Eva Kurowski läßt den Ruhr-ge-Beat swingen

Ähnlich wie bei »The Life and Opinions of Tristram Shandy, Gentleman« von Laurence Sterne, beginnt die Geschichte von Eva Kurowski vor der Geburt: „Es begann damit, daß mein Vater, der ein begeisterter Trompeter, Marxist und Grafiker war, einen Samenerguß hatte, und zwar in meiner Mutter.“ Frei von der Leber weg berichtet die ‚Disöse’ Eva Kurowski in Gott schmiert keine Stullen über eine ‚sozialistische Kindheit im Ruhrgebiet’. Die Autorin ist eine ironische Realistin, sie schreibt einen biographischen Text, der alle Nuancen der Welt- und Ich-Erfahrung aufnimmt und in Sprachklang umsetzt. Ihr Buch liest sich wie ein über Jahre gereiftes Initiationsbuch einer Autorin, die darin ihre Berufung zur Schrift schildert. Indem sie ihre Leser auf falsche Fährten lockt, führt sie sie auf die richtige Spur.

Eva Kurowski ist eine Kartographin des Ruhrgebiets, das sie so detailgetreu nachzeichnet, daß das Abbild mit der Wirklichkeit deckungsgleich wird, um alsbald in dieser zu zerfallen. Gott schmiert keine Stullen besteht aus Simulakren, aus quasi parodistischen Nachahmungen des wirklichen Lebens, wir treffen Edelkurt, Jerko, Fasia und Helge Schneider, also lebensechte Menschen aus der Region. Bei dieser sozialistischen Kindheit im Ruhrgebiet ist niemand gleichgeschaltet. Jeder lebt sein Drama, jeder ein anderes. Eva Kurowski weiß es, und sie gestaltet diese Dramen ebenso gewaltig wie zart. Ihre halluzinativ genaue Wiedergabe von Geringfügigkeiten, in deren Verkettung ein Ort und eine Zeit decodierbar werden, macht sie zur Post-Pop-Autorin, einer Heimatdichterin fern aller Folklore und eine Reiseschriftstellerin im eigenen Hinterhof. „Im Hinterhalt des Alltags sind wir verlorene Kinder“, scheint es immer wieder aus dem Subtext von »Gott schmiert keine Stullen« zu raunen. Doch haben einige die Chance, das Ganze selbstbestimmter zu bestehen.

Die Proletendiva aus Oberhausen ist eine Art Astrud Gilberto des Indiepops, stets etwas feinsinnig und mit einem feinen Hang zur Melancholie. Und auch immer etwas spröde. Was bei ihrer CD Reich ohne Geld an lächelnder Schwermut antönt, findet sich auf knapp 200 Seiten in Gott schmiert keine Stullen, ihre eigentliche Kunst bleibt ganz an der Oberfläche, fast hält sie die Firnis, die unmittelbarste, epidermische Wirklichkeit fest. Eva Kurowskis Menschenporträts, von Erörterungen der eigenen Zerrissenheit durchwirkt, verdichten sich zum Sittengemälde des Ruhr-ge-Beats. Ihre kompositorische Wurstigkeit macht sie mit Ansätzen zur Konzeptkünstlerin avant la lettre wett. Das entfesselte Wort wird in »Gott schmiert keine Stullen«  zu einem erstaunlichem Buch: Es kommt unangestrengt daher, entfaltet seine Lebensklugheit ohne Belehrsamkeit und erweist sich überdies als großes Lesevergnügen.

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Ruhrgebeat im LCD

6. März 2012, Einlass: 20.00 Uhr, Beginn. 20.30 Uhr.

mit Ludmillus, Haimo Hieronymus und Eva Kurowski (begleitet durch Hartmut Kracht).

im (LCD) im Salon des Amateurs, Grabbeplatz 4, Düsseldorf

Gefördert von der Kunststiftung NRW e.V.

Moderation: A.J. Weigoni