Gedichtzeilen des österreichischen Kabarettisten Fritz Grünbaum (1880–1941), etliche Jahre bevor er in Dachau seine Bestattung bekam. Sein späterer Künstlerkollege Georg Kreisler (1922–2011) sagt über die zeitkritischen und mit einem Schutzwall von Selbstironie geschriebenen und zusammengefassten Zeilen in Die Schöpfung und andere Kabarettstücke in einer Vorrede:
— sie liegen nicht grade im Hirn und auch nicht in der Seele, Sie gehen in ganz andere Kanäle. Sie haben nichts zu tun mit dem heutigen Leben, Man muß sich quasi in sie begeben Und sich irgendwo finden in ihren Windungen Und sich irgendwo winden in ihren Empfindungen.Jüdischer Humor macht in seiner sympathischen, weil künstlerischen Erscheinung nicht Stopp vor Tabus. Er erinnert an die Tiefe und Treffsicherheit der Ausdrucksweise des Johann Nepomuk Nestroy (1801–1862), der mit Witz und Spitzfindigkeit soziale Missstände und menschliche Schwächen zum Ausdruck brachte. Ein Jahrhundert später konnte Georg Kreisler bei seinen Kabarettvorführungen ebenso in unterschiedlichste Rollen schlüpfen. Wenn er nach der Shoa, in einem seiner Erfolgstitel, einem Liedtext, der der surrealistischen und absurden Lyrik zuzurechnen ist, mit böser Zunge sang Der Tod muss a Wiener sein enthält diese Aussage dennoch mehr als nur diese eine Seite einer grausamen Lebensposse.
Jede Stadt hat nicht nur ihr Gesicht, ihren Charme und ihre repräsentativen Sehenswürdigkeiten, sondern auch ihre Grobheiten und Ungemütlichkeiten. Alle diese Ausdrücke werden gerne subsumiert hinter einer Maske, Vorspiegelungen von Klischees. Der besondere Bezug der Bewohner der Stadt Wien zum Tod ist so ein uralter Holzschnitt. Viele Bilder vom Sensenmann und den Wienern stellen eine Art Liebesbeziehung dar, die das Tabuthema Tod seltsam morbid umgeht. Waun i amol stiarb, miassn mi Fiak trogn, und dabei Zithern schlogn, weu i des liab sang auch Helmut Qualtinger (1926–1986), österr. Schauspieler, Schriftsteller und Kabarettist, der nicht nur als nörgelnden Herr Karl einen Durchbruch im deutschen Sprachraum schaffte, sondern ein schonungsloser Kritiker auf der Bühne vor allem des gemeinen Mannes war. Die melancholischen G’stanzln, das viel zitierte Wiener Raunzen aber auch tief schwarzer Humor machen den besonderen Unterhaltungswert dieses und anderer Wiener Volkslieder aus, in denen der Blick des Wieners in seine Vergangenheit selten genug kritisch war. Ein Sigmund Freud (1856–1939) hatte es in der Stadt Wien nicht nur von seiner verwegenen Triebtheorie des Todestriebs her schwer, sondern auch von der ›Mentalität‹ dieser wissenschaftlichen Ausgangsgruppe. Meistens verklärten nostalgische Erinnerungen und das Hochhalten von Traditionen das Sehnen nach der ›guten alten Zeit‹ oder der Tod wurde später (noch nach zwei Weltkriegen) auf zärtlich-triviale Weise indirekt wie Es wird a Wein sein und wir wern nimmer sein oder Amol mochts an Plumpser und aus is, angesprochen. Dieser Plumpser, ein Umfallen, Hinfallen, meint nicht nur den gewöhnlichen Herztod – Herr und Frau Wiener sterben am häufigsten durch Herz- und Kreislauferkrankungen – sondern geht auch auf die Sage vom Lieben Augustin zurück, der das Hineinfallen in eine Pestgrube überlebte (Wien im Jahre 1679).Die Seuche, welche die Stadt Wien zwischen 888 und 1714 mehrmals heimgesucht hatte, prägte die Einstellung der Stadtbewohner zum Tod bestimmt mit. ›A schöne Leich‹ wollte sich auch der Ärmste unter den Armen leisten, den würdevollen Abgang, wenn schon das Leben in jener ›guten alten Zeit‹ kein Honiglecken war. Adel und Hof übertrieben mit dem Prunk und da nützte auch die Verordnung eines Joseph des II. mit einem ›Sparsarg‹ für das nacheifernde Volk nichts. Die protestierenden Wiener setzten sich bei diesem Thema gegen ihren Kaiser durch. Wenn dieses ›Gschichterl‹, wie andere rund um den Tod in Wien, stimmt.
Nachweisbar sind die Spuren der letzten noblen Ruhestätten wie etwa die Kaisergruft und die unzähligen Friedhöfe für das ›Fußvolk‹, für Menschen die sich den Pferdewagen zum Friedhof nicht leisten konnten. Vor allem der bekannte dreiteilige Zentralfriedhof, der 1874 eröffnet wurde, und mit rund 3 Millionen Bestatteten derzeit, zu den größten Friedhofsanlagen Europas zählt. Aufgrund seiner Größe und teils dichten Baumbestandes beherbergt er eine vielfältige Fauna, sodass bis Mitte 1980 das Friedhofsgelände auch offizielles Jagdgebiet war. Der von Wolfgang Ambros besungene Platz verwehrt den Lebendigen nur am Festtag den der Tod abhält, den Eintritt.
Wien muss also doch eher dem Tod seine Stadt sein. Sabrine Klein geht der unleidigen Frage nach den Irdischen Orten zwischen Himmel und Hölle in einem kleinen Büchlein nach, in der bisher vernachlässigte Facetten rund um den Tod in Wien ans Licht gebracht werden. Es liegt nicht nur in den Wiener Bibliotheken zur Entlehnung, sondern auch im Wiener Bestattungsmuseum auf. Ja auch das haben die Wiener. Wenngleich nicht jeder dorthin geht. Der vielfach mit Auszeichnungen und Ehrungen dekorierte Wiener Kulturmanager und Publizist Johannes Kunz (1947) beschäftigt sich mit der von Georg Kreisler aufgeworfenen und eingangs erwähnten These in seinem gleichnamigen Buch und soll dort Anekdotisches, Historisches und Biographisches für weiter Interessierte zusammengefasst haben. André Heller schreibt mir da origineller in Die Ernte der Schlaflosigkeit in Wien:
Zwischen Allerheiligen und Allerseelen liegt Wien
Welch prosaischer Abschluss.
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Sterben auf Wienerisch (im Wiener Dialekt) kann heißen:
Den Obgaung mochn (oder) eigehn – den Abgang machen oder eingehen
d’ Potsch’n strecknn – Hausschuhe/Pantoffel verlieren
den Leffl agebn – den Löffel abgeben
a Bankl reissn – sterben (eine Metapher, nicht wortwörtlich übersetzbar)
zuadrahn – zudrehen
aushuastn – aushusten
in Wuaf ausogn – den (letzten) Wurf ansagen
si’ d’ Schleifn geb’n – sich die Anzugschleife/Krawatte/Schlips)geben
Holzpyjama nehmen: in den Sarg legen