Oder warum es nie gelang nicht unlogisch zu denken
I.
„Was willst du?“, rief sie mir im Vorbeigehen zu. Ich wusste es nicht, wusste nur, dass in Folge jegliche Ich-Perspektive aus der, besser meiner Literatur gestrichen werden müsste, gestrichen werden würde. Als erlebender Erzähler würde ich dieses Vorhaben einer erzählerischen Selbstauslöschung wagen, nicht im Bernhardschen Sinne einer grundsätzlich pessimistischen Haltung zur Gesellschaft und Krankheitsempfinden an dieser, sondern als Figur, die sich selbst vergessen würde. Es ging nicht um die Wünsche eines Einzelnen, eines emsig nur um sich kreisenden Erzählers, eines jener Egomanen, die nicht in der Lage sind zu erkennen, dass es in der Welt da draußen nicht nur einen Fixstern gebe um den sich alles drehte, die nur sich selbst im Visier ihrer Nabelschau haben und scheinbar so ganz uneigennützig einen Erzähler zwischen sich und die Welt schalten, im närrischen Glauben, ihre albern kindliche Haltung eines „ich sehe nicht, also siehst du mich auch nicht“ würde nicht vom nächsten Leser doppelt durchschaut, als Funktion und gleichzeitig scheinbar selbstverleugnende Offenlegung aller inneren Organe und gespielt erlittenen Vorgänge. Welch eine Wonne musste es doch für eine solche Figur, sich selbst immer wieder neu erfindend, sein, wenn sie das innerste nach außen krempelte, nicht einen Ekel vor diesem Innen zu erzeugen, sondern ein Grauen über die offensichtliche Leere, welche hier offengelegt wurde. Es musste also einen Weg durch die Möglichkeiten des Textes geben, der ganz objektiv, fast schon sezierend die Welt durchleuchtete, ohne jegliche Selbstbespitzelung überhaupt in Betracht ziehen zu müssen.
Verdutzt schaute Herr Nipp auf das vor ihm liegende und von seiner eigenen Handschrift dekorierte Blatt. Es hatte mittig ein Wasserzeichen und stammte zweifelfrei aus dem Briefset, welches er vor Jahren zum Geburtstag erhalten hatte, damals, als seine Eltern noch lebten, als er sich noch hatte herzhaft mit ihnen streiten können. Zweifelsfrei hatte er dieses Schriftstück selber verfasst, kannte es allerdings nicht mehr, es war aus einem seiner vielen Bücher gefallen.
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Seit 1994 veröffentlich Herr Nipp auf KUNO unerhörte Geschichten mit dem Titel Das Mittelmaß der Welt. In 2011 ist es soweit, sein erstes Buch mit dem Titel Die Angst perfekter Schwiegersöhne erscheint in der Edition Das Labor.
Haimo Hieronymus ist ein Poet, wenn er Holzschnitte erstellt, und ein realistischer Träumer, wenn er mit Herrn Nipp kurze Texte verfaßt. Wie ein Dichter schreibt er nicht, dazu ist er zu nüchtern und zu lapidar; die Fiktion ist nicht seine Sache, es entstehen auch keine imaginären Welten. Die Wirklichkeit und die Erinnerung sind ihm rätselhaft genug. Herr Nipp betreibt das einfache, das wahre Abschreiben der Welt, er bewegt sich damit zwischen Ereignis und Reflexion und nähert sich einer Topografie der Melancholie. – Ein Sammlerstück ist die Vorzugsausgabe von Die Angst perfekter Schwiegersöhne. Hieronymus hat das Cover einer limitierten Auflage mit einem Holzschnitt versehen.
Weiterführend →
Zum Thema Künstlerbucher lesen finden Sie hier einen Essay sowie ein Artikel von J.C. Albers. Papier ist autonomes Kunstmaterial, daher ein vertiefendes Kollegengespräch mit Haimo Hieronymus über Material, Medium und Faszination des Werkstoffs Papier.
Die bibliophilen Kostbarkeiten sind erhältlich über die Werkstattgalerie Der Bogen, Tel. 0173 7276421