Literarische Subkultur in Deutschland von 1968 bis 1998 und das „Informationszentrum“ des Josef Wintjes in Bottrop
In Deutschland gibt es die literarische Alternativkultur oder „Alternativpresse“ seit 1968. Ab diesem Zeitpunkt wird der Begriff zu einer spezifischen Bezeichnung für jene programmatische linke literarische Weltanschauung und Position, die die Alternativbewegung auszeichnet. Jedoch Subkultur oder Underground im Sinne von Unterkultur, also einer Kultur abseits der Monokultur mit der Absicht, diese zu untertunneln, gab und gibt es in jeder Zeit, der Begriff hat also auch eine allgemeinere Bedeutung.
Die Alternativliteratur bis 1968 und ihre Wurzeln
Der Pionier der Alternativpresse, wie sie in Deutschland ab den 60er Jahren einen regelrechten Boom erlebte, war Victor Otto Stomps (1897 – 1970), der 1926 ganz im Banne des Expressionismus die Rabenpresse gründete, einen Kleinverlag im späteren Stil, in dem bis Ende des Jahres die Literaturzeitschrift „Fischzug“ erschien, in der u.a. Gottfried Benn und Bertolt Brecht veröffentlichten, sowie von 1932-37 die Zeitschrift „Der Weiße Rabe“. Die Rabenpresse zeichnete sich vor allem dadurch aus, dass sie anders war als andere Verlage. Stomps verlegte junge, unbekannte Autoren, die ihm interessant erschienen, und zwar mehr aus Spaß denn aus Profitgier; die Bücher wurden von Hand gedruckt, gesetzt und gebunden, mit experimentellem und individuellem Äußeren, erschienen in Kleinstauflagen von etwa 200 Exemplaren, und bis zu ihrer von der NSDAP verordneten Schließung 1937 waren in der Rabenpresse 112 Bücher gedruckt worden. Thomas Daum zitiert eine Bemerkung von Harry Pross, in der es heißt, Stomps habe „als Verleger getan, was Polgar, Tucholsky, Kästner als Feuilletonisten leisteten: er reduzierte die großen Zeiten vermittels der kleinen Form.“ Die Verbindung mit Kästner und Tucholsky als den großen Satirikern der Weimarer Republik zeigt auch einen weiteren Aspekt zur allgemeinen Definition des Begriffes „Subkultur“ auf, denn auch die Satire definiert sich ja bekanntlich durch ihr Ziel, die Monokultur zu untertunneln, sich mit ihr auseinanderzusetzen und ihre Behäbigkeit und Schwerfälligkeit durch kleine spitze Attacken bloßzulegen. Nach dem Krieg gründete Stomps 1949 die Eremitenpresse, die laut Mitgründer Helmut Knaupp 1951 fast so bekannt war wie Rowohlt oder Suhrkamp.
Die Stimmung dieser Zeit, der „Stunde Null“, ist mit der von 1968 zu vergleichen
(oder mit der „Stunde Null“ von 1989, die Red.)
Wodurch sich die Eremitenpresse von Stomps hauptsächlich von den linken Kleinverlagen der späten 60er Jahre unterschied, war die Tatsache, dass Stomps die Autoren, die er „entdeckte“ (diesen Ausdruck lehnte er selbst zeitlebens ab), nie an seinen Verlag binden wollte. Er verlegte sie aus Spaß an der Freude, aus Lust am Buch: Stomps definierte die Eremitenpresse nicht als alternative Weltanschauung, sondern als Sprungbrett, von der seine Autoren zu den größeren Verlagen weiterspringen konnten und sollten, wenn sich dort ein lukrativeres Angebot bot, was für Stomps auch keinen „Verrat“ darstellte wie für die späteren linken Kleinverlage. Er hatte nicht unbedingt die Absicht, das bestehende Literaturestablishment zu unterhöhlen oder auszubooten – er lebte auch nicht durch seinen Verlag, sondern durch feste Bezüge der „Büchergilde Gutenberg“, für die er die Kataloge gestaltete – er wollte nur „sein Ding“ machen, Bücher drucken, die ihm gefielen, ohne sich von den unerbittlichen Gesetzen des Marktes fremdbestimmen zu lassen. Sein Beispiel regte dennoch viele Einmannverlage an, und Kleinverlage und kleinere Zeitschriften schossen seit den fünfziger Jahren aus dem Boden, vermehrten sich sukzessive und förderten junge Autoren, bohemische Außenseite. Anders als für die Großverlage gab es aber für diese Vielzahl von Kleinverlagen noch kaum eine Öffentlichkeit, und so kam Stomps 1958 auf die Idee einer Kleinbuchmesse, was 1963 zur „Ersten Literarischen Pfingstmesse“ in Frankfurt am Main führte. 1964 fand die zweite und 1968 die dritte literarische „Gegenbuchmesse“ statt, doch bevor ich nun auf die sich in gerader Linie anschließende Mainzer Minipressen-Messe sowie auf die Institution des „Literarischen Infozentrums“ in Bottrop zu sprechen komme, muss ich noch auf eine Strömung aus Übersee näher eingehen, die wesentlich zur Entstehung und Ausbreitung der „Szene“ in Deutschland beitrug: die Popkultur und die amerikanische Beat Generation.
Während Deutschland direkt nach dem Krieg noch mit Wiederaufbau von Existenzgrundlagen beschäftigt war (und sich obendrein im Besatzungszustand befand), gab es in den USA nicht viel aufzubauen. Im Gegenteil: durch das Atomwaffenmonopol spielte Amerika seine Über- und Vormachtstellung in der Welt weiterhin aus; der Korea-Krieg (1950-53) und der Kalte Krieg mit der UdSSR bis zur Kubakrise 1962 prägten die Atmosphäre bis zum Vietnamkrieg. Je übermächtiger und gewaltiger ein Staat in seinem Ganzen nach außen ist, desto mehr Nährboden besteht für innere Proteste und Unzufriedenheit. So war die Generation, die ihre Teenagerjahre während des Zweiten Weltkriegs verlebt hatte und nun, im Amerika der vierziger Jahre, im Angesicht der Atombombe sich um ihre Zukunft betrogen sah, die erste Nachkriegsprotestgeneration: die Beat Generation.
I’d say get it while you can, yeah
Honey, get it while you can, yeah
Hey hey, get it while you can
Don’t you turn your back on love, no, no
Die „Beatniks“ lebten nach der „get it while you can“-Maxime: solange man noch lebt, soll man glücklich sein – wenn morgen alles vorbei ist, dann will ich wenigstens mein Leben genossen haben! – Die Folgen dieser Lebenseinstellung waren eine hemmungslose Lebensgier, man genoss sein Leben in vollen Zügen, experimentierte mit Drogen, reiste quer durchs Land, um in Ekstase und Rausch die absolute „beatitude“, Glückseligkeit, zu finden und sich dabei von nichts und niemandem aufhalten zu lassen. Helen Bauerfeinds Frage, ob die Beats politisch oder apolitisch waren, ist insofern überflüssig, als die Beatniks eben dadurch, dass sie sich betont und ausdrücklich apolitisch gaben, hochpolitisch waren: sie lehnten die Errungenschaften des Wohlstandes, die ihnen der Staat bieten konnte und in denen ihre Eltern lebten, kategorisch ab, sie schufen sich ihren persönlichen „American Dream“, realisierten ihre subjektive Selbstverwirklichung. Sie lebten in ihrer „Szene“, hatten ihre eigene Sprache und ihre eigene Lebensweise und hatten auch nicht vor, den Rest der Gesellschaft nach ihren Maßstäben zu ändern – dies ist der Punkt, in dem sich die Beats deutlich von den Yippies der End-60er und den 68er Revolutionären in Europa unterschieden.
I saw the best minds of my generation destroyed by madness, starving hysterical naked
Allen Ginsberg
Literarisch manifestiert sich die Beat Generation vor allem in ihren Hauptprotagonisten Jack Kerouac (1922-69), Allen Ginsberg (1926-97), Neal Cassady (1925-68) und William Seward Burroughs (1914-97), die in ihren Werken das Lebensgefühl der amerikanischen Jugend der 50er Jahre ausdrücken und die literarische Tradition revolutionieren. Von besonderer Bedeutung sind hierbei der 1947 erlebte, 1951 geschriebene, aber erst 1957 veröffentlichte Roman „On the Road“ von Kerouac, das ekstatische Gedicht „Howl“ von Ginsberg (1956) sowie die beiden Drogenromane „Naked Lunch“ (1959) und „Junky“ (1953) von William S. Burroughs. Allen diesen Büchern gemeinsam ist eine von jeglichen literarischen Fesseln losgelöste Sprache, die versucht, die Wirklichkeit genauso, wie sie empfunden wird, schriftlich wiederzugeben, ohne sie dabei zu schmälern oder zu verfälschen. William S. Burroughs ́ Technik, die er zusammen mit Brion Gysin vervollkommnete und die, ähnlich wie der innere Monolog, als „neue“ und revolutionäre Methode gefeiert wurde und in den 60er Jahren zahlreiche Nachahmer fand (einer der bekanntesten in Deutschland war z.B. Jörg Fauser), war die sogenannte „Cut up“-Methode. Dabei wurden Texte willkürlich zerschnitten und genauso willkürlich wieder zusammengeklebt; das Textfragment, das dabei herauskam, wurde durch den assoziative Verknüpfungen des Rezipienten zu einem ganz subjektiv gefärbten Textganzen verarbeitet. Allen Ginsberg perfektionierte in seinen Gedichten den „free verse“ und die „long line“, wobei eine Zeile für ihn eine Atem-, keine Sinneinheit darstellte. Dies führte zu einer unglaublich berauschenden und inspirierenden Lyrik, wobei auch Ginsberg stark auf die Kraft der Assoziationen setzte. Die Faszination am Beat und das, was im Zug der Popkultur nach Europa überschwappen sollte, war also das Freie, Ungezügelte, Wilde, Ekstatische, Überschäumende, was in der Hippie- und Flower Power-Bewegung der späteren Jahre seine Fortsetzung fand. Im Film war es hauptsächlich James Dean, der mit seiner rebellischen Ausstrahlung einen neuen Heldentyp verkörperte und in Europa zahlreiche Nachahmer und Bewunderer fand. Im musikalischen Bereich übernahmen die Beatles den Funken des amerikanischen Rock’n’Roll, und mit ihnen breitete sich fächerübergreifend die Popkultur in Europa aus, und Deutschland, in seinem Zustand als wiederaufgebautes Wirtschaftswunderland mit neu erstarkendem Selbstbewusstsein, sog die neuen Reize aus Übersee, ihre „Lebenslust ohne Gewissensbisse“ und ihre „unbekümmerte Sinnlichkeit“ gierig in sich auf. Es begann sich nun eine bunte und von rebellischem Optimismus strotzende junge Kultur zu bilden, die sich auch auf die Literaturszene auswirkte.
Die literarische Situation 1968 und das „Literarische Infozentrum“ des Josef Wintjes in Bottrop
Wie bereits erwähnt, verquickten sich 1968 zwei Hauptstränge zu einer hochexplosiven revolutionären Mischung: erstens die apolitische Kulturströmung aus Übersee mit Rock’n’Roll, Minirock, langen Haaren, Provokation, Rebellion, Beat und Freiheit; zweitens die Entwicklung der politischen Linken in Deutschland, die Studentenrevolte, die sich ab Beginn der Großen Koalition 1966 zuspitzte und nach dem Mord an Benno Ohnesorg am 2. Juni 1967 radikalisierte. Die Kulturrevolution fungierte dabei quasi als Antrieb, als Hintergrundmusik, als Bestätigung und Bekräftigung für die politische, als „Samen“, der inneren Halt und Selbstbewusstsein gibt, indem er den Sinn des Lebens neu definiert und der dann in der politischen Tätigkeit, also im Blick nach außen, zur Reifung kommt.
In den 60er Jahren waren diese beiden Strömungen noch unentwirrbar miteinander verbunden und verknüpft, während sich dann ab Mitte der 70er Jahre langsam ihre Unterschiedlichkeit bemerkbar machte und sich die verschiedenen Richtungen selbständig machten, was allgemein zur Desillusionierung der Linken und insbesondere auch zur Krise der Alternativkultur führte. Hadayatullah Hübsch, einer der wichtigsten Autoren, die in der alternativen Szene der 60er Jahre ihr Organ fanden, und einer der wenigen, die dieser Szene und der damit verknüpften Lebenseinstellung bis heute unerschütterlich treu blieben, beschreibt hier einen wesentlichen Aspekt der 68er: das „Unbehagen an der Kultur“, der Konflikt zwischen der 68er Generation, und „der Gesellschaft“, den Spießern der Elterngeneration – diese Trennlinie wurde schon von den Beats gezogen und penibel eingehalten, und sie ist auch die wichtigste Basis für die Entstehung der Alternativbewegung. Dabei war der Generationenkonflikt in Deutschland nicht nur ein bloßes Aufbegehren der Jüngeren gegen die Älteren, sondern er war um einiges brisanter und politischer, da die Elterngeneration ja noch „hitlergeschädigt“ war. Das Tabuthema Drittes Reich sollte enttabuisiert, der Mantel des Wohlstandes, unter dem die Vergangenheit sorgfältig verborgen wurde, sollte gelüftet werden – der Slogan der Studentenrevolte „Unter den Talaren der Muff von 1000 Jahren!“ hat daher auch eine Bedeutung über die Universitätsproblematik hinaus. Die politische Linke in Deutschland lehnte nicht das Vergangene und die Denkweise ihrer Eltern einfach ab wie die Beatniks, sondern sie setzten sich kritisch damit auseinander und deckten dabei so manche Schwachstelle auf, und der so entblößte Staat reagierte empfindlich getroffen und schlug zurück. Man kann sagen, dass Deutschland in dieser Beziehung noch weit weniger Erfahrung hatte wie beispielsweise Amerika. Die Überreaktionen des Staates bei Studentendemonstrationen 1967/68, die propagandistische Hetze der Springer-Presse gegen die „Krawallmacher“ und „Randalierer“ und die geradezu lächerlich anmutende Hysterie bei dem von der Kommune I am 5. April 1967 geplanten „Puddingattentat“ auf den US-Vizepräsidenten Humphrey – das alles wies mit den Vorgehensweisen aus dem 3. Reich durchaus gewisse Ähnlichkeiten auf und entlarvte den modernen Staat als schwerfällige, cholerische Maschinerie, reizte damit nur noch mehr zu weiterer Provokation. Nach Auflösung des Kyklos Klub (1965), der zusammen mit V. O. Stomps die „Literarischen Pfingstmessen“ 1963 und 1964 organisiert hatte, veranstaltete Horst Bingel 1968 die „Literarische Messe“ in Frankfurt. Bingel gab den Stab an Norbert Kubatzki weiter, und dieser hob 1970 die erste Mainzer Minipressen-Messe aus der Taufe, eine Veranstaltung, die seit 1979 regelmäßig alle zwei Jahre stattfand und die sich zu einem entscheidenden Forum für Kleinverleger entwickelte. Ein Beispiel ist der Maro Verlag, der sozusagen im Anschluss an die erste Mini-Pressenmesse und aus direkter Anregung heraus von Benno Käsmayr in Augsburg gegründet wurde und der sich im Laufe der Jahre mit seinem mit Beat und vor allem Bukowski gefüllten Programm zu einem der „umtriebigsten Verlags-Davids der Republik“ entwickelte. Die seit den 50er Jahren und verstärkt in den 60er Jahren mit Eintreffen der Reize der Beatkultur entstandenen Einmannverlage und avantgardistischen und experimentellen Zeitschriften und Produktionen hatten mit der Mainzer Minipresse nun zwar ein Ausstellungsforum, doch ansonsten gab es wenig Kontakte, da die „alternative Öffentlichkeit“ sich hauptsächlich immer noch auf die lokale-regionale Bekanntheit beschränkte. Dem half ab 1969/70 jene Institution ab, die ich im Folgenden ins Zentrum meiner Untersuchung über die subkulturelle Entwicklung stellen werde: dass „Nonkonformistische Literarische Informationszentrum“ (später nur noch „Literarisches Infozentrum“) des Josef „Biby“ Wintjes in Bottrop.
Büchermachen macht viel zu viel Spaß, als dass man es den Bertelsmännern überlassen sollte.
Josef Wintjes (1947- 1995) arbeitete 1969 als Abteilungsleiter für Krupp in Essen, bevor er zum „Schriftführer der Gegenkultur“ werden sollte. Bei seinem „Literarischen Infozentrum“ handelte es sich um eine Versandbuchhandlung, bei der alternative Bücher und Zeitschriften erhältlich waren (1972 bereits an die 140 Titel) und die man nach dem Prinzip „Vertrauen gegen Vertrauen“ bestellen konnte (Motto: Wir liefern jedes Buch an jeden Ort!!! – außer Taschenbücher von dtv). Das anfangs monatlich, später zweimonatlich und zum Schluss nur noch quartalweise erscheinende „Ulcus Molle Info“ fungierte dabei als Sprachrohr und Drehscheibe für alternative Literatur und politische Pamphlete, als Nachrichtenbörse, als Vermittler zwischen Leser und „Szene“, es enthielt Kleinanzeigen, Diskussionsforen und einen umfangreichen Rezensionsteil sowie Bestellkataloge für die im Zentrum erhältlichen Bücher und Zeitschriften. Wintjes warf mit seiner Arbeit den wärmenden Mantel eines Gemeinschaftsgefühls über die auseinanderstrebenden, gelegentlich obskuren Lebensentwürfe, und das Ulcus Molle Info wurde zum Zentralorgan der Vielstimmigkeit.
Die 70er Jahre
In den 70er Jahren, zumindest in der ersten Hälfte, war in Sachen Alternativbewegung ein regelrechter Boom zu beobachten. Das „Ulcus Molle Info“, anfangs nur ein paar hektographierte Blätter, erschien ab 1972 als gedruckte DIN A 5-Zeitschrift mit Pappeinband, deren Umfang und Auflage von Jahr zu Jahr kontinuierlich stieg (nach Quellen Daums waren im Juli 1974 von 1200 Exemplaren 880 Abonnements, im Januar 1977 waren es 1080 Abonnements bei einer Auflage von 1500 Stück, und im November desselben Jahres gar 1382 Abonnements von insgesamt 2000 Exemplaren; später stieg die Abonnentenzahl noch auf 1650). 1974 konnte Wintjes es sich leisten, seinen Brotberuf als Computerfachmann bei Krupp in Essen aufzugeben, um von nun an nur noch für das Infozentrum da zu sein. Doch Zahlen täuschen zeitweise über den tatsächlichen Sachverhalt hinweg. Bereits 1970 erkannte Wintjes den wahren Zustand der Szene und prophezeite die künftige Krise. Langsam wurde nun offenbar, dass die Alternative eben keine Einheitsfront war, sondern ein „Mengegelage“ aus vielen verschiedenen Strömungen, und nachdem sich die erste Begeisterungswelle des Zusammengehörigkeitsgefühls der Szene und der neuen Freiheit gelegt hatte, trat nun ein „Vakuum“ ein, ein „sekundenschlaf, ein atem-, ein neues ausholen“ (HEL), man suchte seine eigene Sprache Hans Magnus Enzensberger hatte 1968 als Datum für das „Ende der Literatur“ festgesetzt, was insofern stimmt, als sich die Literatur ab ’68 intellektualisierte und politisierte, sich gegen das nach mehr oder minder oberflächlicher Reizbefriedigung strebende Konsumentenbewusstsein des Wirtschaftswunder-Nachkriegsdeutschlands richtete, also aktive Veränderung bezweckte.
Genosse Trend
In den 70er Jahren ging der Trend daher weniger zum Dichten als vielmehr zum Schaffen; kein Reden (kein Schreiben) war erwünscht, sondern Taten; was ’68 als „linke Theorie“ durchdiskutiert worden war, sollte nun in die „Praxis“ umgesetzt werden, und linke Schriftsteller hatten sich auf die Realität zu beziehen, um mit ihren Schriften verändernd darauf einwirken zu können. Dementsprechend ging es im „Ulcus Molle Info“ in den 70er Jahren hauptsächlich um die Realität und die „Praxis“, wie auch Thomas Daum ausführlich dokumentiert. Der ökonomische Boom von Wintjes‘ Szeneblatt in dieser Zeit ist daher auf seine Funktion als Streitforum für sämtliche Parteien zurückzuführen, darauf, dass das „Info“ nicht das Veröffentlichungsorgan einer einzigen spezifischen Richtung der Subkultur war, sondern als Plattform für alle, für die gesamte Underground-Kakophonie diente. Mit dem „deutschen Herbst“ 1977 trat eine entscheidende Wende in der Alternativlandschaft ein: die politische wie auch die literarische Linke mussten sich nun scheinbar endgültig als Subkultur, als Underground, als dem staatlichen Mainstream untergeordnete zweite Macht geschlagen geben, was allgemein zur Desillusionierung und Resignation der Alternativbewegung führte. Die eine Hälfte, die radikale Linke (RAF) schien nun tot, während sich die andere Hälfte (Umweltbewegung) institutionalisierte und sich in die bürgerlichen Reihen eingliederte. Auch musikalisch trat eine Wandlung ein: Rock’n’Roll und Beat waren nun einerseits zu kommerzieller und konsumorientierter Disko-Musik geworden (Bee Gees, ABBA), die Form und die Art und Weise der Darbietung waren zunehmend wichtiger als der Inhalt (David Bowie, Elton John) – auf der anderen Seite nahm der Punk die Stelle der alles ablehnenden, protestierenden und provozierenden Rebellen ein, doch auch er wurde von den Medien bald kommerzialisiert und zum „Trend“ erklärt.
Ich bevorzugte die Free-Jazz-Szene in Wuppertal und die Performer in der Düsseldorfer Kunstakademie, oder dem Ratinger Hof, unvergessen die Konzerte von Pere Ubu und Wire. Im Lauf dieser Auseinandersetzung fragte ich mich: Warum gibt es eigentlich keinen erweiterten Literaturbegriff?
A.J. Weigoni (im Nabell-Inerview)
1977 starb Elvis Presley, 1979 Rudi Dutschke und Herbert Marcuse, und 1980 wurde John Lennon erschossen – diese Zahlen symbolisieren in ihrer Gesamtheit gewissermaßen den Tod des Geistes der 68er, den Tod dessen, was die Entstehung einer Alternativbewegung damals ermöglicht hatte. Man gründete nun zwar weiterhin „wie besessen zeitschriften und gegenbuchmessen und legte[n] die platte Radikale Subjektivität wieder auf“ (HEL), doch dies war größtenteils bloßer Aktionismus, ein weitermachen wie bisher aus Mangel an neuen Ideen. Man wähnte sich sicher im trügerischen Boom und der Bewegung, im unüberschaubaren Meer an Alternativproduktionen, um sich nicht den wahren Zustand vor Augen führen zu müssen, „um im zerfall des linken projekts den boden unter den füßen nicht zu verlieren“. Der Inhalt, der Optimismus, die revolutionäre Antriebsstimmung der Anfangsjahre waren zu schalen Flüssigkeiten geworden, die in den Gefäßen der institutionalisierten Alternative träge herumschwammen.
Alternativliteratur, Alternativverlag, das klingt in meinen Ohren wie Reformhaus oder Diätbier.
Jörg Fauser
Auch die „Mainzer Minipressen-Messe“ hatte unter dem Nachlassen der Kräfte, die zu ihrer Gründung und Etablierung beigetragen hatten, zu leiden. Während der dritten und vierten Messe 1974 und ’76 waren immer wieder kritische Stimmen laut geworden bezüglich der Stagnation, der Resignation und dem daraus resultierenden zunehmenden Mangel an Initiative, an neuen Ideen, Impulsen, Verlagsneugründungen und Programmen. Uneinigkeit und Aggression der teilnehmenden Autoren, Wahllosigkeit und Standortbestimmung durch krampfhaftes Abgrenzen voneinander statt Solidarität führten zu einer Krise, die erst 1979 wieder behoben schien, nachdem ein anderes Team unter modernisiertem Vorzeichen die Minipressenmesse übernahm.
In den 80er Jahren macht sich mehr und mehr eine Rezession in Sachen Alternativbewegung bemerkbar. Die vom „deutschen Herbst“ resignierte Linke bäumte sich Anfang der 80er noch einmal auf, als gegen Atomkraftwerke und für globale Abrüstung demonstriert wurde – das Engagement und die große Resonanz, die diese Aktivitäten fanden, schienen zuweilen an die großen Demonstrationen der 60er Jahre zu erinnern, das verloren geglaubte großangelegte Eintreten für politische Überzeugungen schien wiederauferstanden. Doch es handelte sich dabei nur um einen verzweifelten Nachhall; nach den Höhepunkten der Friedensbewegung 1983 erschlaffte die Alternative zunehmend, und es machte sich eine Stimmung breit, die von Desinteresse an Politik und Rückzug aufs private Wohlergehen geprägt war, eine Lethargie, die durchaus an den „Wohlstandsmuff“ der 50er Jahre erinnerte. Das bereits anderswo zitierte „nach mehr oder minder oberflächlicher Reizbefriedigung strebende Konsumentenbewusstsein“, mit dem Hübsch die 50er Jahre beschrieb, kann genauso gut auf das kommerz- und konsumorientierte Karriere-Glamour-Bewusstsein der 80er Jahre angewendet werden. Jedoch ein – vielleicht der wichtigste – Unterschied zu den 50er Jahren ist folgender: die Situation der Kleinverlage und der Subkultur hatte sich entschieden verändert, vor allem dadurch, dass sich die großen Verlagskonzerne nicht mehr als den „Minipressen“ entgegengesetzt sahen, sondern sich, Kompromissbereitschaft heischend, mit der Alternativpresse zu solidarisieren versuchten. Während die Gesellschafts-struktur der Nachkriegs- und Wirtschaftswunderjahre noch homogen schien, homogen im Streben nach Wohlstand und nach „Recht und Ordnung“, bestand die Gesellschaft der 80er Jahre aus einer nahezu unüberschaubaren Menge unterschiedlicher Strömungen, Weltanschauungen, Lebensentwürfe und Trends, die alle, institutionalisiert und kommerzialisiert, um Aufmerksamkeit – d.h. um Geld, um zählbare Erfolge – buhlten. Dabei spielten die Medien, allen voran das Fernsehen, als Mittler zwischen Künstler und Publikum eine immer größer werdende Rolle, und bei Globalisierung und Massenkultur verlor der Underground den eigentlichen Sinn seines Daseins. Die Subkultur war keine Subkultur mehr, sondern war im Zuge der Zersplitterung und Auffächerung der Linken nach 1977 zum gewinnbringenden Mainstream geworden, angegliedert an die Ziele des „Establishments“ und den Gesetzen ihres Marktes unterworfen. Jeder sich regende Funke wurde gnadenlos und rigoros vermarktet und verkauft; die Phrase „Anything goes“ charakterisiert die Wahllosigkeit dieses auf Gewinnstreben abgerichteten Jahrzehnts am besten, dieser Karnevalsdekade, ein Land der unbegrenzten Möglichkeiten, ein Kontinent beliebiger Beliebigkeit, sie waren, weil alles erlaubt und darum nichts mehr lustig war, ein einziger Rosenmontag und Totensonntag.
V.O. Stomps hatte damals seine „Eremitenpresse“ bewusst als Kleinverlag, als „Minipresse“ gesehen, die als Sprungbrett dienen sollte, um die zweifellos den Markt beherrschenden Großverlage besser erreichen zu können. Die 68er betrachteten ihre Minipressen als Gegenkultur, als Weltanschauung: ihre Kleinverlage sollten eigentlich nicht klein, sondern anders sein, und wer sich von ihnen abwandte, galt demzufolge als „Verräter“, der der Subkultur abtrünnig wurde. In den 80er Jahren (schon in den späten 70ern) hatte sich nun das Vorzeichen verändert: die Großverlage, das „Establishment“, das auch seit ’68 nicht unverändert geblieben war, witterten im Underground einen umsatzsteigernden Trend; man wollte nicht statisch und von gestern scheinen, wollte sein Großunternehmen als durchaus auf der Höhe der Zeit präsentieren – die Konsequenz war daher: viele Klein- wurden von Großverlagen aufgekauft, vermarktet und gesellschaftsfähig gemacht, und in vielen Städten eröffneten „Alternativbuchhandlungen“ als zeitgeistadäquate Filialen. Die Revolution schien also vorbei, indem man den inzwischen gealterten Revolutionären einen Platz an der Sonne verschafft hatte. Allgemein ging das Interesse an Alternativliteratur stark zurück, und auch die Abonnenten des „Ulcus Molle Info“ wurden, infolge der veränderten Themenausrichtung, nun immer weniger (1990 waren es nur noch 500). Ab 1983 erschien „Ulcus Molle“ statt wie bisher alle zwei Monate nur noch quartalweise, und auch der Inhalt wandelte sich entscheidend. Einem Reporter der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ gab Wintjes 1994 zu Protokoll:
Die heutige Literaturszene ist doch weitgehend entpolitisiert, es herrscht eine allgemeine Orientierungslosigkeit. Wir wussten damals auch nicht viel, aber wir wussten wenigstens, wogegen wir waren.
Science Fiction und die neue Kunst der Mail Art gewannen nun zunehmend an literarischer Bedeutung, und Computer, Technik und Privatisierung lösten das Solidaritätsstreben der 68er ab und entlarvten es als utopistisch und idealistisch. Auch das „Literarische Info-Zentrum“ blieb von dieser Entwicklung nicht verschont, und Wintjes, der entsetzt den Rückgang sowohl der Abonnentenzahlen als auch der Bestellungen in seiner Versandbuchhandlung zur Kenntnis genommen hatte, entschloss sich 1987 zum Handeln, indem er zusammen mit Bruno Runzheimer die neue Zeitschrift „IMPRESSUM – Literarischer Pressedienst für Autoren und Verleger“ als zweites Standbein auf den Markt warf. Das Ziel von „Impressum“ war nun, gemäß den neuen Bedürfnissen, eine verstärkte Förderung junger und unbekannter Schreibtalente: es gab die sogenannten „Gelben Seiten“, auf denen Lyrik und Prosa von Lesern veröffentlicht wurde, Verlags und Autorenporträts sowie viele wichtige Informationen über das Geschäft des Publizierens an sich. Das „Ulcus Molle Info“, das sich gegen Ende der 80er Jahre mehr und mehr zum „Rezensionsfriedhof“ gewandelt hatte, stellte 1990 sein Erscheinen ein. Im Vorwort zur letzten Ausgabe schrieb Wintjes:
„Das Ulcus Molle Info ist nämlich zu einem Anachronismus geworden, ein Relikt vergangener Zeiten, ein Fossil, weil es heute weder eine eigenständige Alternativ-Presse mehr gibt, noch in irgendeiner Form von Underground-Literatur die Rede sein kann. Spätestens seit Einstellung der sogenannten Gegenbuch-Messen in Frankfurt (Anm. Anfang der 80er Jahre) ist dieser Bereich out. Und der verbliebene Rest an Kleinverlagswesen ist so in sich zusammengeschrumpft und substanzlos und angepaßt, daß sich ein eigenständiger Vertrieb, der mit dem Ulcus Molle Info verbunden war, nicht mehr rechnet.“
Die 90er Jahre
Bereits Ende der 80er Jahre zeichnete sich, vorangetrieben durch die „Wende“ und den Fall der Mauer im Herbst 1989, eine Wandlung in der Literaturszene ab. Die „Wir sind das Volk!“-Demonstrationen in Leipzig und die dabei zutage tretende Solidarität und Kraft durch innere Stärke ließen wieder das Gefühl von 1968 durchbrechen, das Gefühl, den gesellschaftlichen Vorgängern nicht apathisch gegenüberstehen zu dürfen, sondern auf irgendeine Art und Weise auf sie einwirken zu können, das Gefühl, gemeinsam etwas bewegen zu können. Davon ließen sich neben jungen Leuten auch die zwischenzeitlich satten und dickbäuchigen 68er anstecken, die nun den Zeitpunkt gekommen sahen, sich wieder auf die alten Werte, Ideale und Idole zurückzubesinnen. 1988 gab der Maro-Verlag „BEAT – die Anthologie“ heraus, einen Reprint der Erstausgabe von 1962. Hadayatullah Hübsch steuerte zur Neuausgabe ein Vorwort bei, indem er in glühender Erinnerung die alten Zeiten wieder heraufbeschwor, und schrieb 1991 seine Sixties-Memoiren „Keine Zeit für Trips“. Auch die von Hübsch gegründete „Gruppe 60/90“ hatte die Wiederbelebung des Underground und die Vereinigung zweier Generationen zum Ziel. Auch im technischen Bereich gab es in den 80ern eine Neuerung: Kopiergeräte verdrängten das Offset-Druckverfahren. Dies führte wieder zu einem Boom an Kleinzeitschriften, sogenannten Fanzines und „Egozines“, was auch eine Protestreaktion auf die teuren Hochglanzhefte des Kultur-Establishments darstellte.
Vom kulturellen Gesichtspunkt aus hatte die Situation zu Beginn der 90er Jahre viel mit der der späten 60er gemein: es gab eine junge Schriftstellergeneration, die ihre eigenen Ideen und Lebensentwürfe hatte, und es gab einen sterilen Kunstbetrieb, der aufgrund seiner statischen Behäbigkeit kein Sprachrohr für die Jugend mehr darstellte (obwohl er sich teilweise krampfhaft bemühte, ihr entgegenzukommen). Vom politischen und sozialen Gesichtspunkt her hatte sich jedoch inzwischen einiges verändert:
Diese generation mußte nicht mehr aussteigen, sie fand sich draußen, und es war verdammt kalt“
HEL
Probleme wie Zerrüttung der Familien, Drogen, Jugendkriminalität, Arbeitslosigkeit und Wohnungsknappheit und daraus resultieren-de Politikverdrossenheit hatten sich zu gesellschaftsbildenden Strukturen der 90er Jahre entwickelt, und die Realität, das „wahre Leben“, das Leben auf der Straße, dem sich die neue Literatur nun zuwandte, war von einer Radikalität, wie sie auch die Alt-68er noch nicht kannten. Verglichen mit der damaligen Jugend war die Jugend der 90er Jahre auch von den Medien geprägt, von Fernsehen, Computer und vor allem von Musik, die in ihren vielerlei Stilrichtungen nicht mehr vom Alltagsbild wegzudenken war. Man hatte keine politischen Visionen und keine klardefinierten, theoriegestützten Weltbilder mehr, man wollte weder Theorie noch Praxis, sondern „Fun“, man kämpfte nicht mehr für eine bessere Zukunft, sondern richtete sich mehr oder weniger in der Gegenwart ein. In dieser Atmosphäre entstand ab 1993 die neue literarische Subkultur: der Social Beat.
Die Alternative ist immer nur da, wo sie gelebt wird, und nicht mehr da, wo sie nur gefordert oder nur reproduziert wird.
Diese Aussage von Hadayatullah Hübsch trifft genau die Situation: „gefordert“ und „reproduziert“ wird die Alternative der 90er an den Alt-68er-Fronten, was auch der nostalgische Revival-Boom zeigt, der in jenen Jahren begann und der auf artifizielle Weise an die alten Zeiten erinnert. Doch gelebt wird die Alternative in der neuen Generation, die mit ihrer Lebensweise die Gesellschaft und damit auch die Literatur prägt. In einer Art Einführung zum Thema schreibt Michael Schönauer (alias Yussuf M Perfor Ming) im „Impressum“:
„Downtown Deutschland. Literatur und Subkultur – nur ein Zeitgefühl am Puls des Geschehens. Neue Literatur – SOCIAL BEAT – als Antwort auf soziale und wirtschaftliche Depression? … Ihre Aktionen verbinden das literarische Aufbegehren einer Generation, die weder den Aufbruch zu neuen Gefilden noch eines Heroes kennt. Wieder einmal belebte eine eigenartige stilistische Entwicklung in Amerika hier die Szene. Splatter-lyrics und punk poems im RAP-Stakkato vorgetragen, unter Huren, Säufern & Mestizen, aus den Vorstadt-Slums und Ghettos der amerikanischen Städte: SLAM! poetry. … Und wie in den 70ern der Punk den Rockpop von der Bühne fegte, verschaffte sich hier die unabhängige Literaturszene eine Stimme im etablierten Kunstbetrieb. … Die Literatur bebt!“
(Impressum 5/6 ’94, S. 14)
„Impressum“ fand dank des neuen Phänomens wieder zu seiner alten „Ulcus Molle“-Funktion als Streitforum für die vielstimmige Subkultur zurück, und ab 1994 wurden dort heftige Diskussionen und Debatten um das Wesen und den Inhalt von Social Beat geführt. Mit dem Tod von Josef Wintjes am 24. September 1995 schien das Projekt zunächst zusammenzubrechen, doch ab 1996 wird das „Impressum“, nun unter dem Untertitel „Periodikum für AutorInnen und VerlegerInnen“ von Bruno Runzheimer weitergeführt. Zwar fungiert es nun nicht mehr als Vertriebsstelle für Literaturzeitschriften – Wintjes‘ Archiv und auch seine Versandbuchhandlung wurden nach seinem Tode aufgelöst – doch ist es nichtsdestotrotz immer noch als Zentrum für Alternativliteratur und zur Förderung von unbekannten und hoffenden Jungautoren unverzichtbar, und 1998 erhält es für sein Engagement den „Bumerang-Preis ’98 des id-netzwerk für alternative publizistik, hörfunk, fernsehen, print (amsterdam, berlin, frankfurt)“.
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Zu den Gründungsmythen der alten BRD gehört die Nonkonformistische Literatur, lesen Sie dazu auch ein Porträt von V.O. Stomps, dem Klassiker des Andersseins. Kaum jemand hat die Lückenhaftigkeit des Underground so konzequent erzählt wie Ní Gudix und ihre Kritik an der literarischen Alternative ist berechtigt. Ein Porträt von Ní Gudix findet sich hier (und als Leseprobe ihren Hausaffentango). Lesen Sie auch die Erinnerungen an den Bottroper Literaturrocker von Werner Streletz und den Nachruf von Bruno Runzheimer. Zum 100. Geburtstag von Charles Bukowski, eine Doppelbesprechung von Hartmuth Malornys Ruhrgebietsroman Die schwarze Ledertasche. 1989 erscheint Helge Schneiders allererste Schallplatte Seine größten Erfolge, produziert von Helge Schneider und Tom Täger im Tonstudio/Ruhr. Lesen Sie auch das Porträt der einzigartigen Proletendiva aus dem Ruhrgebeat auf KUNO. In einem Kollegengespräch mit Barbara Ester dekonstruiert A.J. Weigoni die Ruhrgebietsromantik. Mit Kersten Flenter und Michael Schönauer gehörte Tom de Toys zum Dreigestirn des deutschen Poetry Slam. Einen Nachruf von Theo Breuer auf den Urvater des Social-Beat finden Sie hier – Sowie selbstverständlich his Masters voice. Und Dr. Stahls kaltgenaue Analyse. – Constanze Schmidt beschreibt den Weg von Proust zu Pulp. Ebenso eindrücklich empfohlen sei Heiner Links Vorwort zum Band Trash-Piloten. Inzwischen hat sich Trash andere Kunstformen erobert, dazu die Aufmerksamkeit einer geneigten Kulturkritik. In der Reihe Gossenhefte zeigt sich, was passiert, wenn sich literarischer Bodensatz und die Reflexionsmöglichkeiten von populärkulturellen Tugenden nahe genug kommen, der Essay Perlen des Trash stellt diese Reihe ausführlich vor. Die KUNO-Redaktion bat A.J. Weigoni um einen Text mit Bezug auf die Mainzer Minpressenmesse (MMPM) und er kramte eine Realsatire aus dem Jahr 1993 heraus, die er für den Mainzer Verleger Jens Neumann geschrieben hat. Jürgen Kipp über die Aufgaben des Mainzer Minipressen-Archives. Ein würdiger Abschluß gelingt Boris Kerenski mit Stimmen aus dem popliterarischen Untergrund.
Ein redaktioneller Nachtrag, Ernst Umbach schreibt in seinem Nachruf auf Josef Wintjes im 1. Nachfolge-„Impressum“:
„Wer hätte ihn nicht gekannt im Kreise derjenigen Autoren, die sich nach wie vor Gedanken machten über das Leben unserer modernen Gesellschaft, über die Tag für Tag sich verengenden persönlichen Freiräume, über allseitige Zwänge, denen jeder Mensch unserer Tage unterworfen ist und das wirkliche Leben, so wie er es sah, in geradezu unerträglicher Weise nicht nur beeinträchtigte, sondern verunmöglichte: Der Kampf gegen diese ‚Gitter des Alltags‘ war und blieb ihm stets die große und nicht endende Aufgabe seines Lebens! … Und so nehmen wir Abschied von einem Mann, der als Beispiel dafür gelten kann, daß es auch zu unseren Tagen Menschen gibt, die wahrhaft nicht zu ersetzen sind … als Beweis dafür, daß gelebte Menschlichkeit tiefe Spuren hinterläßt und letztlich unvergeßlich bleibt!“ (Impressum-Nachfolge Nr. 1. S. 1)