Der Tod bedeutet, daß du nie zu sagen brauchst, du wärst unvollkommen.
Richard Hell
Es gibt unter den Kritikastern unterschiedliche Annahmen davon, wann und wo das erste Punk-Album veröffentlicht wurde. Provokativ könnte man die erste Punk-LP mit dem Bananenalbum verorten. Auch MC Five (Motor City Five) und Iggy and the Stooges könnte man als die wichtigsten Vorläufer des Punk angeben. In meiner 1984 beendeten Examensarbeit „Punk, Nekrolog auf eine Bewegung“ entschied ich mich nach einer Recherche für Blank Generation von Richard Hell and The Voidoids.
Zwischen dem anarchischen Geist der 1960-er Jahre zu denen vor allen Nonkonformisten wie Frank Zappa und Captain Beefheart zu rechnen sind, macht sich nach der vermeintlichen Revolution ein zu Musik gewordener Sozialkundeunterricht breit. Schweifen wir etwas ab um den Zeitgeist zu erkunden:
Es ist Musik, die fortschreitet. Sie nimmt eine Idee und entwickelt sie, statt sie einfach zu wiederholen. Pop-Songs bestehen aus Wiederholung, Riffs und Einfachheit. Progressive Musik nimmt ein Riff, kehrt sein Inneres nach außen, stellt es auf den Kopf, spielt es dann wieder andersherum und erkundet so sein Potenzial.
Keith Emerson
Progrock ist eine Musikrichtung, die Anfang der 1970er Jahre entstand, als akademische Musiker den Rock um stilistische Merkmale anderer musikalischer Gattungen ergänzten. Dabei wurden Kompositionsweisen und Harmonik aus der abendländischen Klassik einbezogen. ELP adaptierten mit Pictures at an Exibition Murrorgskis Bilder einer Ausstellung. Jon Lord schrieb ein Concerto for Group and Orchestra, das mit dem Royal Phiharmonic Orchestra unter der Leitung von Malcolm Arnold in der Royal Albert Hall aufgeführt wurde. Jethro Tull interpretierte Bachs Bourrée. Tiefpunkt war jedoch die Band Yes, die mit ihrer symphonisch-klassischen Variante selbst die bombastischen ELP noch übertreffen wollten. Der Tastenmann Rick Wakeman hatte eine klassische Klavierausbildung und dass ließ er seine Mitmusiker nie vergessen. Um sich als etwas besonders herauszustellen, trug er, wie ein Superheld aus einem Comic, ein Cape.
Die seismografische Ankündigung kommt aus N.Y.C
Die Bretter, die für Musiker eine neue Welt bedeuten, standen im CBGB. Sehr früh standen hier auch die Musiker der Combo Television. Sie begannen unter dem Namen The Neon Boys, die Band bestand aus Tom Verlaine, Richard Hell, Billy Ficca und Richard Lloyd. Die erfolgreichen Auftritte weckten das Interesse von Island Records. Es kam zur Zusammenarbeit mit Brian Eno, der im Dezember 1974 mehrere Demoaufnahmen von Television produzierte. Vier der sechs Songs Prove It, Give Me A Friction, Venus und Marquee Moon, wurden 1976 für das Debütalbum erneut eingespielt. Kreative Differenzen führten zur Trennung von Eno, die Ergebnisse der Aufnahmesessions kamen jedoch als Bootleg namens Television With Bryan Eno in Umlauf. Aufgrund seiner Drogenprobleme musste Bassist Richard Hell Television im März 1975 verlassen.
Bezogen auf die Szene nahm das virtuose, jazzbeeinflusste Zusammenspiel von Lloyd und Verlaine eine Sonderstellung ein. Sie haben die Trennung von Lead- und Rhythmusgitarre zugunsten komplexer, ineinandergreifender, kontrapunktischer Strukturen aufgehoben. Die Gitarren ergänzen sich, obwohl sie oft tonal und rhythmisch radikal unterschiedliches Material spielen.
Blank Generation rief in mir ein Gefühl hervor, das ich als Kind hatte … Ich wuchs auf und verliebte mich in eine Welt, die nicht meine war.
Kathleen Hanna
Blank Generation ist das bahnbrechende Album von Richard Hell und seiner Band The Voidoids. Er gründete die Band 1976 mit Robert Quine, Ivan Julian und Marc Bell. Im selben Jahr erschien die Single Another World, die auch in 1977 auf dem ersten Album erschien. Es machte sie wegen der nihilistischen Stimmung umgehend bekannt. Der Song Blank Generation wurde zu einer Hymne der aufkeimenden New Yorker Punkbewegung. Abgesehen vom stumpf herunter gedroschenen Drei-Akkorde-Punk der Ramones war die CBGB-basierte Punk-Version von NYC deutlich intellektueller als ihr größtenteils, von McLaren plagiiertes und britisches Gegenstück. Richard Hell war eine Stilikone, Romanautor, Nihilist, Perfektionist, Brandstifter. Er war gutaussehend, gebildet, ehrgeizig, es war es, der die stromschlagbare Crop-Punk-Frisur erfand und als erster zerrissene T-Shirts mit Sicherheitsnadeln umfunktionierte. Johnny Rotten wirkt dagegen wir ein verkleideter Pirat.
Blank Generation ist der Höhepunkt der ersten Punk-Welle. Alles daran war großartig. Richard Hell bleibt eine der wichtigsten Figuren des Punk. Von zerrissenen Jeans und sparsamer Kleidung bis hin zur Unhöflichkeit der Songs und dem lauten, wütenden Sound, sollte die Blaupause für viele zukünftige Punkbands sein. Bei seinem Erscheinen wurde Blank Generation von den meisten Kritikern sträflich vernachlässigt und ignoriert und erhielt nie die öffentliche Aufmerksamkeit, wie Anarchy in the U.K., aber das Image, das das Album bei seiner Veröffentlichung geschaffen hat, wird bei Punkmusik nachhaltig präsent sein.
Das Voidoids‘ Debüt ist der Sountrack urbaner Paranoia, gestohlener Diätpillen, kalter Lower East Side-Lofts und gackernder Bohème; ein Gebrauchtwarenladen, Gossen-Glamour, Sonnenbrillen-After-Dark-Symphonie der Straße. Die Hölle mag sehr nach einer unmittelbar bevorstehenden Zukunft ausgesehen und geklungen haben, aber Blank Generation erinnert an die Beats der Bleeker Street und ist sowohl das letzte Echo einer verlorenen Innenstadtszene als auch der Vorbote einer neuen Ordnung mit Spitzen; Sein Titeltrack parodiert Bob McFaddens 1959er B-Seite The Beat Generation, sein umfangreiches Schlussstück „Another World“ ist mit seinen straffen Improvisationsambitionen, die dem Jazz entstammen, geradezu avantgardistisch. An anderer Stelle stößt „Betrayal Takes Two“ auf Hochtouren. Der Gitarrist der Voidoids, Robert Quine, kombinierte die kantige Präzision mit der bis an den Rand des Randes stehenden Aggression. Der Zorn und die Rebellion auf diesem Album sind Hell zuzuschreiben. Er wuchs in einer Stadt voller homosexueller Beziehungen auf und lief von zu Hause weg. Er hatte nie einen Vater und als er einmal wütend war, hielt er eine tote Schildkröte in einem Glas. Die Wut hier ist nicht künstlich, sondern echt. Die Hölle schreit und heult während der gesamten Songs und scheint sich wirklich einen Dreck darum zu scheren, was andere von dem denken, was er tut. Sein Vortrag ist so kraftvoll und rebellisch, dass er vielen anderen Punk wie Mainstream-Pop erscheinen lässt.
Es gibt auch ein Gefühl der Traurigkeit. In dem Lied „Walking On Water“ fühlt sich Richards eindringliches Stöhnen „Ich will nicht nach Hause gehen“ so schmerzhaft und real an. Obwohl viele Songs keine ernsthafte Atmosphäre ausstrahlen, sind sie vielleicht doch sehr subtil. Der Opener „Love Comes In Spurts“, hat Textzeilen, die grob klingen, aber sie scheinen auch eine Art zu sein, in der Richard über das Leben spricht. Während der Refrains scheinen die Texte von Ejakulationen zu sprechen, aber wenn er nach jedem „Love Comes In Spurts“ „It Hurts“ sagt, scheint das auch zu bedeuten, dass alle Beziehungen nicht funktionieren und schmerzhaft sein können. Viele der Songs sind geheime, clevere Methoden von Hell, die zeigen, was er durchgemacht hat und womit er zurechtkommen musste.
Blank Generation war eines der ersten Alben der New Yorker Punkszene und klingt immer noch so frisch und originell wie am Tag seiner Veröffentlichung. Die Grobheit mag klischeehaft erscheinen, aber dies ist einer der ersten, der damit beginnt. Die Gitarren sind auch nicht die übliche Drei-Power-Akkord-Folge. Das Spiel ist komplex und die Soli großartig. Hells Stimme ist einzigartig und sein kompromissloser Stil ist deutlich zu hören. Der Titelsong muss einer der besten Punksongs sein, die jemals veröffentlicht wurden. Die Hölle heult und schreit und die Gitarren bringen es zum Toben.
Nachdem „Love Comes In Spurts“ mit einem so perfekten und schüchternen Einstieg das Album aufbricht, behält „Liars Beware“ die grelle, farbenfrohe und ungewöhnlich dosierte Struktur und den Stil bei und bellt die Zuhörer tatsächlich an, bevor es losgeht Staccato-Gitarrenrhythmus, der es irgendwie auch schafft, einen Ska-inspirierten Aufschlag zu integrieren (sozusagen – es ist einfach der „honkyste“ Rhythmus, der jemals auf Tonband aufgenommen wurde), während er dennoch einzigartiger „New York“ klingt als alles andere. Danach versucht „New Pleasure“, einen neuen romantischen Ton zu entdecken, ein paar Jahre bevor ein solcher Stil überall im Pop verbreitet war (Gitarrist Robert Quine schlägt hier ein akribisch bemessenes Riff hin, auf eine Weise, die es damals im Punk einfach nirgendwo gab). von der Veröffentlichung dieses Albums), über die sich Hell alle Mühe gibt, eine atemlose Gesangsdarbietung zu definieren, die wie ein sehr enger Verwandter von The Heartbreakers klingt – eine Stimmung, die durch „Betrayal Takes Two“ weiterentwickelt wird – was im Grunde das ist kommt einem Liebeslied im damaligen Punk-Genre am nächsten, das immer noch eher romantisch als rotzig klingt. Danach nimmt Hell die Zuhörer mit zu seinem Lieblingstauchgang (wahrscheinlich Max’s Kansas City oder CBGBs – obwohl keiner von beiden in „Down At The Rock & Roll Club“ genannt wird), bevor Robert Quine in „Who Says“ die mathematischsten Gitarrenlicks durchführt, die man sich vorstellen kann ein Punk-Viertel und schaffen es trotzdem, dass es nicht unangenehm klingt.
Der Titeltrack des Albums ist der mit Abstand spektakulärste und zeitloseste Titel des Albums. Bis heute ist Blank Generation der Song, der wohl größer ist als die Band, die ihn produziert hat.
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Blank Generation, Richard Hell and The Voidoids von 1977
Marquee Moon von Television, 1977
Weiterführend → Wir verorten die erste Punk-LP mit dem Bananenalbum. Oder war es doch der Garagenrock? Wann hört der Substance von Punk auf? Wann beginnt der Post-Punk? Ist das bereits New Wave? Oder stellt Polyrythmik den Höhepunkt dar? – Die Alben von Wire stellen in beeindruckender Weise dar, was aus Punk hätte werden können.