Idole

 

Der allseits flexibele Mensch des 21. Jahrhunderts in seiner Geworfenheit ist das Thema des bildenden Künstlers Haimo Hieronymus und des Schriftstellers A.J. Weigoni. Das Wort als Bildstörung, Eindringling, Mittler zwischen Wörtlichkeit und Wortwörtlichkeit hat Hieronymus immer wieder eingesetzt. Nicht als Schrift gewordenen Strich Cy Twomblys und auch nicht als naive Signatur Anselm Kiefers, sondern nach Art kodierter Typografien. Das transitorische Element, das ihre Arbeit an dem Projekt Idole durchzieht, macht sich schon bemerkbar bei der Präsentation. Etwas Improvisiertes lebt in der Syntax dieser Druckgraphik, wir sehen das nicht, weil es sichtbar ist, es ist sichtbar, weil wir es sehen.

In Haimo Hieronymus’ Idolzyklus manifestieren sich ans Ursprüngliche, Unverstellte, Unzivilisierte im Menschen rührende Regungen, elementare Empfindungen von Lust und bejahender Lebensfreude. Dabei ist sich der Künstler stets bewusst, dass Lust auch mit Schmerz einhergeht; die dunkle Seite lässt er nicht außer acht, sondern zeigt auch den eher pein- als lustvoll sich windenden und krümmenden Leib. So sehr man einerseits den Anblick genießt, so sehr schmerzt es an anderer Stelle die aufs Papier mit dem Körperlabyrinth gebannten Augen. Zu einfach wäre es, dies bloß als weiteren Beitrag in der langen Künstlertradition zum Thema der Frau als Prinzip des Ewigfruchtbaren zu sehen. Vor allem auf formaler Ebene zeigt sich der Willen zur Hinterfragung und Auseinandersetzung mit überkommenen Formen und Mustern. Hieronymus’ Drucke paraphrasieren nicht uralte Idole der Menschheitsgeschichte, wie etwa die Venus von Willendorf, sondern verweisen spielerisch auf diese Vorbilder, gleichzeitig völlig neue Ausdrucksformen schaffend. Durch starke Flächigkeit und Reduktion auf bloß allernotwendigste Elemente wie Linien und Punkte bewegen sie sich zwischen Figuration und Abstraktion und lassen Raum für eigenes Orientieren und sinnliches Empfinden im Körperfragment. Im Kontrast zur Linie und Fläche erzeugen die weichen Übergänge des hier angewendeten Leimhochdrucks in Verbindung mit der zähflüssigen Farbe gleichzeitig den Eindruck überraschend runder Körpervolumina. Das Spiel mit dem Material wird für Künstler wie Betrachter zum sinnlichen Erlebnis: Fast meint man noch das Schmatzen des satten Farbauftrags in den Ohren zu haben; anfangs widerspenstig, gibt sich am Ende die eigenwillige Textur geschmeidig der so glatten, spiegelnden Papieroberfläche hin. Durch Reduktion schwindet die Eindeutigkeit: Plötzlich ist diese Form da nicht mehr unbedingt ein Frauenkörper, bekommt androgyne oder Satyrzüge, wird zur Huldigung an das bacchantische Prinzip. Selten hat man  Hieronymus in seinen Arbeiten dermaßen sinnlich und gelassen erlebt.

Begann die Trilogie von A.J. Weigoni und Haimo Hieronymus mit einer Kombination aus Texten und Holzschnitten, einer der bekanntesten und ältesten Hochdrucktechniken, wurde diese Vermengung von Gedicht und Bildgewebe bei Faszikel mit der Tiefdrucktechnik der Radierung fortgesetzt, hier in Kombination aus durchscheinenden Papieren und Texten, auf Lasuren mit Schellack und warm leuchtenden Holzextrakten, so bildet Idole mit seinen speziellen Leimformdrucken eine technische Neuerung und gleichzeitig Klammer, denn hier werden Elemente des Hoch– und des Tiefdrucks kombiniert. Als Ergebnis zeigt sich ein fast gezeichnet wirkendes Bild. Die acht Grafiken beschäftigen sich mit der möglichsten Reduktion von Körpern, von Torsi, auf ein Spiel von Formideen mit den scheinbaren Ungleichgewichten zwischen Linie und Fläche, Proportion, den Illusionen von Unzulänglichkeit menschlicher Erscheinung. Trotzdem fühlt man sehend einen sehnsüchtigen Drang zur Harmonie, ja zum Schönen im klassischen Sinn. Einmal angeschaut, wirkt ein Bild von ihm wie ein Angelhaken im seelischen Bildarchiv. Diese Grafiken zeigen sich so letztlich als fast hymnische Liebeserklärung an die vor allem weibliche Schönheit jenseits der einzelnen Frau.

Puristen nehmen A.J. Weigoni und Haimo Hieronymus diese Grenzüberschreitungen übel, weil diese Form von “Interdisziplinarität” nicht der Theoriebefriedigung, sondern der lustvollen Verblüffung dient. Wirtschaftlich gesehen ist Lyrik Unsinn, aber Betriebswirtschaft ist im Leben eben nicht alles. Lyrik wäre nach allen ökonomischen Gesichtspunkten schon immer zum Aussterben verurteilt gewesen, und trotzdem hält sie sich nach wie vor, notfalls eben in der Form der Samisdat. Haimo Hieronymus und A.J. Weigoni gehen bei dieser Trilogie vom Virtuellen ins Materielle und zielen auf ein älteres Speichermedium, das mittels neuer Medien hergestellt wird und mit analogen Medien zu gebundener Form findet. Sie schlagen mit dem Projekt Idole einen Steg zwischen den Künsten (Druckgrafik / Poesie). Die Entstehung einer Einheit von Schrift und Bild untersuchen Haimo Hieronymus und A.J. Weigoni im Medium des Computers und setzen sie im Neheimer Atelier um. Die digitale Manufaktur produziert in diesem Fall ein Idol.

 

 

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Die bibliophilen Kostbarkeiten sind erhältlich über die Werkstattgalerie Der Bogen, Tel. 0173 7276421

Zum Thema Künstlerbucher lesen Sie bitte auch den Artikel von J.C. Albers. Probehören kann man ab Januar 2013 das Monodram Señora Nada in der Reihe MetaPhon. Und auch die Hörspielfassung von Unbehaust ist in der Reihe MetaPhon auf vordenker.de zu hören.

Eine limitierte Auflage des Hörbuchs Prægnarien von 50 Exemplaren ist versehen mit einer Originalgraphik von Haimo Hieronymus. Edition Das Labor, Mühleim an der Ruhr 2013

Bestellung des Hörbuchs über: info@tonstudio-an-der-ruhr.de

Bilder der Prægnarien-Performance von Philipp Bracht und A.J. Weigoni sind hier zu sehen. Probehören kann man diese Live-Aufnahme auf MetaPhon. Ein Video von Frank Michaelis und A.J. Weigoni hier. Bewegte Bilder unter und eben: HIER.

Die Aufnahmen sind in HiFi-Stereo-Qualität erhältlich über: info@tonstudio-an-der-ruhr.de

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