A.J. Weigoni, in puncto moderner Sprachtheorie und Ästhetik ganz auf der Höhe, setzt die verdinglichten Wendungen und Sprechhaltungen kritisch gegeneinander… Seinem zornigen Elan fehlt es bei alledem nicht an Pathos und Sehnsuchtsausdruck. Unversehens entsteht bei dieser linguistischen Abräumarbeit ein faszinierender Phantasieraum eigener Art.
Prof. Dr. Franz Norbert Mennemeier
Sprache, Musik und Kunst gehören zu den Grundsteinen der abendländischen Kultur. Sie verhandeln den Konflikt zwischen Individuum und Gesellschaft. Auf diesem Hörbuch der Edition Das Labor sind grenzüberschreitende ‚artIQlationen’ zwischen unterschiedlichen Artisten auf analoger Basis zu hören. Als einen gegenseitig befruchtenden Dialog zwischen bildender Kunst, improvisierter Musik und sprachlicher „VerDichtung“ sollte man das spartenübergreifende Projekt Prægnarien verstehen. Hieß es einst „Wer nicht hören will, muß fühlen.“, könnte man nun behaupten „Wer leben will, muss wahrnehmen.“ Auf allen Ebenen.
Was diese Artisten verbindet ist das Papier.
„Idiosynkrasie“, schrieb Jürgen Habermas in seiner „Theorie des kommunikativen Handelns“, ist privatistisch und irrational. Letzterem zumindest scheinen Philipp Bracht, A.J. Weigoni und Haimo Hieronymus zuzustimmen, wenn sie über ihr Projekt Prægnarien sagen, es habe nichts mit Logik zu tun. Haimo Hieronymus mag das Individuelle des Strichs, empfindet im Glattgebügelten reiner Ideenkunst beliebige Langeweile und gähnende Austauschbarkeit. Weigoni verachtet die Bewertungskultur der Medien. Der Posaunist Philipp Bracht spielt Noten abseits der vorgeschriebenen Linien. Bei seinem letzten öffentlichen Auftritt zerrt Weigoni an den Worten, dehnt und zelebriert sie. Auf der Bühne sah man ihm immer weniger. Gegen Ende seiner poetischen Performances gelang es ihm die Scham und Scheu vor dem Auftritt zu überwinden. Hier läuft er letztmalig zu großer Form auf. Weder in der Malerei noch in Poesie und Musik ist „Lebendigkeit“ eine Voraussetzung für unser Staunen, daher wollen diese Artisten als Künstler nicht bewundert, sondern in treusorgender Ironie betrachtet werden, ein Augenzwinkern ist nicht ausgeschlossen.
Wes das Herz voll ist, des geht der Mund über.
Matthäus 12,34
Der Lesende ist im Grunde immer ein Zuhörer. Er kann nicht ausweichen. Der Ton des Textes trifft ihn, eifersüchtig, obsessiv, unbarmherzig. Das Denken ist hier körperlich, jede Idee muss durch Fleisch und Blut. Vieles führt die Sprache ganz allein weiter, wenn man sie läßt. Für diese Artisten ist das Künstlerbuch Prægnarien eine Partitur, die es in Konzerten der Sprache aufzuführen gilt. In der künstlerischen Auseinandersetzung treffen sich Bracht, Hieronymus und Weigoni regelmäßig an der Grenzlinie, dort, wo Schrift in Zeichnung, und auch in Klang übergeht. Es geht bei dieser Performance um die Sehnsucht nach Körperlichkeit, sinnlicher Unmittelbarkeit. Der Ton der Posaune wird von Philipp Bracht mittels Anregung der natürlichen Resonanzen des Instruments durch Lippenschwingungen des Bläsers erzeugt. Kein anderer Klang lebt so sehr vom Atem. Keine andere Musik verlangt ähnlichen körperlichen Einsatz. Bläser und Angeblasene verschmelzen zu einer Einheit, werden Teil eines großen atmenden Klangkörpers. Keine Maschinen, sondern allein die Lungenzüge und der „Stimmzug“ geben den Rhythmus vor. Ein. Und aus. Und wieder von vorn.
Diese Texte muss man akustisch aufnehmen. Weigoni liest sehr gekonnt und in solch einem gut langsamen Tempo, dass ich mich dabei ertappt habe, in den Zwischenräumen das nächste Wort erraten zu wollen, was mir manchmal gelungen ist. So macht er wirklich neu auf Sprache aufmerksam.
Dr. Christiane Schlüter, Bücher-Wiki
Ergänzt wird die Live-Aufnahme des letzten Auftrits aus dem Theater im Bogen (Arnsberg) durch Hörspielereinen von Frank Michaelis und A.J. Weigoni. Es ist ein Wagnis vor dem Mikrofon zu bestehen, eine Gefahr zu meistern. Die Kunst gewinnt aus der Bedrohung etwas Neues, einen Überlebenston, dem man in Zuneigung verfallen kann, weil er sich weder für die Tragödie noch für die Komödie entscheidet. Den aggressiven Bezichtigungston sollte man auf keinen Fall mit der zärtlichen Verzweiflungklarsicht zu verwechseln. Weigoni und Michaelis veranstalten ein furioses Stimmenkonzert aus Reimen und Kalauern, den Tücken der deutschen Grammatik und ihren Wortzusammensetzungen. Es gibt in diesen Gedichten Buchstaben als etwas Hörbares. Weigoni ist ein exzeptioneller Lyriker und Performance-Künstler, im Sprechen liefert er seinen Existenzbeweis, das Sprechen und Schreiben, jener hochmusikalische Rhythmus der Wiederholung wird zum einzig möglichen Aufschub gegen den Tod.
Man kann diesen Artisten beim Durchdenken und Durchdringen der Worte auf der Bühne zuhören.
Diese Gedichte sind von bestechender Rhythmik und gezielt eingesetzter Lautlichkeit, schön auch in ihrer eigenwilligen Bildsprache und den intellektuellen Verknüpfungen. Hier trifft Eigenwilligkeit auf Eigenständigkeit und Eigensinnigkeit. „Beinahe verschwörerisch rezitiert Weigoni seine Wortfelder und Frank Michaelis bläst ein Saxophon, dessen bewußt blecherne Schwüle leicht eine ganze New Yorker U-Bahn-Station unterhalten könnte“, stand nach einer poetischen Performance auf der Minipressemmesse in einer Mainzer Zeitung zu lesen. Keinen Millimeter Abstand hat Michaelis zum Text halten müssen. Nichts hat er verschludert. Selbst die Atemlosigkeit nicht. Michaelis Hommage an Thelonious Monks Well you need’nt ist ein Resümee, das in der eleganten und weitläufigen Stimmführung Weigonis paradoxerweise nicht wie Resignation, sondern als ideales psychisches Gleichgewicht daherkommt. Weigoni liefert den Beweis, wie klug das Textverstehen einer poetischen Performance sein kann. Wir Zuhörer sind geradezu angewiesen auf jemanden, der gekonnt rezitiert. Man kann es nicht genügend würdigen, in Düsseldorf arbeiteten Weigoni und Michaelis im Kunstakademie-Umfeld als Hörbuchpioniere, sie produzierten sogenannte LiteraturClips zu einer Zeit, als Marketingspezialisten den Claim Hörbuch noch nicht einmal erfunden hatten. Überlassen wir das Schlußwort der vom Netz gegangenen Lyrikwelt.de:
„A.J. Weigoni kommt damit das Verdienst zu, die Lyrik nach 400 Jahren babylonischer Gefangenschaft aus dem Buch befreit zu haben.“
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Prægnarien, Künstlerbuch von Haimo Hieronymus und A.J. Weigoni, erhältlich über Werkstattgelerie Der Bogen, 0173 7276421
Prægnarien, Hörbuch von Philipp Bracht, Frank Michaelis und A.J. Weigoni. Eine limitierte Auflage von 50 Exemplaren ist versehen mit einem Original von Haimo Hieronymus. Edition Das Labor, Mühleim an der Ruhr 2013
Regalien – Was uns verbindet, ist das Papier –
Vernissage: 15. Januar 2012, 17.00 Uhr
Einführung: J.C. Albers
+ eine poetische Performance von Phillip Bracht & A.J. Weigoni
Künstlerbücher und Arbeiten aus dem Umfeld von
Pia Bohr, Almuth Hickl, Haimo Hieronymus, Karl-Heinz Hosse, Birgit Jensen, Stephanie Neuhaus, Ulrich Johannes Müller, Florian Müller, Yanic Roßmann und Denise Steger
Dauer der Ausstellung: 16.01 – 04.02. 2012
Werkstattgalerie DER BOGEN | Möhnestraße 59 | 59755 Arnsberg-Neheim