Gedanken, die um Ecken biegen

Dank des Kurznachrichtendienstes Twitter ist der Aphorismus in Form des Mikroblogging eine auflebende Form. Bestand die Modernität des Aphorismus bisher in seiner Operativität, so entspricht diese literarische Form im Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit der Denkgenauigkeit der Spätmoderne. Es ist sozusagen Twitteratur.

Holger Benkels »Gedanken, die um Ecken biegen« gehen jedoch weiter als der geschriebene Text; sie sind kein Ende, sondern ein Anfang. Sie versuchen, diesen kleinen Rest an Sprache etwas aufzuhellen, und wagen es seine Ränder verstehbar zu machen. Benkels Aphorismen folgen keinem linearen und systemischen Denken, sie entfalten sich vielmehr assoziativ und labyrinthisch.

Als gelernter Lyriker schreibt Benkel gleichsam in Zirkelbewegungen, auf die Momente zu, da etwas aufgeht. So lassen sich Aktivität und Passivität, Tun und Erleiden, Begreifen und Ergriffen–Werden kaum unterscheiden. Es sind Augenblicke, in denen Probleme gelöst, Überzeugungen gebildet und Einsichten gewonnen werden – mentale oder auch seelische Ereignisse, in denen sich nicht nur das Denken, sondern auch das Leben ändern kann. Einige von Benkels »Gedanken, die im Ecken biegen« haben Konsequenzen nicht allein für das Leben und Denken desjenigen, dem da etwas aufgeht.

Diese Aphorismen sind zugleich Ausdruck eines fast paradox anmutenden Verhältnisses zur Literatur: eher reflexiv, kritisch und distanziert und eben dadurch tiefergehend. Das literarisch Wertvolle daran ist, daß er das Spiel mit den Wörtern nicht als bloße Etüde betreibt. Vielmehr schimmert hinter all seinen Spracherkundungen ein existentieller Kern, das kleinstmögliche Ganze.

 

 

 

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Gedanken, die um Ecken biegen, Aphorismen von Holger Benkel, Edition Das Labor, Mülheim 2013

Weiterführend

In einem Kollegengespräch ergründeln Holger Benkel und A.J. Weigoni das Wesen der Poesie – und ihr allmähliches Verschwinden. Das erste Kollegengespräch zwischen Holger Benkel und Weigoni finden Sie hier.

kindheit und kadaver, Gedichte von Holger Benkel, mit Radierungen von Jens Eigner. Verlag Blaue Äpfel, Magdeburg 1995. Eine Rezension des ersten Gedichtbandes von Holger Benkel finden Sie hier.

meißelbrut, Gedichte von Holger Benkel, mit siebzehn Holzschnitten von Sabine Kunz und einem Nachwort von Volker Drube, Dr. Ziethen Verlag, Oschersleben 2009. Eine Rezension finden Sie hier.

Essays von Holger Benkel, Edition Das Labor 2014 – Einen Hinweis auf die in der Edition Das Labor erschienen Essays finden Sie hier. Auf KUNO porträtierte Holger Benkel die Brüder Grimm, Ulrich Bergmann, A.J. Weigoni, Uwe Albert, André Schinkel, Birgitt Lieberwirth und Sabine Kunz.