Windzeit

 

Sie legt die Hände an die Glasscheiben das Busses. Sieht ein kleines Mädchen da stehen, das an einer roten Haarfranse kaut. Ein wenig Speichel im Mundeck langzieht. Sie anstiert. Dann wie wild zu winken beginnt. Der Bus hält ruckartig an. Kleine gedrungene Einfamilienhäuser, eine Kiesstraße. Kiefern in Reih und Glied. Wie lieblos aufgefädelt, denkt sie. Sie steht auf und zippt sich die schwarze Bomberjacke zu. Streift sich Strähnen hinter die Ohrläppchen. Die Hände stottern nach der Tasche, die sie ins Fach gepfercht hat. Ziehen. Die Tasche fällt fast auf sie herab, die Muskeln ihrer Oberarme spannen sich an. Säuerlich. Sie keucht kurz auf. Streckt dann den Hals in die Höhe. Wirbelsäule gerade richten. Einen Guten Eindruck machen. Ireland.
Als sie die Treppe des Busses schnell hinunterläuft, beinah drippelt, wieder das kleine Mädchen. Es stiert sie mit offenem Mund an, die Haarsträhnen klebt speichelig an ihrer weißen Wange fest. Sie lächelt. Eine kleine Frau schiebt sich ihr vor den Blick. Kaum größer als das schleimfadenziehende Mädchen, das sie fest an der Hand hält. Umklammernder Griff. Knöchelige Finger. Das Gesicht der Frau ist faltig und alt, die Haare in rötlicher Dauerwelle in die Höhe toupiert. Das kleine Mädchen gluckst.
Helen, sagt die Frau. Und dann: Sie müssen das Aupair sein, nein.
Ja.
Sie reicht der winzigen runzeligen Frau die Hand. Nickt ihr zu.
Das ist meine Tochter Helen.
Sie hält dem Kind die Hand hin. Das Mädchen sieht sie nur aus grünen Augen an. Kein Aufschlag. Die Lider zucken nicht. Wie zuckerlrosa ihr Mund ist denkt sie und steckt die Hand wieder in die Jackentasche. Über den Gehsteig rollt ein blecherner alter Scooter heran. Ein kleiner Bub stupst ihn mit seinen Füßen an, immer wieder. Der Schädel auf dem verhunzelten Körper ist riesig und kahl, Nase und Gesicht eigentümlich flach.
Das ist Jack.
Peng, sagt Jack und rammt den Scooter in die weißen weichen Kniekehlen des Mädchens, die ganz frei und nackt sind unter dem kurzen Jeansrock.
Geben sie mir ihre Tasche. Die Stimme der Frau ist ruppig, sie drückt sich eine dicke Aschenbecherbrille zurück auf die Stupsnase und greift nach dem Henkel.
Danke.
Sie gehen einen Kiesweg entlang.
Hinten ist das Meer.
Schön.
Ich weiß nicht. Im Winter kommen warme Strömungen. Mein Mann geht dann immer schwimmen.
Wie alt sind ihre Kinder.
Jack ist sieben, sehr gut in der Schule. Und Helen ist dreizehn.
Sie überqueren einen kleine quadratischen Spielplatz. Ein Mädchen stupst immer wieder mit den Füßen die Schaukel an, auf der es sitzt, und macht Blasen mit dem Speichel des Mundes. Die ploppen und platzen auf. Helen guckt mit weit aufgerissenem Mund auf das Mädchen. Ihr Kopf wippt ein bisschen. Die Zunge hängt ihr ein wenig über die Unterlippe dabei.
Die Häuser sind klein und dicht aneinander gepresst. Sehen aus wie etwas zu groß geratene Schachteln. Hin und wieder ein Pub in Backsteinfarben.
Sie mustert Helen.
Sie sieht jünger aus.
Das kommt vom Asthma.
Verstehe.
Sie gehen eine Weile schweigend.
Dann: Sie ist klein und zerbrechlich, aber bestimmt intelligent.
Eine Kerbe bildet sich zwischen den dichten rötlichen Augenbrauen der Frau.
Nein, sagt sie barsch und hackt mit den mageren Fingern in der Luft herum.
Sie ist dumm.
Wie.
Sie geht in die Sonderschule.
Das glaub ich nicht.
Versuchen sie nicht, freundlich zu sein.
Sie erreichen eine Doppelhaushälfte mit einem kleinen grünen Fleckchen Garten davor. Jack lässt den Scooter bei der Gartentüre liegen und läuft mit wedelndem Schritt auf das Haus zu. Sie sieht seine Kopfhaut, durch die eine blaue Ader durchschimmert. Die kleinen stummeligen Füße stecken in Tennisschuhen. Eine Nacktschnecke schleimt auf dem Steinplattenweg zur Haustüre umher. Mit einem Sprung zergatscht er ihren Körper. Ein Platschgeräusch. Der Junge dreht sich zu seiner Mutter um. Verzieht den kleinen Kopf zu einer Lächelfratze. Sie schiebt ihn zur Seite, immer noch das weiße Mädchen mit dem roten Haar an der Hand, das begonnen hat, kleine Kügelchen aus der Nase zu kletzeln. Diese in den Mund steckt. Dann die Zunge raushängen lässt. Teilnahmslos in die Luft guckt und in einen Himmel, auf der ein Schwarm Vögel kleine Sprenkel hinmalt.
Die Frau geht sehr gebückt, sperrt mit einem rasselnden Seufzen die Türe auf. Jack spuckt auf den Boden.
Ich heiße Martha, eh ichs vergesse.
Nennen sie mich Tam.
Das ist kein Name für ein Mädchen.
Sie grinst schief. Jack beginnt, mit winzigen Händen nach ihrem Hals zu greifen. Sie hebt ihn in die Höhe und grinst ihn an. Er lächelt und zeigt Zahnlücke. Wie platt sein Gesicht ist, denkt sie.
Wie alt sind sie, Tamara.
Zwanzig.
Sehn jünger aus.
Sie zuckt mit den Schultern.
Hörn sie das öfter.
Nein.
Helen dreht sich in kreisender Bewegung um den Tisch und summt eine Melodie. Kippt dabei den Kopf wie spastisch zur Seite und verdreht die Augen. Klappt die Augen zu. Klappt sie wieder auf.
Ihr Zimmer ist im zweiten Stock, sagt Martha.
Danke.

Die Snoopytasche bevor sie dich in den Kindergarten schicken weißt du noch die vielen Nonnen mit den verknitterten Gesichtern deren dunkle Mäntel sich aufbauschen wenn sie rennen die Mutter hat dir das Jausenbrot eingepackt du pickst an ihren Händen fest mit deinen Patscherhänden/ Schweißhänden und da viele Stühle und seltsame Früchte aus Plastik willst nicht dass die Mutter weggeht du kotzt magst die Frauen nicht angucken die seltsame weiße Streifen um die Stirn haben deren Lächeln ist nicht echt ist nix als vorgeschobene faltige Zahn Fleisch Fratze wo ist deine Mutter weißt noch nicht dass sie dir ab jetzt immer am Darmrand hocken wird so what

Im Zimmer. Sie wirft die Tasche auf ein blaues Himmelbett. Zippt sich ihre schwarze Jacke auf. Wirft sie in eine Ecke. Guckt sich um. Das Bett ist mit flauschigem Frottier überzogen. Das Fenster breit, dass der Blick auf eine saftig grüne Wiese fallen kann. Schwunghügel, denkt sie. Weiter Himmel. Die Wolken hängen tief und gräulich herab. Dass es hier immer regnet, hat man ihr gesagt. Neben dem Bett ein Schrank mit Spiegelglastüre. Sie blinzelt kurz. Sieht sich selbst beim Stieren zu. Schiebt dann die Tür zur Seite. Reibegeräusch. Sie legt langsam die Bündel Kleider aus ihrer Tasche raus. Ihre Mundwinkel zucken kurz auf. Er wird nicht mehr anrufen, weiß sie. Das zu wissen drückt so gegen ihr Schlüsselbein. Malmt an den Schläfen. Sie vollführt eine Kaubewegung, die Atemlosigkeit abzufangen. Tastet nach der Bürste, die sie aufs Bett gelegt hat. Rasche Bewegungen. Rückwärts kann man nicht leben, denkt sie. Kämmt und kämmt sich das Haar. Reißt an. Fester. Und fester. Schneller. Hat sie Feuchtes in den Augen. Keinen Ausdruck im Gesicht. Als sie den Kopf zur Seite dreht, ein heller Schatten im Türrahmen.
Hi.
Helen hält ihr eine kleine pinke Schminkdose hin. Sie lächelt.
Komm rein.
Das Mädchen hat einen Finger in den Mund gesteckt, den sie mit dunkelrosafarbenem Lippenstift nachgezogen hat. Lutscht grinsend. Ihre Haut sieht aus wie Porzellan, darauf kleines rötliches Gesprenkel. Die Haare sind dünn, feinsträhnig und ein wenig fransig an den Spitzen. Sie lächelt.
Trippelt ihr ein Stück weit entgegen. Gluckst. Entreißt ihr dann mit festem Griff den Kamm.
Du möchtest mich frisieren.
Ja.
Bitte.
Sie faltet die Beine im Türenksitz. Helen steht hinter ihr. Nimmt die schwarzen Strähnen ihres Haares in die Hand.
Du musst weiter oben ansetzen.
Sie greift nach den schmalen Handgelenken des Mädchens. Gelenke aus Papier, denkt sie. Glieder aus Glas. Führt mit zarten Bewegungen die Bürste in ihrer Hand. Helen sieht sie aus dumpfen grünen Augen an. Die Lider zucken nicht. Der Blick scheint irgendwohin gekippt zu sein.
Dann flackert ein Lächeln auf.
Hast du einen Freund, fragt Helen.
Sie lacht.
Nein, sagt sie dann ernst und zieht die Beine an den Bauch. Du.
Nein. Sagt Helen. Kichert und schiebt sich eine Strähne in den Mund. Kaut rum.
Ich will dich, weißt. Als Freund.
Sie weiß nicht was sagen, lächelt zu Boden. Helen kämmt weiter. Dann steckt sie ihr die Bürste in die Haare.

Mit einem anderen Kindergarten versuchen sies dann wolln dich Ködern du darfst deinen Handabdruck in den Ton hineinpressen sagen sie dir trägst das grüne Kleid mit den vielen weißen Pünktchen die dünne Tante rührt den Gips an eine weiße Masse in einem kleinen Topf darf ich deine Hand haben sagt sie und du schüttelst den Kopf weil du denkst sie meint für immer du plärrst drückst Tränen aus den Augen raus sie sollen dich in Ruhe lassen so rollst mit den Augäpfeln willst an die warme Bauchdecke der Mutter an ihren Schlabberbeutel die hängenden Brüste Honig Birnen Brüste die lügen doch alle tun so als gings um den Gips als gings drum deine kleine Hand als Abdruck für immer fest zu halten dabei wolln sie nix als dich rumkriegen dass du da bleibst oder

Marthas Stimme, rau und kreischend. Sie stößt Helen zur Seite. Jammert.
Jesus. Was hast du mit ihrem Haar gemacht.
Ist nicht schlimm.
Sie versucht ein schiefes Lächeln.
Diese wunderschönen Haare.
Jack steht im Türrahmen und grinst. Sie zwinkert ihm zu. Er schießt mit einer grellgelben Pistole nach ihr. Rattergeräusch. Helen stößt winzige Piepser aus, die sich wie Muckser einer Maus anhören. Wandert immer nähre an den Türrahmen heran.
Schönes Haar, murmelt sie, schönes Haar.
Stopp jetzt, sagt Martha.
Nestelt an der Bürste zwischen ihren Strähnen rum. Wie das auf ihrer Kopfhaut zieht. Sie presst die Lippen gegeneinander. Sieht aus den Augenwinkeln, wie Helen Jack zurück drängt. Dann: eine Bewegung. Helen ergreift den wasserkopfartigen Schädel des Jungen. Drischt ihn gegen den Holzrahmen der Tür. Ein gellender Schrei. Er greift nach einem orangeroten Haarbüschel. Martha hat die Bürste aus ihrem Haar gelöst. Springt auf und zerrt Jack von Helen weg. Stopp hab ich gesagt. Holt mit der Hand aus, auf der der Ehering steckt. Hand trifft Haut.

Helen hat Nasenbluten.

Martin heißt der Dicke der ausm Mund stinkt und ihr nennt ihn Martinsalat Tomatensalat ihr dreht Kreisrunden aufm Platz und betet für Tauben spielt Katzenbande Hand in Hand mit der Freundin sein ich hab einen Geheimgang im Schrank sagt die Freundin dahinter leben die Schlammonster und an meinem Geburstag nehm ich euch alle dahin mit ich bin die Katzenmutter und nur mein Papa darf manchmal da rein und deine Eltern wundern sich warum du nicht zu ihrer Geburtstagsfeier gehen magst hast Angst vor ihr stehst manchmal neben deiner Mutter und guckst ihr zu wenn sie die Hemden bügelt im begehbaren Kleiderschrank die Handtücher zusammen legt und in die Regale schiebt fragst dich ob dahinter der Gang wär die kuschligen Schlammmonster mit ihren Filzhaaren warten die du ja magst aber nicht mit denen leben weil du gehörst doch zu Mama und Papa oder und die Eltern erzähln der Freundin dann dass du krank bist verstehn gar nicht warum du nicht zur Party magst seltsames nervöses Kind sie machen sich Sorgen und

Sie werden sich schon noch daran gewöhnen, sagt Martha und lächelt schief.
Sie sitzen in der Küche. Ein enger Raum, deren Hinterseite aus Spiegeltüren besteht, die in ein kleines Quadrat Garten hineinführen. Der Tisch ist rund; blaue ovale Platsikdecken liegen da, Unterlage für die Kinder.
Sie braucht rund um die Uhr Betreuung, wissen sie.
Sie lächelt.
Ich denke, Helen ist schon okay.
Warten sie, wenn sie anfängt mit ihren Sätzen. Der Psychotherapeut hat mir geraten, sie
abzustoppen. Manchmal sage ich den ganzen Tag nur stopp.
Marthas verrunzeltes Gesicht lächelt schief. Die Falten um die Augen schieben sich zu riesigen Kerben zusammen. Felsen und Schluchten hat die im Gesicht, denkt sie.
Martha wischt die kleinen Hände in ihrer Schürze ab. Kurz und barsch. Greift dann nach der bauchigen Kaffeetasse.
Schmeckt ihnen die Jause.
Sie versucht zu nicken.
Der Käse ist dick und bamstig, eine viel zu große Schicht. Beinahe so dick wie das weiche Toastbrot selbst, an dem sie kaut. Billigstes Brot, weiß sie. Bemüht sich, zu lächeln. Dann, zwischen den Kaubewegung und dem Runterschlucken:
Essen sie nichts.
Ich mach mir nichts aus Essen. Ich brauch nicht viel.
Pause. Martha steht auf und kippt die Glastüre, die in den kleinen ärmlichen Garten hinausführt.
Regen wird kommen, sagt sie. Werden sich schon noch daran gewöhnen, dass es hier immer regnet.
Sie schiebt den Teller mit dem angeknabberten Toastbrot von sich weg. Hat einen schweren Kropf plötzlich.
Sie müssen ihr immer die Medizin geben.
Was genau nimmt sie denn. Wogegen.
Darum geht’s nicht. Das weiß der Psychiater.
Verstehe.
Martha kreist schnell mit den Handgelenken. Zieht dann an den Ärmeln des ausgebleichten Wollpullovers herum.
Das Geräusch eines klappernden Schlüsselbundes. Marthas Mundwinkel zucken ein wenig nach oben. Sie blickt von ihrem Teller auf, dreht sich um. Ein fetter riesiger Mann schließt die Türe hinter sich. Sein Schädel ist kahl. Wie Martha trägt auch er eine fette Hornbrille. Zippt einen grünen Overall auf und lächelt. Gedunsene Wangen hat er, denkt sie. Seine Hände sind riesig und lang. Schälen die Füße aus abgehatschten Tennisschuhen. Wirft sie in eine Ecke.
Das ist Alan.
Sie greift nach den Händen des riesigen Mannes, der leicht vornübergekippt in ihre Richtung schleicht.
Tam.
Freut mich.
Die Stimme des Mannes ist nasal und schmeichelnd.
Wie alt sind sie.
Zwanzig.
Sehen älter aus.
Sie sieht jünger aus, sagt Martha und steht auf. Öffnet die Mikrowelle, dann den Kühlschrank. Eine Schachtel Tiefkühlpizza. Hinter der Glaswand wird der Himmel dunkel. Regen fällt in dicken Schüren.
Hab ichs nicht gesagt.
Ja.
Sie nickt Martha zu. Die hat eine runde gefrorene Scheibe aus der Schachtel herausgelöst. Legt sie auf einen Teller. Schiebt diesen in die Mikrowelle. Wirft die Tür der Mikrowelle zu. Rasch. Seuzt mit labbernden Lippen auf.
Ich arbeite Tagsüber in einem Supermarkt, wissen sie. Sagt Alan.
Und abens als Security- Mann. Anders geht’s nicht. Martha ist für die Kinder da und wir brauchen Geld.
Wär alles nicht so schlimm, wenn die Schule von Helen nicht wär. Die ist teuer. Auch die Medikamente. Eigentlich muss rund um die Uhr wer für sie da sein.
Alan runzelt die weiße Stirn zu kleinen Bündeln Weißwürsten.
Sie haben sie schon kennen gelernt.
Ja.

Den Clown im Fernsehn willst du heiraten der ist ähnlich wie der aus Stoff der der Mutter an der Wand hängt mit dem tanzt du dann vorm Hauptabendprogramm umher aber du schämst dich als die Mutter es der besten Freundin erzählt wie wenns was Geheimes wär den Clown so zu lieben sagst in deiner Wut dass du den gar nicht magst dass der nämlich deppert ist und die Eltern wundern sich wissen nicht so recht sie kaufen ein Ticket fürs Clownmusical und dir ist ganz sauer in Herzgegend weil du denkst dass der Clown es jetzt weiß wie du über ihn geschimpft hast freust dich auf die Abendvorstellung fragen die Eltern du freust dich kein bisschen die Schuld macht dir Schluckbündel im Mund nickst aber nur und malst den Körper des Clowns mit Hutblume auf eine riesige Rolle Papier und als ihr ihn trefft dann im Park den Clown ohne Schminke da schiebst immer wieder nur Trauben in deinen Mund rein vor Nervosität traust dich gar nicht so richtig ihn anzugucken dann hast Schweißhände und dir purzeln fast die Augen raus ausm Gesicht ob du in den verliebt bist

Vögel fallen vom Himmel, sagt Helen.
Sie sitzen am Bett und Helen kämmt das zottelige blonde Haar einer Porzellanpuppe. Renkt ihr die Glieder aus. Grinst schief. Spastische Puppe, denkt sie. Sie schiebt die Hände und Füße der Porzellanpuppe wieder zurecht. Guckt dabei ein pausbäckiges weißes Gesicht mit dichten Wimpern und fetten roten Lippen an. Die Wangen, Hand- und Fußgelenke hat Helen mit rotem Filszstift angekrizzelt. In wilden, wütenden Strichen. Sie zuckt.
Weißt du, was du da sagst, fragt sie.
Es regnet tote Vögel.
Helen nickt noch einmal.
Dann: Die Puppe ist dick und hässlich.
Sie greift nach dem blonden zotteligen Haar und schüttelt den Porzellankörper. Arme und Beine schlenkern und stößen in klickenden Geräuschen gegeneinander.
Stopp.
Sie nimmt Helen die Puppe aus der Hand und legt sie aufs Bett. Streichelt deren Kopf in sanften, luftigen Bewegungen. Hebt dann die Hand. Legt sie auf Hellens rötlichen Scheitel. Leicht. Fährt langsam auf und ab. Helens Blick ist stumpf und dumpf. Plötzlich stößt sie einen Quietscher aus. Brabbelt laut.
Tote Vögel regnet es. Wie tot die Vögel sind es regnet tote Vogel. Oder.
Sie steht auf und beginnt, auf dem blauen Himmelbett umher zu hüpfen. Das dünne rote Haar flattert. Ihre Zunge hängt aus dem Mund. Sie hebt die Hände. Der Körper ist schmal. Kein Fett an den Knochen, nur weiße durchschimmernde Haut. Sie lacht. Jack öffnet die Türe. Zielt mit seiner Pistole auf Tam und läuft ihr entgegen.
Brennt mein Arsch oder sitze ich auf einem Känguruh, fragt er.
Sie lacht.
Wo hast denn das her.
Aus dem Fernsehr, sagt Jack.
Wirft sich auf Tam drauf, lässt die Pistole fallen und grabscht mit seinen winzigen Händchen nach ihren Titten. Sie packt ihn an den Handgelenken, drückt die Hände sanft weg. Hebt ihn hoch. Helen hüpft immer noch mit federnden weißen Füßen umher. Jack verzieht das flache Gesicht zu einem breiten Grinser und beginnt, im Gegentakt mit Helen mitzuwippen. Sie steht auf. Springt und springt.

Lachen. Rasselnder Atem.

Irgendwann liegen sie alle da, zu einem riesigen Bündel aus Fleisch zusammengerollt. Helen summt in piepsenden Lauten. Jack drückt seinen großen nackten Kopf auf ihre Brust. Der bebt, wenn sie ein und ausatmet. In heftigen erschöpften Zügen. Hat plötzlich wieder sein Gesicht vor Augen: Die markanten harten Backenknochen, das breite Gesicht. Die wasserblauen Augen mit den dichten Wimpern. Sie zuckt mit den Lidern. Wird ihn nicht mehr anrufen. Hinterm Fenster fällt immer noch Regen. Ein Wolkenmosaik am Himmel. Die Blätter der Bäume zucken ruckartig im Wind. Eine Schafherde fleckt den Schwunghügel.
Wo bist du daheim, fragt Helen.
Jetzt bin ich hier daheim.
Und sonst.
Das ist weit. Über den Ozean musst du fliegen.
Wie ist das da, wo du herkommst.
Sie versucht zu lächeln.
Das ist eine wunderschöne Landschaft, auf die sich alle ausreden.
Helen setzt sich auf und sieht ihr mit plötzlich scharfem Ausdruck in die Augen.
Warum.
Weil sie kaputt sind.
Und sonst.
Das ist eine Kontrolle, der entkommen nur die Verrückten. Und darum reise ich immer.
Daheim. Sagt Helen und wippt immer wieder mit dem Oberkörper hin und her. Daheim. Daheim. Daheim.
Kleine tretende Füße. Jack rollt sich aus dem Bett, drückt dabei seine winzigen Sohlen in ihren Bauch.
Brennt jetzt mein Arsch oder sitze ich auf einem Känguruh, fragt er.
Kannst du mir das in deinen Worten erklären, antwortet sie.
Ich will fernsehn.
Er schleudert die Füße in der Luft rum und läuft zur Türe. Bevor er sie öffnet, dreht er sich nochmal um.
Du solltest mit Helen nicht so reden, als würde sie was verstehn.
Warum.
Daheim, sagt Helen.
Jack läuft davon.

 

***

Weiterführend →

Ein Porträt von Sophie Reyer findet sich hier. In ihrem preisgekrönten Essay Referenzuniversum geht sie der Frage nach, wie das Schreiben durch das schreibende Analysieren gebrochen wird. Vertiefend zur Lektüre empfohlen, das Kollegengespräch :2= Verweisungszeichen zur Twitteratur von Sophie Reyer und A.J. Weigoni zum Projekt Wortspielhalle. Hören kann man einen Auszug aus der Wortspielhalle in der Reihe MetaPhon.