Zur Sache

 

Seine Ideen nach allen Seiten zu verteidigen hat nicht viel mehr Sinn, als sich überallhin entschuldigen, daß man geboren ist. Ich schrieb in der vorigen Nummer ein paar sehr einfache Worte, um zu sagen, was wir vom heutigen Ausstellungswesen erhoffen. Die Folge ist natürlich Widerspruch.

Ideen verdrängen Raum; sie drängen in die vorhandenen Ideen hinein, stocken, werden verstellt, aber wirken heimlich, bis der Tag kommt, an dem sie herrschen.

Aber auf eine Sache lohnt es sich, nochmals den Finger zu legen: Ich schrieb: »Wir Maler schaffen nicht so sehr Bilder als Ideen« und schrieb diesen Satz mit gutem Bewußtsein. Warum nimmt man Anstoß an dieser Sache? Warum wird man beschworen, sie nicht zu sagen? Will man leugnen, daß unsre gegenwärtige Zeit unter diesem Zeichen der »neuen Ideen« steht? Wer unsre Zeit kennt und liebt, sieht hierin ihre Pracht und trunkene Schönheit. Nicht die einzelnen Bilder sind dem Gegenwartsmenschen Selbstzweck und Hauptsache, sondern die Ideen, der Ideenkomplex, den die einzelnen Werke bilden.

Es wird eine neue Welt gebaut. Das einzelne Bild wird einem späteren Beschauer einmal Hauptsache, Einzelprodukt sein; dann gehört es, etikettiert, in das »Museum des zwanzigsten Jahrhunderts«. Wir aber wollen unsern Zeitgenossen »Ideen« zeigen, den Gärstoff der neuen Zeit, um die wir ringen. Das allein ist uns Hauptsache und muß es uns sein. Wir sind in der Tat keine großen Kunsthandwerker, wie sie manche reifen Zeiten kannten, sondern Jäger auf neuen Spuren.

Wo heute handwerklich im alten Sinne Bilder 〈,〉 »nur Bilder« gemalt werden, handelt es sich gar nicht mehr um Kunst. Diese Kunst gibt es heute nicht und kann es nicht geben. Wir haben heute keine Basis, auf der handwerkliches Kunstschaffen erblühen kann. Wir leben in der Zeit eines ungeheuren Umschwunges aller Dinge, aller Ideen. Es gibt heute Menschen, die wie die ersten Christen, Jahrtausende vor sich tanzen sehen. Ideen schwirren in der Luft wie Geschosse im Gefecht. Wir haben keine Zeit, die Knöpfe an unserer Uniform zu putzen.

Wer dies nicht fühlt, wer diese fruchtbare und heilige Zeit nicht liebt, gehört nicht zu ihr und ihrem Werden.

 

 

Weiterführend →

Erinnerung wird zunehmend auf neue Technologien ausgelagert. Das Grundproblem der Erinnerungskultur (siehe auch: In eigener Sache), der Zeugenschaft, der Autorschaft, ist die Frage: Wer erzählt, wer verarbeitet, wem eine Geschichte gehört? – „Kultur schafft und ist Kommunikation, Kultur lebt von der Kommunikation der Interessierten.“, schreibt Haimo Hieronymus in einem der Gründungstexte von KUNO. Die ausführliche Chronik des Projekts Das Labor lesen sie hier. Diese Ausgrabungsstätte für die Zukunft ist seit 2009 ein Label, die Edition Das Labor. Diese Edition arbeitet ohne Kapital, zuweilen mit Kapitälchen, meist mit einer großen künstlerischen Spekulationskraft. Eine Übersicht über die in diesem Labor seither realisierten Künstlerbücher, Bücher und Hörbücher finden Sie hier.

Zum Thema Künstlerbücher finden Sie hier einen Essay sowie einen Artikel von J.C. Albers. Vertiefend auch das Kollegengespräch mit Haimo Hieronymus über Material, Medium und Faszination des Werkstoffs Papier.

Die Künstlerbucher sind erhältlich über die Werkstattgalerie Der Bogen, Tel. 0173 7276421

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