Der jetzt älteste Schriftsteller, den ich kennengelernt habe, ist der Friedl Stix. Mit ihm habe ich gestern telefoniert. Der wird – „so Gott will“, hat er gesagt – im April dieses Jahres 98 Jahre alt, also fast ein Jahrhundert. Ich wünsche ihm sehr, daß er den Hunderter schafft. Wir sind, so darf ich sagen, miteinander gut befreundet. Wir haben einiges gemeinsam, wovon wir auch bei unseren Telefonaten immer sprechen, nämlich das Obere Mühlviertel, konkret: Aigen am Böhmerwald, wo er so wie ich am Hagerberg Schi gefahren ist und in der Großen Mühl gebadet hat. Und dann noch Rom, das wir beide sehr lieben und wo der Friedl an die fünfzig Jahre als Lektor für Österreichische Literatur an einer dortigen Universität gelehrt hat. Irgendwie hat es ihn nach Rom verschlagen. Vorher war er in den Abruzzen, hat sich dort versteckt; er war nämlich von der Deutschen Wehrmacht desertiert. „Ich wollte nicht mehr mitmachen bei der ganzen Nazig’schicht“ hat er mir das einmal begründet. Mutig, dachte ich; und sympathisch noch dazu. Antimilitarist. Das verbindet uns auch. Und dann noch eine Stadt sehr weit östlich, heute in Polen, an der Grenze zur Ukraine, früher österreichisch, von der Architektur über die Schule bis hin zur Verwaltung und zur bekannten Festung; eine Garnisonsstadt: Przemysl. An den „Trotta“ dachte ich, als ich dort war und vor meiner Lesung in der Uni einen schönen Spaziergang machte. Ich habe auch zwei, drei Kirchen besucht; Kirchen, in denen der Schüler Gottfried Stix, als er die dortige Volksschule besuchte, sicher oft gewesen ist. „Ja, das kenn’ ich natürlich alles“, hat er einmal zu mir gesagt. Zu seinem Neunziger haben wir einen gemeinsamen Spaziergang gemacht, draußen in Sievering. Und da habe ich einige Fotos von ihm gemacht, so wie anschließend dann noch einige in seiner Bibliothek. Der Stix ist ein Haiku-Meister. Auch das verbindet uns: Die Kürze, die Knappheit, das Aufspüren und Ausdrücken des Poetischen in ihr. Aber immer, wenn wir miteinander telefonieren, reden wir vom Böhmerwald, den wir beide nicht nur lieben, sondern dem wir uns zugehörig fühlen, der uns auch geprägt hat. Das Mühlviertel ist nämlich eine Landschaft, die den Menschen in ganz besonderer Weise prägt, so daß sich im Menschen etwas von der Landschaft widerspiegelt und wiederfindet. Das ist die Stille, das Schweigen, das Stillsein, die Liebe zum Leisen, anstatt zum Lauten; daß man so leise ist, daß man den Wind hören kann, wenn er über die wogenden Felder und die Wipfel der Bäume streicht.
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Schriftstellerbegegnungen 1960-2010, von Peter Paul Wiplinger. Kitab-Verlag, Klagenfurt, 2010