We have a grandios Saison gespielt.
Roman Weidenfeller
Endlich ein Interview mit einem Schriftsteller, in dem es um das wichtigste geht: Fußball. Ein Auszug aus dem sehr gelungenen Interview mit der ZEIT:
ZEIT ONLINE: Können Sie noch die ungarische Mannschaft von 1954?
Esterházy: Moment…. Grosics, Buzánszky, Lóránt, Lantos, Bozsik, Zakariás, Budai, Kocsis, Hidegkuti, Puskás, Czibor. So etwa. Und Sie?
ZEIT ONLINE: Deutschland, WM 90: Illgner, Berthold, Buchwald, Kohler, Augenthaler, Littbarski, Brehme, Völler, Häßler, Klinsmann, Matthäus.
Esterházy: Matthäus war ja mal ungarischer Trainer. Stilistisch absolut stimmig! Ein Bluffcoach für eine Bluffmannschaft.
ZEIT ONLINE: Was ist das Schönste, das man zum Fußball sagen kann?
Esterházy: Das Schönste ist natürlich das kaum zu verstehende, gebrüllte Tooooooooor! Aber ich habe ungarische Ohren und der schrecklichste Satz ist natürlich: „Rahn schießt, Tooooor!“ Das ist der schrecklichste Satz des Fußballs überhaupt. Und der Tiefpunkt der ungarischen Geschichte, gleich nach der russischen Invasion.
Falls die Beschreibung „Kaum jemand hat Literatur und Fußball so verbunden wie Sie.“ auf Peter Esterházy zutrifft, so sollte man im gleichen Atemzug auch den rheinisch/ungarischen Schriftsteller A.J. Weigoni nennen.
Soeben hat Weigoni seine Proletenoperette »Tore : Punkte = Meisterschaft«, festiggestellt. Das Stück beschreibt eine Woche des fiktiven Vereins Borussia; die authentische Geheimsprache des Fussballs in einer abgeschirmten Welt. Und – was wir schon immer ahnten – die wahren Kulissenschieberinnen sind Frauen, die den Männern ihr Spielzeug grosszügig belassen, damit sie ihren Spieltrieb ausleben können. Das Stück ist keine Komödie; es muss mit vollem Ernst gespielt werden, um das Lächerliche dieser Tragödie darzustellen. Das Geschehen sollte nicht auf einer zentralen Bühne spielen, sondern an unterschiedlichen Spielstätten im Raum, mitten im Publikum. Die Gänge der Schauspieler sollten die Wege sein, die das Publikum auch nimmt. Das „Vereinsheim“ sollte in der Halbzeitpause auch das Café für das Publikum sein.
Wie es auch bei Interview mit Esterházy anklingt, befindet sich diese traditionelle Sportart im Medienzeitalter einer Transformation. Der Sieg von heute gilt fast schon als Nachricht von gestern. Es zählt, was morgen auf der Tagesordnung steht. Pause machen nur Verlierer. Gewinner kennen nur die Verlängerung. Was zählt, ist längst nicht mehr das Fussball–Spiel, was sich rechnet ist der zählbare Erfolg.
Erfolg fehlt dem Verein Borussia, den Weigoni »Tore : Punkte = Meisterschaft« beschreibt, nach einem missglückten Saisonstart, und schon stellt sich ein unsichtbares Ritual ein: Krisenmanager sind im Vorstand gefragt. Viele Köche suchen nach einem Erfolgsrezept und probieren alte Mittel aus: Ein überraschender Transfer liegt in der Luft. Die passende Gelegenheit wird genutzt, um einen erfolglosen Trainer als Entwicklungshelfer in die Wüste zu schicken. Ein ehrgeiziger Altstar blüht nach einem Kreuzbandriss wieder auf. Der bisexuelle Jungstar findet nach seinem Coming–out aus der Formkrise. Und nicht zuletzt: ein neuer Trainer bringt frischen Wind mit alten Tugenden, um über den Kampf wieder zurück ins Spiel zu kommen…
***
Vertreten wird »Tore : Punkte = Meisterschaft« durch den adspecta-Theaterverlag. Ob es zu EM 2012 zur Aufführung gelangt, war nach Redaktionsschluß noch nicht zu erfahren, wir rechnen fest mit einer Aufführung zur WM 2014.