftenden Elementen einer Kultur, dies bezeugt der Versuch einer poetologischen Positionsbestimmung. Um den Widerstand gegen die gepolsterte Gegenwartslyrik ein wenig anzufachen schickte Wolfgang Schlott dieses post-dadaistische Manifest. Warum Lyrik wieder in die Zeitungen gehört begründete Walther Stonet, diese Forderung hat nichts an Aktualität verloren. Lesen Sie auch Maximilian Zanders Essay über Lyrik und ein Rückblick auf den Lyrik-Katalog Bundesrepublik. KUNO schätzt den minutiösen Selbstinszenierungsprozess des lyrischen Dichter-Ichs von Ulrich Bergmann in der Reihe Keine Bojen auf hoher See, nur Sterne … und Schwerkraft. Gedanken über das lyrische Schreiben. Lesen Sie ein Porträt über die interdisziplinäre Tätigkeit von Angelika Janz, sowie einen Essay der Fragmenttexterin. Ein Porträt von Sophie Reyer findet sich hier, ein Essay fasst das transmediale Projekt „Wortspielhalle“ zusammen. Auf KUNO lesen Sie u.a. Rezensionsessays von Holger Benkel über André Schinkel, Ralph Pordzik, Friederike Mayröcker, Werner Weimar-Mazur, Peter Engstler, Birgitt Lieberwirth, Linda Vilhjálmsdóttir, und A.J. Weigoni. Lesenswert auch die Gratulation von Axel Kutsch durch Markus Peters zum 75. Geburtstag. Nicht zu vergessen eine Empfehlung der kristallklaren Lyrik von Ines Hagemeyer. Diese Betrachtungen versammeln sich in der Tradition von V.O. Stomps, dem Klassiker des Andersseins, dem Bottroper Literaturrocker „Biby“ Wintjes und Hadayatullah Hübsch, dem Urvater des Social-Beat, im KUNO-Online-Archiv. Wir empfehlen für Neulinge als Einstieg in das weite Feld der nonkonformistischen Literatur diesem Hinweis zu folgen.