Blumendekoratismus

 

Alle Jahre wieder bricht sich die Angst Bahn, niemals wieder malen zu können, als habe der Faden, der zwischen Bild und Maler alles zusammenhält eine unsichtbare Stelle bekommen. Ein Riss in der Wahrnehmung der Welt. Ein abgeschnittenes Ende, da hört das sonst so sichere Tragseil einfach auf, hängt in der Luft, spannungslos.

Gerade wenn große Projekte eigentlich angegangen sein sollten, die Materialien vor Ort sind, alles ist bereitet, ja, sogar das Atelier ist aufgeräumt und jedes Werkzeug endlich wieder auffindbar, dann steht er sich selber auf dem Schlauch, auf den eigenen Schnürsenkeln und kommt nicht weiter, es hieße erst einmal kleine Schritte zu gehen um sich Raum, Freiraum des Denkens zu schaffen und des Handelns. Hadern. Andere würden da von Schaffenskrise reden und betrachteten dieses unsagbar schwarze Loch zu Füßen voller Panik.

„Bis hierher und nicht weiter“, heißt es da im Buch Hiob, nach- dem das Gehader ein unerträgliches Übermaß angenommen hat. Mit Schauer stünden wir also am unübersehbaren Rand und schauten grausig beklommen ins gedachte Nichts. Sie würden uns mit Sicherheit keine Ausrüstung besorgen und abseilen bis zur tiefsten Stelle, an der der Fuß wieder Boden findet und sich an den Aufstieg wagen kann. Oder weggeschwemmt vom Fluss der Un- terwelt mit unbekannter Herkunft und unüberschaubarem Ziel.

Glücklicherweise suchen sich die Bilder ihre eigenen Wege, kommen irgendwann an die Oberfläche und zeigen ihre Notwendigkeit an:

„Ich bin hier und du hast mich zu beachten, entweder indem du mich machst oder später betrachtest, aber vorbeigehen, das kannst du nicht.“

Sie suchen ihre Wege, als Gedichte, Texte, als Holzschnitte und Zeichnungen. Da kommt plötzlich jemand mit der Idee, den Werkstattkeller seines Großvaters auszuräumen, da liegen plötzlich seltsame Sofastoffe und Polsternägel im Atelier herum, mit ungeheuer floralen Mustern, bunten Ornamenten und regelmäßig ausartenden Reliefs. Und plötzlich ist es klar, dass die glatte Leinwand gerade überflüssig ist, wie ein Kropf oder das sprichwörtliche fünfte Rad am Wagen, genau das, mit welchem sich der Künstler immer wieder so gut identifizieren konnte. Immer dann nämlich, wenn er diese sogenannte Krise wie eine Wand vor sich aufgebaut, nicht als Chance zur Selbstfindung erkannte. Plötzlich weiß er also, dass dieses alte Tuch, das materiegewordenes Spießbürgertum repräsentiert, zum Träger und damit zur Basis des nächsten Bildes wird.

 

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Die Angst perfekter Schwiegersöhne, von Herrn Nipp, Edition Das Labor 2011

Haimo Hieronymus ist ein Poet, wenn er Holzschnitte erstellt, und ein realistischer Träumer, wenn er mit Herrn Nipp kurze Texte verfaßt. Wie ein Dichter schreibt er nicht, dazu ist er zu nüchtern und zu lapidar; die Fiktion ist nicht seine Sache, es entstehen auch keine imaginären Welten. Die Wirklichkeit und die Erinnerung sind ihm rätselhaft genug. Herr Nipp betreibt das einfache, das wahre Abschreiben der Welt, er bewegt sich damit zwischen Ereignis und Reflexion und nähert sich einer Topografie der Melancholie. – Ein Sammlerstück ist die Vorzugsausgabe von Die Angst perfekter Schwiegersöhne. Hieronymus hat das Cover einer limitierten Auflage mit einem Holzschnitt versehen.

Weiterführend → 

Zum Thema Künstlerbucher lesen finden Sie hier einen Essay sowie ein Artikel von J.C. Albers. Papier ist autonomes Kunstmaterial, daher ein vertiefendes Kollegengespräch mit Haimo Hieronymus über Material, Medium und Faszination des Werkstoffs Papier.

Die bibliophilen Kostbarkeiten sind erhältlich über die Werkstattgalerie Der Bogen, Tel. 0173 7276421