Vor wenigen Monaten hat sich in der Bibliothek Pierpont Morgan ein unbekanntes Manuskript von Poe gefunden. Es ist das Jugenddrama Politian, das damit im Entwürfe, über den es nie hinausgedeihen sollte, vorliegt. Von zwölf ausgeführten Szenen ist nur die letzte, abschließende verloren. An sich selbst ist diese Szenenfolge ohne Interesse – unendlich merkwürdig dagegen als erstes schattenhaftes Gestaltwerden eines Genius. Noch sind die Kräfte allzu schwach, die ihn beschwören. Desto erstaunlicher, wie er hie und da vorübergehend Gestalt gewinnt, um sofort in nichts zu zergehen. Selbst in mißratenen Jugendwerken der Großen erkennt der tiefere Blick nicht selten später gleichsam die ungestalte, die konkave Innenseite einer Prägung, der scharf das souveräne Medaillon des kommenden Meisterwerkes entspricht. So könnten im Politian die komischen Szenen mißglückter nicht sein, jedoch was hier gegorne säuerliche Komik ist, wird in den reifen Werken ätzendste Ironie. Wo die Form dem Dichter noch nicht gehorcht, ist eben dennoch die Inspiration schon die des Meisters. Das gilt auch vom Stoff. Ein blutiges Ereignis aus der Chronik des jungen Staates Kentucky gab dieser Renaissancetragödie den Anstoß. Es fällt ins Jahr 1825. Ein junges Mädchen wird von einem Obersten verführt. Einige Jahre später faßt ein anderer Mann für dieses Mädchen eine Leidenschaft. Es weist ihn lange ab und macht am Ende zur Vorbedingung einer Eheschließung die Rache, die ihr Bräutigam an dem Verführer zu vollziehen hat. Einem Duell weicht der Oberst aus. Da klopft eines Nachts der Verlobte an seine Tür, der Oberst öffnet und wird erdolcht. Der Mörder zum Tode verurteilt. Seine Braut darf bei ihm in der Zelle bleiben und wenige Tage vor dem Hinrichtungstermin suchen sich beide das Leben zu nehmen. Die Frau erliegt ihren Wunden, der Mann wird geheilt und gehängt. – Diesen beispiellosen Stoff hat Poe nicht am bizarren Ende der Kerkerszene aufgegriffen. So hätte er vielleicht später getan. Die Handlung dieses Dramas spielt in einem römischen Palast sich ab. Wenn Poe die einzigartige Gabe besaß, die Weihe klosterartiger Architekturen durch den Prunk der Palastgemächer nur noch zu steigern, mit denen er sie erfüllt dachte, so gibt diese Verspannung der Phantasie auch für dieses Drama den Schlüssel: die Dekoration, die im Geist vor dem Dichter stand, ist das wahre Gesetz der mißlungenen Tragödie. Und dazu stimmt, daß er dem Plan bis an sein Lebensende nachgehangen hat.
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