Das Essen an sich ist eine schöne Sache, vor allem wenn es lange dauert. Über einen ruhigen Zeitraum von mehreren Stunden werden die Dinge genossen, es geht dabei nicht um das Stillen eines wie auch immer gearteten Hungers, sondern um Appetit. Mal legt sich von diesem Teller, mal aus jener Schüssel ein Teil auf das eigene Tablett. Während eines gepflegten Gesprächs, zwischendurch vielleicht unterbrochen von lautmalerischen gegenseitigen Bestätigungen der Koch- und Backkünste. Tatsächlich empfundene innige Freundschaft, auch für Momente vielleicht nur. Aber eigentlich geht es darüber hinaus, Respekt ist dann das richtige Wort, oder Zuneigung. Ganz anders als bei den sogenannten Junggesellenessen, die doch meist nur im Stehen stattfinden. In der Küche werden einige schmackhafte Kleinigkeiten zusammengezaubert und in Abwesenheit eines Gegenübers, braucht es dann keiner Tischmanieren, alldieweil der sowieso gefüllt ist von der Schreibtischarbeit. Und wer würde schon nur für sich alles abräumen, was sich dort ganz praktisch eingefunden hat. Nur um zu essen. Zu zweit wäre das schon wieder ganz anders. Schon allein dem Anderen in die Augen zu sehen und in diesen Augen zu versinken, die gleich ganze Sonnensysteme in sich bergen. Schwarze Löcher. Black hole sun, hatte vor einigen Jahren, ja Jahrzehnten Soundgarden intoniert und Herrn Nipp in eben dieser Heftigkeit eines mächtigen Sogs, dem niemand widerstehen kann, immer wieder umgehauen.
Nachdem die Grillfackeln, welche wahrscheinlich niemand mehr gegessen hätte, nun allerdings in Flammen und dem entsprechend nach Grillen riechendem Rauch aufgegangen sind, widmet sich die Gruppe junger Menschen und eines älteren Herrn nun verstärkt den Getränken. Auch die haben ihre ganz eigenen Qualitäten. Es wird über die letztjährigen Entwicklungen auf dem Gebiet der Fassbrausen philosophiert. Nicht ganz ernst gemeint, aber durchaus ernsthaft artikuliert. Ja, diskutiert. Diese Form der Kommunikation, die um sich selber weiß, ist vielleicht der wichtigste Baustein im Erkennen gegenseitiger Wertschätzung. Wer mit welcher Kreation nun zuerst auf dem Markt war und warum die andere Marke immer so schnell nachzieht. Vor einigen Jahren hätte man nicht einmal glauben mögen, dass diese seltsam halbsüßen Getränke überhaupt eine Chance am Markt gehabt hätten. Der Name macht es und satte Werbung, selbstverständlich. Daran haben wir uns gewöhnt.
Nun wird auch die Tonne, ein abgeschnittenes Ölfass, herangeholt, wie in der Bronx kommen sich die Anwesenden ein bisschen vor. Nur, dass sie nicht frieren und stehen, sondern ganz gemütlich auf der alten Gartenbank den quietschvioletten Stühlen sitzen. Der Abend zeigt die ganze Wonne der Frühsommerwärme.
Herr Nipp hatte in den letzten Tagen sämtliche Hölzer aus Garten und Keller zusammengetragen und mit einer Stichsäge in handliche Stücke zerkleinert, die können nun endlich ihrer eigentlichen Bestimmung zugeführt werden. Sie lodern herrlich, obwohl wahrscheinlich die meiste Energie längst aus ihnen gewichen ist. Dauerhafte Feuchtigkeit und das Lagern im Regen sind für jedes Holz auf Dauer schädlich. Vor allem, wenn es sich um Fichte handelt. Einige Tage Sonne und trockene Lagerung haben die äußerliche Nässe völlig verschwinden lassen. Ein Schuss Spiritus genügt und alles geht in wonnevolle Flammen auf. Es spritzt und knackt und springt. Zwischendurch landet auch ein Stück Glut auf Herrn Nipps Fuß und hinterlässt dort einen roten Fleck. Dass es schmerzt ist logisch, aber alles wird abgemildert doch den andauernden Genuss gut dekantierten Rotweins. Immer wieder schlagen die Flammen hoch, verfärben das Fass von außen in stetig neuen Nuancen. Immer wieder wird nachgelegt. Das ist wahrer Luxus, abends am Lagerfeuer zu sitzen, zu wissen, zu genießen.
Gegen viertel nach zwölf fallen Herrn Nipp zum ersten Mal ganz in sich versunken, den Gedanken nachspürend, die Augen zu. Mit dem Kopfwegnicken schrickt er auf, beteiligt sich noch an dem leisen Gespräch. Die vorher laute Mitgrölparty in der Nachbarschaft ist abgeebbt. Aus dem Fenster oben stehlen sich noch manchmal verhaltene Stimmen in den Hof. Die Sterne leuchten und jemand sieht wohl auch eine Sternschnuppe. „…wann kommen die Schwärme?…“ lange Pause „ na, irgendwann Anfang August…“ Immer wieder schlummert er ein, nimmt Gesprächsfetzen wahr und wundert sich, als irgendwann zum Aufbruch geblasen wird. Plötzlich räumen alle ganz schnell auf, um kurz vor eins ist der Spuk vorbei. Herr Nipp bleibt mal direkt oben, schnell noch die Zähne geputzt und dann fällt er auch schon ins Bett, ist schnell in anderen Gefilden. Als er um halb drei erwacht und aus dem Fenster schaut, muss er feststellen, dass sie vergessen haben, das Feuer zu löschen. Aus dem Garten lächelt ihn milde ein orangefarbenes Auge an, leise leuchtend.
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Das Mittelmaß der Welt, unerhörte Geschichten von Herrn Nipp, dokumentiert auf KUNO 1994 – 2019
Weiterführend →
Zu einem begehrten Sammlerstück hat sich die Totholzausgabe von Herrn Nipps Die Angst perfekter Schwiegersöhne entwickelt. Zudem belegt sein Taschenbuch Unerhörte Möglichkeiten, daß man keinen Falken mehr verzehren muss, um novellistisch tätig zu sein. Herr Nipp dampft die Gattung der Novelle konsequent zu Twitteratur ein. Und außerdem präsentiert Haimo Hieronymus ab 2017 Über Heblichkeiten, Floskeln und andere Ausrutscher aus den Notizbüchern des Herrn Nipp.