Erinnerung: Wir küssen uns. Du hast zuvor geraucht, du hast die Zigarette noch in der Hand, während wir uns küssen. Hinter dem Rauchgeschmack dein Duft. Das fordernde, angespitzte, mit den herrlichen Noppen deines Leibs besetzte Scharnier deiner Zunge. Das ist der Moment, da ich beginne, dich zu lieben: schon jetzt, wenn wir uns küssen. Vorüber der Augenblick, da wir nicht wissen, was wir tun – süchtig sind wir und ernst. Du küßt mich, als wäre da nicht meine Angst; du wühlst in mir herum, dazwischen dein Rauchen, Michansehn und Lachen. Ich fasse das weiche Fleisch deiner Hüften, auf der Straße in Ranis, etwas abseits des Wegs, wo jeder uns für ein unbeschwertes Liebespaar hält, ich küsse deine Augen, deine Stirn, die Wangen, das duftende Kinn und den rauchenden Mund. Wir gehen, im den Weg belagernden Schatten der Burg, in den Schrittpausen uns küssend, durch die Nacht. Der Bach rauscht hinter der Bank, auf der ich deine Brüste berührte und die frierende Haut deines Bauchs. Es ist die Zeit der Ernte und Brunft. Der Orion bereitet sich im Südosten auf seinen Aufgang vor. Von der Burg dringen Fetzen Musik. Es ist Septemberbeginn, wegen uns sind die Leute gekommen. Ich küsse dich, liebe dich schon, auch wenn ich weiß, daß du heute noch fortmußt, später, in der Nacht. Daß wir uns küssen – im Moment ist nur das wichtig.
Weiterführend → Lesen Sie auch das KUNO-Porträt des Lyrikers André Schinkel.
→ Poesie zählt für KUNO weiterhin zu den identitäts- und identifikationstiftenden Elementen einer Kultur, dies bezeugte auch der Versuch einer poetologischen Positionsbestimmung.