Deutschland liefert U-Boote an Israel, die dem Land einen atomaren Rückschlag erlauben, wenn es selbst atomar angegriffen wird. Dagegen veröffentlicht Günter Grass gleichzeitig in der SZ, der New York Times, El Pais und La Reppubblica etwas, daß er Gedicht nennt. Ein Auszug daraus:
(…) Warum sage ich jetzt erst,
gealtert und mit letzter Tinte:
Die Atommacht Israel gefährdet
den ohnehin brüchigen Weltfrieden?
Weil gesagt werden muß,
was schon morgen zu spät sein könnte;
auch weil wir – als Deutsche belastet genug –
Zulieferer eines Verbrechens werden könnten
das voraussehbar ist (…)
Für Henryk Broder ist Grass‘ in der WELT zu Versen arrangierte Flugblattprosa sehr wohl antisemitisch:
„Grass ist der Prototyp des gebildeten Antisemiten, der es mit den Juden gut meint. Von Schuld- und Schamgefühlen verfolgt und zugleich von dem Wunsch getrieben, Geschichte zu verrechnen, tritt er nun an, den ‚Verursacher der erkennbaren Gefahr‘ zu entwaffnen.“
Die geistige Inkontinenz im lyrischen Feld ist nicht neu. In seinem Gedichtband »Dummer August« reitet Günter GraSS Attacken gegen die veröffentlichte Meinung. Er fertigt sein Publikum ab mit stammtischhaften, leicht paranoiden Klischees von einer verschworenen Presse, die Vernichtungskampagnen gegen ihn führe. In seiner Altersenilität ist dieser Gebißträger nicht in der Lage Lyrik und Abrechnung auseinander zu halten. Diese Gedichte inkarnieren so ziemlich alles, wogegen seit den 1960-er Jahren eine inspirierte Lyrik in Westdeutschland antrat: Gegen den Mißbrauch des Verses als Zeilenbrecher für poesieärmste Beobachtungsprosa, die Aufblähung eines mitteilungsarmen „Ich“ zur Repräsentanz–Monstranz, gegen die weitgehende Abwesenheit formaler Rafinessen, gegen Phantasiearmut, Banalitätshuberei und die Nobilitierung des Räsonnements im Gedicht. Erstaunlich ist es schon, daß jemand, der das Privileg besitzt, lebendig im Arbeitskontakt mit nachwachsenden Schriftstellern zu stehen und reflektiert genug sein dürfte, die Entwicklungen deutschsprachiger Lyrik zur Kenntnis zu nehmen, unbeirrbar einem poetologischen Ansatz folgt, dessen Anachronismus inzwischen grell zutage tritt. Indem er sich – scheinbar – nach Innen wendet und sein Innerstes nach außen kehrt, indem er nur noch als lyrische Empfindsamkeit auftritt, an der jeder Einwand, alle Kritik, jedes Argument zuschanden geht, will er einen Standpunkt über allen anderen einnehmen. In Gestalt seiner Gedichte soll die Kunst siegen, soll sie das letzte Wort gegen die Zeitungen haben. GraSS textet: „Nie zu spät wird, was war und ist, beim Namen genannt.“ Nur, daß es zu spät sei, hatte ja niemand behauptet. Alle fragten und fragen, warum so spät. Grass‘ Antwort ist auch nach einigem Nachdenken die gleiche geblieben: „Es dauerte, bis ich Wörter fand für das vernutzte Wort Scham.“ Er fand Wörter, sie verdeckten mit ihnen die Scham, sie klärten nicht über sie auf. Auf Reime verzichtet Günter Grass in diesem Buch, ob es sich bei seinen Versen hingegen um Gedichte handelt, ist eine andere Frage. Zu apologetisch, zu selbstgewiß, zu sehr auf die Rechtfertigung seiner selbst bedacht sind viele dieser Zeilen. Das politisch–moralische Terrain ist unwegsam; der Sinn für die Ambivalenzen von Erinnerung wird oft durch Urteilsfreudigkeit verbaut. Mit dieser, zu Zeilen gebrochenen Altherrenprosa ist GraSS längst aus der Welt gefallen.
Weiterführend →
Mehr dazu im Essay Verabschiedung der Gebißträger.