Tränen kreist der Raum!
Tränen Tränen
Dunkle Tränen
Goldne Tränen
Lichte Tränen
Wellen krieseln
Glasten stumpfen
Tränen Tränen
Tränen
Funken
Springen auf und quirlen
Quirlen quirlen
Wirbeln glitzen
Wirbeln sinken
Wirbeln springen
Zeugen
Neu und neu und neu
Vertausendfacht
Zermilliont
Im Licht!
Tränen Tränen
Tränen Funken
Augen schimmern
Augen Augen
Nebeln schweben
Tauchen blinzeln
Saugen
Schwere schwere
Blinde
Tief
Hinunter
In die Nächte
Reißen
Schaun![45]
Schatten dampfen
Weiche blasse
Fließen fließen
Wallen wogen
Hart und härter
Runden Formen
Ungetüme
Ungestüme
Ungefüge
Leiber
Leiber
Walzen wälzen
Stalten sondern
Einen fliehen
Zeugen schwellen
Tummeln starren
Fliegen stürzen
Stürzen stürzen
Stürzen stürzen
In
Den
Schrei!
Mäuler
Gähnen
Gähnen klappen
Klappen schnappen
Schnappen
Laute
Laute Laute
Schüttern Ohren
Horchen Horchen
Schärfen Horchen
Schwingen Schreie
Töne Töne
Rufe Rufe
Klappen Klarren[46]
Klirren Klingen
Surren Summen
Brummen Schnurren
Gurren Gnurren
Gurgeln Grurgeln
Pstn Pstn
Hsstn Hsstn
Rurren Rurren
Rurren Rurren
Sammeln Sammeln
Sammeln Stammeln
Worte Worte Worte
Wort
Das Wort!
Worte Worte
Worte Worte
Binden
Schauen
Fühlen
Tasten
Bauen
Worte Worte Worte
Sinnen
Schrecken Grausen Furcht
Bringen
Hilfe Stütze Nahrung
Schlingen
Bänder Fesseln Ketten
Schüttern
Freuen Fluchen Weh
Bilden
Bilder
Bilder Formen
Wecken nähren
Nähren mehren
Stützen gängeln[47]
Lehren
Stehen
Lehren lehren
Aufrecht stehn
Den
Menschengeist!
Taumeln Taumeln
Irren Wirren
Wippeln Kanten
Fallen Heben
Tappen Halten
Zagen Leben
Gehen
Vorwärts rückwärts
Seitwärts seitwärts
Aufwärts
Abwärts
Tasten Schwanken
In das Dunkel
Bauet
Krücken
Krücken Krücken
Brücken Brücken
Wahne Wahne
Wahne Tiefen
Wahne Höhen
Wahne Schrecken
Wahne Hoffen
Wahne Strafen
Wahne Löhne
Aus
Dem
Eigenen
Blute Blute
Stückt den Raum
In[48]
Wahne Wahne
Reißet aus dem Raum
Das
Ich!
Reißt aus Ich
Das
Um ihn Um ihn
Reißt
Das
Um ihn Um ihn
Reißt
Sich
Selber Selber Selber
Reißt
Die Formen
Reckt
Die Formen
Reckt
Das
Um ihn
Reckt
Das
Um sich
Reckt
Sich
Selber Selber Selber
Reckt
Die
Hand!
Hände
Kampfen
Krampfen kämpfen
Bluten Beten
Holen Leben
Schmettern würgen
Morden morden[49]
Streicheln schmeicheln
Rächen rächen
Hüten wehren
Treiben stoßen
Jagen
Füße
Über
Felder
Felder Felder
Wüsten Wälder
Spreiten Schenkel
Schmettern Hirne
Stopfen Mäuler
Sticken Worte
Würgen Leiber
Trümmern Formen
Wehren Schatten
Pressen Tränen
Tränen Tränen
Schwarze Tränen
Tränen Tränen
Blutige Tränen
Tränen Tränen
Greuel Greuel
Unerhörte Greuel
Ziehen
Ziehen wachsen
Wachsen deihen
Reifen reifen
Reifen Früchte
Stählen Kräfte
Spannen
Zeit
Spannen
Zeit
Spannen[50]
Zeit
Spannen Zeit
Die wesensbare
Spannen Zeit
Die grauenbäre
Spannen Zeit
Die fassenstrotze
Spannen Zeit
In
Feste Schirre
Ungeheure
Winzge
Schirre
Knechten Zeit
In
Starre Masse
Knechten Zeit
Um
Sterne Sterne
Knechten
Sterne
Aus dem Raume
Sterne Sterne
Sterne Sterne
Krammen Sterne
In
Die Arme
Sterne Welten
Welten
Und
Umpranken
Ihr
Geheimnis
Ihr Geheimnis
Ihr Geheimnis
Grauenrund[51]
Und
Richtespurvag
Raum und Raum
Und
Raum und Raum
Raum und Raum
Ringsum um um
Höhe Tiefe
Länge Breite
Raum
Nur Raum
Nur Raum nur Raum
Schwingen Rasen
Rasen Schwingen
Um
Im Raum
Im Raum
Im Raume
Klammern Krallen
Feste fester
Zittern Beben
Klammern Krallen
Aneinander
Durcheinander
Oben unten
Unten oben
Raum und Schwingen
Raum und Wirbeln
Schwingen Prellen
Prellen Schleudern
Klammern Klammern
Klammern Klammern
Menschen Menschen
Menschen Menschen
Über
Menschen[52]
Knochen Knochen
Über
Knochen
Beine Beine
Köpfe Köpfe
Hände Hände
Hirne Hirne
Herzen Herzen
Leiber Leiber
Dicht gedrängt
Gehäuft gemasset
Wirr verschlungen
Hinter Zeichen
Fahnen Fahnen
Trommelnd brechend
Fluchend betend
Mordend sengend
Heilend lindernd
Tröstend löschend
Mütter Kinder
Väter Gatten
Freunde Fremde
Feinde Brüder
Schwestern Huren
Bräute Krieger
Mörder Beter
Fallen fallen
Schichten Wege
Fallen fallen
Schütten Wege
Fallen fallen
Wege Wege
Wegeschotter
Wege Wege
Neue Wege
Wege[53]
Wege
Durch das Elend
Durch das Grausen
Durch das Leiden
Durch den Atem
Voll von Keimen
Durch den Atem
Voll von Toden
Durch den Atem
Voll von Leben
Durch die Tränen
Tränen Tränen
Durch
Die
Nächte Nächte
Nächte
Voran Voran
Hoch die Zeichen
Voran Voran
Schauer Zucken
Voran Voran
Schrei und Täuben
Voran Voran
In die Gähne
Voran Voran
In die Leere
Voran Voran
In die Wiege
Voran Voran
In die Gruft
Kreis im Kreise
Kreis im Kreise
Voran Voran
In den Anfang
Voran Voran
In das Ende[54]
Voran Voran
In den Abgrund
Voran Voran
In die Höhe
Voran Voran
In das Sterben
Voran Voran
In das Werden
Kreis im Kreise
In das Werden
Kreis im Kreise
In das Werden
In
Das
Werden Werden Werden
In
Das
Kreisen Kreisen Kreisen
In
Die
Tränen Tränen Tränen
In die
Tränen
In den Raum
In den Raum
In den Raum!
Tränen kreist der Raum!
***
Am 1. September 1915 ist August Stramm bei Horodec östlich Kobryn, in einem sinnlosen Krieg gestorben. Seine Texte fallen auf durch ihre schlichte, reduzierte Sprache. Oft wird kein Wert auf Grammatik gelegt; Substantive, substantivierte Verben und Neologismen bilden den Hauptbestandteil.
Stramms Stil war überraschend und neu. Durch seine Knappheit, Härte und die weit vorangetriebenen Sprachexperimente heben sich Stramms Gedichte deutlich von denen anderer, früher Expressionisten wie beispielsweise Georg Heym und Theodor Däubler ab. Während letztere meist noch deutlich von der Neuromantik und dem Symbolismus beeinflusst sind, reißen Stramms Sprachmontagen den Horizont in die Moderne auf. Die zerhackten Rhythmen, die Satz- und Wortfetzen machen Stramms Gedichte zudem zu den überzeugendsten lyrischen Zeugnissen des Weltkriegs, umso mehr, da es kaum einem anderen Autor gelungen ist, das Grauen dieses ersten Maschinenkriegs in einer dieser ganz neuen Erfahrung angemessenen Form zu verarbeiten.
Schon mit den ersten Veröffentlichungen im Sturm nahmen junge Autoren Stramms Stil auf, darunter Kurt Heynicke, Walter Mehring und Kurt Schwitters. Auch auf die expressionistische Prosa von beispielsweise Alfred Döblin hatte Stramms Sprachduktus Einfluss. Zu späteren Stramm-Anhängern gehören u. a. Arno Schmidt, dessen frühe Prosa (1946–1956) auch stilistisch von Stramms Lyrik beeinflusst ist, Gerhard Rühm, Ernst Jandl und der Stamm-Adept Thomas Kling.
Weiterführend → Poesie zählt für KUNO weiterhin zu den identitäts- und identifikationstiftenden Elementen einer Kultur, dies bezeugte auch der Versuch einer poetologischen Positionsbestimmung.