Unter Kanonverdacht

Um mit Gespenstern umzugehen, muss man sie ködern mit Fleisch der Gegenwart.

Ruth Klüger

Literatur ist in erster Linie frei, bestenfalls ist sie an ästhetische Regelsysteme gebunden, nicht aber an eine ausser­li­te­rarische Realität. Zudem ist es nicht üblich, Verantwortlichkeit für ästhe­tisches Sprechen ein­zu­for­dern. Problematisch wird es jedoch immer dann, wenn literarische Entwürfe und Fi­gu­rationen des Moralischen zu be­wer­ten sind. Bei den Zombies geht es darüber hinaus um das komplexe Verhältnis von künstlerisch-fiktionalen Ausdrucksformen und deren politisch-moralischer Bedeutung. A.J. Weigonis literarischen Arbeiten widersetzen sich jedweder Vorstellung von einem ordentlichen Werk. Seine Erzählungen haben mit der Kälte seines Erzählens die erforderliche Betriebstemperatur erreicht, dies liegt wahscheinlich daran, dass dieser Romancier in den Plot seiner Erzählungens die Schreckensthemen der Zeit und die Gegenstände unentschiedenen politischen Streits kunstvoll beiläufig eingewebt hat. Gut und böse, wahr und falsch sind keine verlässlichen Größen mehr, und jede Wahrnehmung ist in alle Richtungen offen für Manipulation und Suggestion, für Lüge und Selbstbetrug, für Sinnlichkeit und Begehren. Seine Sätze sind produktive Störfaktoren im vermeintlich Bekannten.

Wer braucht noch Untote, wenn die marodierenden Lebenden den Job allein erledigen?

Bei den Zombies, deren Körper man die Geister ausgetrieben hat, begegnen wir nur noch seinen sterblichen Überresten. Es sind die Überreste eines Exorzismus, auch eines Exorzismus der Geschichte.Weigoni leuchtet viele Winkel der deutschen Gesellschaft aus: kaputte Mittelstandsmilieus und Einwanderghettos und öde Spelunken. Zwischen gut gelauntem Nihilismus und satirischer Kulturkritik beschreibt Weigoni wie sich sich die westliche Gesellschaft häutet. Ob sie sich dabei ihrer selbst entledigt oder aber zu einer neuen Form findet, bleibt abzuwarten. Das westliche Denken verschweigt die tatsächlichen Probleme der Gesellschaft. Wenige Intellektuelle haben sich bislang Gedanken über den globalisierten Menschen, seinen Alltag, seinen Körper, seine Sexualität, kurz gesagt: über sein Leben gemacht. Die Skandale des Denkens beginnen erst jenseits des Schreckens, des Vorstellbaren. Sie sind aber bitter nötig für die Psychohygiene des Literaturbetriebs und können nur von Außenseitern inszeniert werden, kaum von Salon-Revolutionären, wie man sie in zwischen Berlin, Leiptig und Hildesheim gerne ausstellt.

Der Kapitalistische Realismus bringt lediglich Upgrades des Bestehenden hervor und präsentiert eine Zombie-Kultur auf immer höher auflösenden Bildschirmen.

Mark Fisher

Diese Erzählungen sind souveräne Kantengänge in den Randzonen menschlicher Existenz und zugleich ein Gegenentwurf zu den Prolo–Komödien, die als ungeschönte Milieubilder daherkommen, letztlich aber nur Freakshows sind, die statt Menschen Witzfiguren zeigen. Es wird erzählt von Idiosynkrasien, vom verschrobenen Alltag, von Wahrnehmungsmaniacs, von leicht aus ihren Wirklichkeitszusammenhängen geworfenen Menschen. Und all das spiegelt sich in der kunstvollen Sprache wider. Die Realität wie in einem Vergrösserungsglas. Diese Zombies demaskieren die Welt und deren Machtverhältnisse. Die kleinen Dinge des Lebens nehmen eine verzerrte Gestalt an, sie irritieren und melden sich zu Wort. Es sind Details und verkorkste Typen, die Weigoni interessieren, in denen seine Poetik und seine Poesie zu sich kommen. Die Zombies wissen durch alle Skurrilitäten und Absurditäten die Würde ihrer Protagonisten zu verteidigen. Das Lachen über sie ist immer empathisch, nie abfällig.

Das Leben und seine Gestalten schweben noch vor ihm wie eine flüchtige Erscheinung, wie dem Halberwachten ein leichter Morgentraum, durch den schon die Wirklichkeit durchschimmert.

Arthur Schopenhauer

Der menschliche Lebenswandel produziert seinen eigenen Tod auf Erden mit. Allerorten sind die Grenzen zwischen den Lebenden und den Toten brüchig – und somit erzählerisch produktiv geworden. Weigonis Erzählungen haben nicht nur – wie guter Wein – einen Körper, sie haben ein satirisches Bewußtsein, das sie mit jeder Silbe ausdünsten, das alle Sätze atmosphärisch umhüllt.

 

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Zombies, Erzählungen von A. J. Weigoni, Edition Das La­bor, Mülheim an der Ruhr 2010.

Coverphoto: Anja Roth

Weiterfühend → KUNO übernimmt einen Artikel von Karl Feldkamp aus Neue Rheinische Zeitung und von Jo Weiß von fixpoetry. Betty Davis sieht darin die Gegenwartslage der Literatur, Margaretha Schnarhelt kennt den Ausgangspunkt und Constanze Schmidt erkennt literarische Polaroids. Holger Benkel beobachtet Kleine Dämonen auf Tour. Ein Essay über Unlust am Leben, Angst vor’m Tod. Für Jesko Hagen bleiben die Untoten lebendig.