An der kilometerlangen Mauer aus Richtung Porto Venere in Richtung La Spezia entlang spaziert. Kein Buergersteig, manchmal fahren die Autos kriminell eng an ihm vorbei. Zuweilen ist er schon von gewisser Aengstlichkeit, ertappt sich dabei, hastig in die Buesche zu springen. Vor dieser Mauer eines riesigen Militaerareals hatte sich ein Wassergraben erhalten, mit eigener Flora und Fauna ein ueppiges und gluecklicherweise ungepflegtes Feuchtbiotop. Froschloeffel und Rohrkolben, Minze, Kresse, Algen, die den in einigen Ecken angesammelten Muell mit ihrem gruenlichschmierigen Film überziehen. Das offenkundig Haessliche ins Natuerliche aesthetisieren. Dazwischen kann man das Quaken der gruengescheckten Teichfroesche oder seltsames Trommeln unsichtbarer Voegel vernehmen. Teichhuehner zeigen eine ungekannte Aengstlichkeit und verziehen sich bei Blickkontakt unverzueglich ins dichte Blattwerk. Hier werden Voegel noch gegessen. Die Amphibien scheinen unmotiviert herumzupaddeln, immer nur bis zu dem Moment, wenn sie Beute wahrnehmen, dann werden sie schnell.
Die Mauer hatten einige bluehende Pflanzen und Farne besiedelt, natürlich auch Eidechsen, leuchtend gruen und obligatorisch rote Milben. Auf der anderen Seite La Spezia zugewandt aendert sich das Bild, ein traeger Fluss, der Kanal traegt seine truebe Fracht gen Hafen. Wohl ungeklaerte Kanalisation, zumindest dem Geruch nach zu urteilen. Das Wasser wirkt wie von einem grauen Schleier durchwoben. Zunaechst zeigen sich bei oberflaechlicher Betrachtung keine Wellen auf diesem Spiegel der Mauer, ruhigstes Flieszen. Bei genauer Beschau fallen allerdings einzelne Wellenhuegel auf. Enorme Fischschwaerme der hier so benannten Muggine durchkaemmen das Wasser nach Resten menschlicher Verdauung, dabei haben viele eine stattliche Groesze.
Angler finden sich hier allerdings nicht ein, durchaus verstaendlich, wer moechte schon Fische aus der eigenen Kloake essen? Die allerdings sitzen einige hundert Meter entfernt am Yachthafen, aufgeteilt in drei Familiengruppen, die Kinder spielen auf der Promenade. Die Maenner auf ihren Klappstuehlen in der ersten Reihe sitzend, mit Angelruten bewaffnet und sonstigem Zubehoer anstaendig ausgeruestet, die Frauen dahinter, schweigsam, aber nicht missmutig. Sie scheinen die idyllische Ruhe zu genieszen. Obwohl Herr Nipp sich ueber eine Stunde Zeit nimmt, diese Gruppe zu beobachten, kann er weder ein Gespraech erkennen, noch einmal nur sehen, dass ein Fisch gebissen haette.
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Das Mittelmaß der Welt, unerhörte Geschichten von Herrn Nipp, dokumentiert auf KUNO 1994 – 2019
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Zu einem begehrten Sammlerstück hat sich die Totholzausgabe von Herrn Nipps Die Angst perfekter Schwiegersöhne entwickelt. Zudem belegt sein Taschenbuch Unerhörte Möglichkeiten, daß man keinen Falken mehr verzehren muss, um novellistisch tätig zu sein. Herr Nipp dampft die Gattung der Novelle konsequent zu Twitteratur ein. Und außerdem präsentiert Haimo Hieronymus ab 2017 Über Heblichkeiten, Floskeln und andere Ausrutscher aus den Notizbüchern des Herrn Nipp.