„Liebevolles Verstehen“ möchte man diesem Eigenbrödler gerne unterstellen, doch Herr Nipp würde unwirsch abwinken. Das absichtlose Herumstromern in den eigenen Befindlichkeiten und den Bequemlichkeiten der Anderen ist im Prinzip ein Akt fortgesetzter Selbstvergewisserung. Mit Luhmann’scher Akribie betreibt Hieronymus eine Art von Mikro-Ethnologie, er fügt anschließend die Satz- und Wahrnehmungssplitter in »Die Angst perfekter Schwiegersöhne« zu etwas zusammen, das entfernt einem Handlungsablauf ähnelt. Sich dem Jetzt aussetzend, ohne die dahinter liegende Geschichte zu vergessen.
Einer Welt gegenüberstehend, die nicht immer verständlich ist, einer Gesellschaft angehörig, die gebrochen erscheint. Kommentierend und hadernd, reflektierend und feixend geht Hieronymus daran in »Die Angst perfekter Schwiegersöhne« diese Welt zu erschließen, versucht er sie zu hinterfragen und zu verstehen. Streut dabei fast schon natürlich Salz in die Wunden und lächelt uns dabei freundlich zu, als könne er keiner Fliege etwas tun. Früher hat Hieronymus die Strukturen der Natur untersucht, über zehn Jahre lang versuchte er die Beziehungen und Fraktale zu verstehen, seit einigen Jahren geht es ihm um die Strukturen der Gesellschaft und auch hier arbeitet er gewissenhaft, geht auch kleinen Verästelungen, geht den Beziehungen zwischen Menschen und ihren kleinen Sorgen nach. Kommentiert mit spontanen Texten, Fragmenten und Wörtern. Zunächst ist diese Prosa ästhetisches Erlebnis, dann sickert langsam ein Erkennen ein. Die Geschichten von Herrn Nipp wollen nichts erzwingen, sie verführen uns zum Denken.
Hieronymus treibt in »Die Angst perfekter Schwiegersöhne« ein vertracktes Spiel. Zwischen Selbst-Befragung und schwarzen Sarkasmus entlarvt er das äußere Bild als Schema, die Oberfläche der Haut als verletzbare Hülle des Eigentlichen. Schreibend sucht er nach den gesetzten Normen und weiß, daß man sie nicht überschreiten muss, um Grenzgänger zu werden. Herr Nipp sucht in einer entgrenzten Welt Grenzen in sich. Es bleibt eine Vorstellung, die betreten werden kann. Man kann diesen Raum durchschreiten, die Welt da draußen vergessen, sich einfach auf die Situation einlassen, mit eigenen Bildern, den Gerüchen und dem leicht gedämpften Klang der Außen- und Innenwelt. Im Zeitalter der kulturellen Globalisierung und Traditionsverschiebungen bleibt der Mensch als strauchelndes Wesen auf den Straßen der Zivilisationen zurück und sucht nach den Bruchstücken seiner selbst. Der allseits flexible Mensch des 21. Jahrhunderts in seiner Geworfenheit ist das Thema von Hieronymus.
Der Band mit den Erzählungen »Die Angst perfekter Schwiegersöhne« ist kein Künstlerbuch. Was aber, wenn plötzlich Originalholzschnitte auf dem Deckblatt der Vorzugsausgabe zu finden sind?
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6. März 2012, Einlass: 20.00 Uhr, Beginn. 20.30 Uhr.
mit Ludmillus, Haimo Hieronymus und Eva Kurowski (begleitet durch Hartmut Kracht).
im (LCD) im Salon des Amateurs, Grabbeplatz 4, Düsseldorf
Gefördert von der Kunststiftung NRW e.V.
Moderation: A.J. Weigoni
Zu einem begehrten Sammlerstück hat sich die Totholzausgabe von Herrn Nipps Die Angst perfekter Schwiegersöhne entwickelt. Zudem belegt sein Taschenbuch Unerhörte Möglichkeiten, daß man keinen Falken mehr verzehren muss, um novellistisch tätig zu sein. Herr Nipp dampft die Gattung der Novelle konsequent zu Twitteratur ein. Und außerdem präsentiert Haimo Hieronymus ab 2017 Über Heblichkeiten, Floskeln und andere Ausrutscher aus den Notizbüchern des Herrn Nipp.