Nomen est Omen? Eine Nachlese

 

Mit dem Verfolgen von Gedankenketten ist es wie beim Nachlaufen von Blumen um sie zu einem Bund zusammenzufassen. Ein Farb- beziehungsweise Antupfer ist Auslöser für die nächste und die nächste und die nächste. Was lädt zum Einsammeln verschiedener Blüten ein und was bedingt das Festhalten am Gleichen und daran immer mehr davon anstatt sich von einer Vielfalt anregen zu lassen? Warum machen manche Menschen lieber einfarbige anstatt bunter Sträuße? Weshalb pflücken sie gleiche anstatt verschiedener Blumensorten? Mit diesem Strauß an Fragen setzt  sie sich ins kniehohe Gras aus dem die Köpfe etlicher Pflanzen hervorlugen.

Eine Margarite steht ihr, von unzähligen Schwestern umgeben, am nächsten. Mit eifrigem Nicken und den kaum wahrnehmbaren Farbnuancen und Duftstärken kommunizieren sie auf ihre stille Weise. Lisa sinkt tiefer und tiefer in ihre Beobachtung, beide Hände auf die leicht aufgestellten Knie gelegt, auf die sie ihren Kopf bettet. Das Kinn liegt schwer auf, lässt dem Geist jedoch Leichtigkeit, um über diese ungemähte Wiese zu tanzen. Erst weiter und weiter, dann immer höher. Ich mache den niedrigen Baum hoch, besagt Ezechiel in einem seiner Briefe. Der Baum wird wachsen und blühen. Anlässlich der Zerstörung Jerusalems im Jahre 587 vor Chr. ist auch ein Teil der Bevölkerung nach Babel verschleppt worden. Entwurzelung. Verpflanzung. Ausrottung. Neuaussaat. Lisa rupft an einem der Grashalme. Die Worte der Lesung aus dem sonntäglichem Hochamt klingen nach. Sie reißt nur den oberen Teil ab, den zu einer Rispe ausgebildeten Blütenstand den sie wie einen Hahnenschwanz in der Hand zurückbehält. Hahn oder Henne hat das beliebte Kinderspiel geheißen. Das Prickeln im Bauch kurz vor dem Abziehen des Halmes hat seit den Kindertagen nicht nachgelassen. Erste sexuelle Ahnungen jenseits sich paarender Hunde und Tauben und der mahnenden Nachfrage des Priesters im Beichtstuhl ob des sechsten Gebotes. Da es bei Pflanzen sehr schwer ist für den Unkundigen, weibliche oder männliche Blütenteile zu unterscheiden so solche vorhanden sind und meistens auf einen Dritten in Form eines Insekts oder des Windes angewiesen sind, entspricht die Vorstellung ihrer Vermehrung zunächst eher der einfachen Art , der eines Kindes das die Eltern beim Geschlechtsakt belauscht, in einer Art Menage a trois. Dieser Begriff hat sich vom Vortag von einem Vortrag einer österreichischen Autorin herübergerettet. Lisa streicht sanft über das gelbe Margaritengesicht mit dem weißem Lächeln das sich strahlenförmig zeigt. Der Unwiderstehliche Garten, heißt die Neuerscheinung der aus Altaussee stammenden und wieder dort sesshaften Autorin Barbara Frischmuth (*1941). Es ist kein Pflanzenbuch im üblichen Sinn, eher Biografisches aus der Beziehung von ihr zu ihrem „Garteln“ und viel kundig und klug Recherchiertes zur Pflanzenwelt. Nun hat sie also nach  Fingerkraut und Feenhandschuh, einem literarischen Gartentagebuch (1999) und Löwenmaul und Irisschwert, Gartengeschichten (2003) doch noch über dieses Stück Land geschrieben, das sie seit 25 Jahren zu vielen Werken inspiriert hat. Es ist ein Buch über das Verhältnis zwischen Menschen und Pflanzen, jenen Geschöpfen, welche die Menschheit immer schon beeinflusst hat. Von Lewis Carrolls „Alice im Wunderland“ bis zu Künstler Lois Weinberger findet man in der Literatur und der Kunst interessante Bezüge zu diesem Thema, auf die sie in ihrem neuen Werk auch eingegangen ist.

Andere Bücher von ihr handeln von den aufregenden Befruchtungen von Okzident und Orient, Liebesbeziehungen, die Barbara Frischmuth vor allem zwischen österreichischen Frauen und türkischstämmigen Männern entwickelt wie in „Das Verschwinden des Schattens in der Sonne“ (1973), „Über die Verhältnisse“ (1987) oder in „Der Sommer, in dem Anna verschwunden war“ (2004). Ihre Verlobung mit einem Militärarzt im Majorsrang löste sie nach ihrem Stipendium an der türkischen Atatürk Universität in Erzurum, wollte studieren (Dolmetsch-Diplome für Türkisch und Ungarisch) und weiterhin schreiben und brauchte dafür vor allem ein lebendiges Deutsch als sprachliches Umfeld, wie sie in einem Interview anlässlich ihres 70.Geburtstages erzählt hat.

Ihre erste Veröffentlichung war eine Übersetzung aus dem Ungarischen, die Tagebücher der rumänischen Jüdin Anna Novac, die diese im Alter von 14 über ihr Leben in den Nazi-Konzentrationslagern führte. 1966 hat Frischmuth es von Rowohlt zum Lektorat bekommen und lernte die Frau die über Ungarn aus Rumänien geflüchtet war, sogar persönlich in Berlin kennen, lebte eine Woche lang bei dieser Frau, die als Schriftstellerin verfolgt worden war und kurz zuvor aus der Nervenheilanstalt entlassen worden ist. Lisa entsinnt sich der eigenen nachträglichen Recherche über den Ort an dem Barabara Frischmuth die Lesung gehalten hat, dem Gartenpavillon zu einem Schloss, das seit 1997 einer Psychosozialen Einrichtung dient. Über ihrem Kopf zieht ein Raubvogel unentwegt seine Kreise.

1968 erscheint das erste eigene Werk  der Autorin, „Die Klosterschule“, die zumeist als Abrechnung mit der autoritären Erziehung der Gmundner Kreuzschwestern gelesen wird. Die Erotik in Mädchenpensionaten einer Generation ohne Väter, die nicht mehr aus dem Krieg zurückgekehrt sind oder durch ihre langen Abwesenheiten ihre Prägungen gesetzt haben, scheint jedoch die unterschwelligere Botschaft dieses Erzähldebüts. In ihren Büchern hat Barbara Frischmuth einen sehr poetischen Zugang zu Erotik gefunden, bis auf „Die Schrift des Freundes (1998), in der sie sogar „Schwanz“ ausgeschrieben hat. Lisa wirft die Reste des Hahnenschwanzes von sich, den ihre Finger zum wiederholten Mal aus den Gräsern um sich gezogen hat.

Romane, Erzählungen, Theaterstücke, Hörspiele, Kinderbücher und Übersetzungen gehören zum vielfältigen Repertoire der österreichischen Schriftstellerin. Die Aufbruchs- und Umstrukturierungsprozesse aus der Sicht einer Frau, einer schreibenden Frau, sind es auch gewesen, die Lisa bis zur Veröffentlichung von „Die Mystifikationen der Sophie Silber“ (1976) angeregt hat, keine der Neuerscheinungen der Autorin auszulassen. Danach hat  sie weniger modern und zeitnah für sie gewirkt und erst durch den persönlichen Kontakt anlässlich einer Lesung die Neugier auf diese Schreibende wieder entfacht.

Zunächst wird sie jedoch nochmals das halbe Dutzend mitgeschleppter alter Werke, die Barbara Frischmuth allesamt geduldig und freundlich signiert hat, lesen. Das Gartenbuch wird sie ihrer Freundin schenken, mit einer persönlichen Widmung der Autorin, zum Einstieg für den Sommer und in eine leichte Literatur, einer Lebensrückschau zu einem der Autorin sehr wichtigen Lebenskapitel in der sich die Freundin wiederfinden wird können, geschrieben in einer ganz eigenen und liebevollen Betrachtungsweise bei der sehr oft gelacht werden kann über Alltagsbegebenheiten.

Henne, diesmal ist es eine Henne geworden. Die kahl gezupfte Fläche um Lisa ruft zum Grasen an anderen Stellen.