Es gehörte schon oft zum guten Ton jüngerer Autorengenerationen, gegen die Alten zu opponieren. Das kann interessant und spannend sein. Manchmal geht es einem aber auch auf den Senkel. So hat sich der Science-Fiction-Autor und Lyriker Marcus Hammerschmitt (*1967) jetzt im respektablen Online-Magazin Telepolis in die Reihe jener Zeitgenossen eingereiht, die gerne einmal die Jungen gegen die Alten (oder Älteren) ausspielen.
In einem insgesamt guten Essay („Die Lust am Wort“) über die 1969 geborene Dichterin Monika Rinck schreibt er unter anderem: „Nun, da ist zunächst zu sagen, dass eine bestimmte Form von Gesellschaftskritik (Wallraff und der Böllgrass) erledigt war, als sie zum Schulthema wurde, und Monika Rinck hat nicht die geringste Lust, auf diese Art erledigt zu sein.“ Monika Rinck geht in ihrer Poesie ihren eigenen artistischen Weg (was wunderbar ist). Aber ist denn die Form der Gesellschaftskritik eines Wallraff oder Grass inzwischen wirklich ein alter Hut mit Mottenlöchern? Offenbar kam es Marcus Hammerschmitt, der auch noch irgendwie zur jungen Generation gehört, mit seiner Kopfnuß für die Etablierten darauf an, etwas Öl auf die Tretmühle des Ausspielens zu gießen.
Erfreulicherweise gibt es genug Anthologien und Literaturmagazine, in denen Autoren nicht den Personalausweis vorzeigen müssen, wenn sie aufgenommen werden wollen. Ein Beispiel dafür ist die von Anton G. Leitner gegründete Zeitschrift „Das Gedicht“, die seit nunmehr 16 Jahren Poeten und Rezensenten aller Generationen ein hochkarätiges Forum für Lyrikveröffentlichungen, Essays und Kritik bietet.
Die jüngste Ausgabe widmet sich unter dem Titel „gefühlter Puls – rezeptfreie Gedichte“ dem Themenkreis Gesundheit/Krankheit. Wie langweilig, könnte man meinen. Weit gefehlt. Anton G. Leitner und sein Mitherausgeber Markus Bundi haben mit ihrer Auswahl der Gedichte und Essays für eine höchst abwechslungsreiche literarische Tour durch die verschiedenen Stationen des Leidens von der Ersten Hilfe bis zur Genesung gesorgt. Daß auch für Humor im lyrischen Medizinschrank Platz ist, beweist unter anderem Melanie Arzenheimer mit ihrem Gedicht „Handarbeit“: Mitleid zu erregen / ist deine Masche. // Gib sie mir. // Ich strick dir daraus / einen Jammerlappen.
Belebende poetische Wirkung erzielen Autorinnen und Autoren aller Altersstufen – von Erika Burkart (*1922) über Fitzgerald Kusz (*1944), Ulrike Draesner (*1962) oder Jan Wagner (*1971) bis zu Sascha Garzetti (*1986). Gerade die Vielfalt der Generationen sorgt für Spannung – nicht nur, wenn es um das Thema Krankheit geht. Aufschlußreiche Essays, ein Interview zur Heilkraft der Poesie und 50 Rezensionen über bemerkenswerte neue Gedichtbände runden das Themenheft ab. Diagnose: Lesenswert.
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Eine Würdigung des Herausgebers und Lyrikers Axel Kutsch im Kreise von Autoren aus Metropole und Hinterland hier.