Zuerst eine Verwirrung: Was hat der Titel des Buches mit den Gedichten zu tun? In Synke Köhlers Lyrikdebüt »waldoffen« stehen wir nicht im Wald, sondern fast ausnahmslos an Gewässern, wie schon die Kapitelüberschriften »Strandläufer« oder »Grenze im Fluß« suggerieren. Die Autorin beschreibt uns den Horizont über dem Meer, Fische, Muscheln und Strände, lädt uns ein zu poetischen Bootstouren. Ihre Zeilen sind ganz leicht dabei, »durch die grünen Flaschen betrachtet // wirkt das Leben hier sehr grün«, und schon möchte man der Autorin ihr eigenes Gedicht vorhalten: »es bleibt kein Eindruck // nicht mal im Sand«. Doch das wäre nicht richtig. Zugegeben, auf den ersten Blick wirken die ungestörten sonnigen Nachmittage weichgezeichnet und kantenlos, und manchmal sind sie das auch. Wozu soll man da mitkommen, wenn doch nichts Besonderes wartet außer Landschaftsbeschau und die Suche nach Surfern in den Wellen? Doch bei genauer Betrachtung werden einige trügerische Idyllen sichtbar: Der Himmel ist nicht blau, sondern »gestochen blau«, Fischer gar nicht erst vorhanden, der Tang modert, und »bemängelt wird das fehlende Flimmern der Luft«. Diese Beobachtungen sind eine Einladung zu intensiver Lektüre, der Spaziergang zum »Strand mit den sandigen // Zungen« scheint interessant zu werden. Erst einmal in das feinmaschige und unprätentiöse Netz der Autorin getappt, bleiben selbst die Umkreisungen zwischenmenschlicher Beziehungen nachvollziehbar, was Köhlers schräger und zugleich sensibler Wahrnehmung zu verdanken ist: »schau dir die Verwesung an // das Meer weckt falsche Erwartungen // (…) wahrscheinlich hat das Meer uns // nie gemeint«.
Köhlers Gedichte sind leicht und salzig, leise und laut genug, um nicht unterzugehen. Ein Teil des Bandes verspricht etwas und kann es halten: Weil die Gedichte nicht nach Aufmerksamkeit heischen, weil die Wortsetzung genau ist und Bildentwürfe aus mehreren Schichten bestehen, die es zu entdecken gilt – sofern man sich Zeit nimmt fürs Muschelsuchen. Dann formt sich Köhlers poetische Wirklichkeit zu einem feinen Rauschen, wird ein ganz eigener, ruhiger und zugleich kräftiger Puls, der durch die Seiten schlägt. Der Puls verläßt das Buch nie ganz, flackert immer wieder auf, doch er verebbt auch oft: immer dann, wenn die besondere Welt zugunsten ausgetretener und wenig abenteuerlicher Dünenpfade verlassen wird. Dann kann es auch passieren, daß das eine oder andere Gedicht schlicht belanglos ist. Ein »rock konzert« wird bevölkert von Teeniemädchen, die selbstverständlich Pickel haben und Menstruation, alles sehr vorhersehbar und das »Portrait mit Dorfkirche« will wohl irgendwie kritisch sein, liefert dann aber wenig, sondern errichtet nur eine Kirche, die »im neuen Design« dasteht, immerhin noch »mit verspiegelten Gläsern«. Weiter geht es zum Tennisplatz, auf dem man natürlich »immer in bewegung« bleibt und die weißen Tennisröckchen »innerhalb der single lines« wehen, was auch sonst. Und wozu? Auf in den Wald zum Muschelsuchen! Die langweiligen Muscheln bleiben liegen, die interessanten kommen ins Körbchen. Bis dieses voll ist, dauert es länger, aber es lohnt sich.