Auf diesen Zürcher Verlag wurde ich erstmals durch Beat Brechbühls vom absägen der berge (2001) aufmerksam: ein vorzüglicher Gedichtband mit spritzigen Gedichten, die zeigen, daß der seit Jahrzehnten Lyrik schreibende und fördernde Beat Brechbühl nichts von seiner ursprünglichen Lebendigkeit verloren hat. Die Lyriktitel von Nagel & Kimche – mittlerweile unter dem Dach des Carl Hanser Verlags angesiedelt – sind zwar rar gesät, aber hochinteressant:Da gibt es Kurt Marti mit brillanten Leichenreden (Neuausgabe 2001), zu denen Peter Bichsel bemerkt: „Sprache ist bei Kurt Marti nicht einfach nur ein Medium. Sprache ist bei ihm das Maß. An ihr versucht er die Dinge des Lebens zu messen – die Dinge werden zum Wort.“ Eveline Hasler ist eine Autorin, deren Gedichte es für viele Leser noch zu entdecken gilt. In Sätzlinge (2000) lese ich herrlich lebendige Wortkombinationen und Bilder: „Die Welt / hängt an der Angel / eines einzigen / Wortes“. 2002 erschien die gesammelte Lyrik von Kuno Raeber in einem umfangreichen Band von 464 Seiten, der auf einen Dichter aufmerksam macht, den nach 2000 offenbar kaum noch jemand kennt. Peter von Matt, Autor des wunderbaren Buches Die verdächtige Pracht. Über Dichter und Gedichte (Hanser, München 1998) und Dirk Vaihinger zeichnen als Herausgeber verantwortlich für Die schönsten Gedichte der Schweiz (2002), eine insgesamt vorzüglich edierte Anthologie, in der jung und alt mit feinen Gedichten versammelt ist. Hören wir Robert Walser:
BEISEIT
Ich mache meinen Gang;
der führt ein Stückchen weit
und heim; dann ohne Klang
und Wort bin ich beiseit.
Die Auswahl erscheint umfassend, aber einen Autor vermisse ich: Werner Bucher – u.a. seit Jahrzehnten ein glühender Verehrer Robert Walsers, zu Zeiten also, als die Schweizer sich noch kaum für einen ihrer Größten interessierten, dem sie seit seinem runden Geburtstag huldigen wie einem Heiligen. Beispielsweise Buchers schönstes Gedicht – das Engelgedicht „Wie schön“ – hätte diesen im übrigen sehr zu empfehlenden Sammelband zusätzlich bereichert.
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Weiterführend → Ein Essay über den Lyrikvermittler Theo Breuer.
→ Poesie zählt für KUNO zu den identitäts- und identifikationstiftenden Elementen einer Kultur, dies bezeugt der Versuch einer poetologischen Positionsbestimmung. Um den Widerstand gegen die gepolsterte Gegenwartslyrik ein wenig anzufachen schickte Wolfgang Schlott dieses post-dadaistische Manifest. Warum Lyrik wieder in die Zeitungen gehört begründete Walther Stonet, diese Forderung hat nichts an Aktualität verloren. Lesen Sie auch Maximilian Zanders Essay über Lyrik und ein Rückblick auf den Lyrik-Katalog Bundesrepublik. KUNO schätzt den minutiösen Selbstinszenierungsprozess des lyrischen Dichter-Ichs von Ulrich Bergmann in der Reihe Keine Bojen auf hoher See, nur Sterne … und Schwerkraft. Gedanken über das lyrische Schreiben. Lesen Sie ein Porträt über die interdisziplinäre Tätigkeit von Angelika Janz, sowie einen Essay der Fragmenttexterin. Ein Porträt von Sophie Reyer findet sich hier, ein Essay fasst das transmediale Projekt „Wortspielhalle“ zusammen. Auf KUNO lesen Sie u.a. Rezensionsessays von Holger Benkel über André Schinkel, Ralph Pordzik, Friederike Mayröcker, Werner Weimar-Mazur, Peter Engstler, Birgitt Lieberwirth, Linda Vilhjálmsdóttir, und A.J. Weigoni. Lesenswert auch die Gratulation von Axel Kutsch durch Markus Peters zum 75. Geburtstag. Nicht zu vergessen eine Empfehlung der kristallklaren Lyrik von Ines Hagemeyer. Diese Betrachtungen versammeln sich in der Tradition von V.O. Stomps, dem Klassiker des Andersseins, dem Bottroper Literaturrocker „Biby“ Wintjes und Hadayatullah Hübsch, dem Urvater des Social-Beat, im KUNO-Online-Archiv. Wir empfehlen für Neulinge als Einstieg in das weite Feld der nonkonformistischen Literatur diesem Hinweis zu folgen.