Die Kunst ist weiblich. Von der Gunst der Stunde.

Mehr begreift von einem Wesen, wer versteht, dass man dessen „Familienroman“ kennen muss, um sich in seine Eigen-ART einfühlen zu können. Das gilt auch für die kreative Handhabung, die Behandlungsweise bestimmter Materialien, schlicht Kunst genannt.

Besondere Geburtsumstände geben dem Wachsenden eine ebensolche Prägung. Wie die Kunst zum Künstler kommt, mag ebenso bedeutend sein wie die Einstellung von Eltern zur Ankunft ihres Kindes. Stellen wir uns also vor, dass Kunst an sich von einem „Paar“, wie etwa Anima und Animus erwartet wird. Diese beiden Persönlichkeiten -innere Einstellungen von Mann und Frau nach C. G. Jung – setzen das Kind Kunst in die Welt. Es kann vorkommen, dass diese Kunst aus einem Mangel heraus ersehnt wird, dass sie existentiell wichtig ist, wie Wunschkinder oft die Erweiterung der bisherigen Lebensform darstellen. Was kann das für eine Ausgangslage für solch ein Kind sein, für die Kunst bedeuten?

Die Gefahr der Überforderung als Lebensinhalt für seine „Eltern“ zu dienen, vergiftet zu sein im Gelebt werden anstatt selbst zu leben, wäre eine Eventualität, die an das Lebensbuch der Rapunzel aus dem Märchen der Gebrüder Grimm erinnert. In diesem Gleichnis sind etliche Suchende auf dem Weg, oder doch nur eine/r in verteilten Rollen?

Jedenfalls gibt es da ein Elternpaar, das ihre Tochter aufgrund der unstillbaren Gier der Mutter und der Hilflosigkeit des Vaters an eine Frau Gothel, eine Zauberin, verlieren, die das Mädchen in einen Turm sperrt, der nur über ihr langes Haar betreten werden konnte. Selbst der rettende Königssohn ist zunächst blind vor Schreck als er nach Rapunzels Verstoßung aus dem Turm in die unbekannte Wüste die Große Alte vor sich hat anstatt des jungen begehrlichen Fleisches und muss sich auf  beschwerliche Nachforschung begeben. Soweit für die Leser und Leserinnen, die auch heuer, zweihundert Jahre nach der Erscheinung der Erstausgabe das Märchen noch nicht kennen.

Doch wenden wir uns zunächst vom  märchenhaften worst case zum Idealfall. Welche Vor-Bilder wird das Lebensskript der Kunst erwarten, um ausgewogene Anteile an weiblichen und männlichen Reisebildern des Lebens für ein eigenes Drehbuch zu verinnerlichen? Im Fall des Künstlers Andreas Roseneder begann die Regie in der Familie, in Begleitung des Vaters, einem passionierten Reisenden. Er aquarellierte seine frühen Eindrücke die zu späteren Leitbildern wurden auf dem Weg in die Wiener Kunstakademie. Komplexe Kreuzungen, schicksalhafte Fürsorge: Andreas Roseneder mit Aquarellen aus der Türkei in seiner Mappe und Anton Lehmden auf der Rückkehr aus dem Goetheinstitut aus Istanbul.

Anton Lehmden seinerseits war Schüler bei Albert Paris Güthersloh gewesen, dessen „Turm-Atelier“ als Geburtsstätte der „Wiener Schule des Phantastischen Realismus“ gilt zu deren Vertretern der akademische Lehrvater Roseneders gehört. Ein besonderer Turm spielt auch im Leben der Kunst von Andreas Roseneder eine Rolle. Im Kontrollturm des stillgelegten Flugplatzes in Trausdorf (nahe Eisenstadt, Burgenland, Ö) erfährt diese von 1997 bis 2005 nicht nur umtriebiges Schaffen oder Stille – prosaische Erscheinungen der pannonischen Umgebung  in der sich selbst der Künstler in Verschmelzungsgedanken mit der Natur fragte, wozu noch malen, – sie erfährt auf der exponierten Lage des Turmes auf der Kuppe der letzten alpinen Hochebene vor der ungarische Tiefebene neben bespielten Kunsttagen auch einen Tag der Offenen Tür von dessen Idee die burgenländische Kulturpolitik derart beeindruckt war, dass dort eine Pressekonferenz abgehalten wurde (Mai 1998).

Die Türen wurden verhangen und der  weiße Bau aus der Nachkriegszeit, ein Oktagon, in einen schwarzen Kubus verwandelt, ein paradoxer Hinweis auf die Offenheit der übrigen 364 Tage der Nutzung und Bestimmung des Ortes ebenso wie auf die Möglichkeit der undurchschaubaren Seite des Gebäudes. Dieser nach außen sichtbaren Rauminstallation folgte im Jahr 2001 eine zweite größere, eine  innere, „Der Fundus“ genannt. Andreas Roseneder räumte zu diesem Zweck sämtliche Regale und Lagerhallen im Flugsicherungsturm aus, um die Decken und Wände (und teils auch Böden) der Räume mit den Zeugen seines Schaffens „auszupflastern“, um einen Einblick in sein Gesamtwerk von 1971 bis 2001 zu geben. Ein Vorläufer-Modell für die Rauminstallation „Limited Art Project (2012)“ von Yan Lei auf der derzeitigen documenta (13) in Kassel , das einfach aus hunderten Bildern dieses Künstlers besteht?

Nur in Bruchstücken. Andreas Roseneder verlässt nämlich immer wieder die traditionellen Möglichkeiten der Malerei. So haben seine Aquarelle nicht nur skizzenhafte Wirkung und zeugen vom Umgang mit leichter Hand, sie lassen einen verschwenderischen Umgang mit der Farbe nachempfinden und haben eine Tiefenleuchtkraft die mit klassischen Vertretern der Ölmalerei wie etwa Paul Gauguin oder Claude Monet durchaus mithalten können. Derart intensiv entlockte er diesem Malmedium dessen Geheimnisse und reizte dessen Grenzen aus.

Andreas Roseneder dokumentierte auch die Entstehung seiner Bilder in Rauminstallationen wie etwa „the painter dancer“ (1999), in der moderner Ausdruckstanz das Festhalten der malerischen Bewegungen körperlich miterfahrbar macht, ein dreidimensionales Spannungsfeld als eine Bühne für seine Kunst, die sich durch derartige Entfaltungsvorgänge aus dem Turm, dem Motiv für Isolation und Abgeschiedenheit und magischem Symbol für eine zu überwindende Epoche, hinaus entwickeln musste.

Das Aufgreifen des Turmmotives als Schlüsselfunktion für die Kunst drängte sich mir intuitiv beim Lesen der Biographie des Künstlers auf. Ebenso wie meine These der Weiblichkeit von Kunst. Letztere wird mit dem Bildtitel zu einem Selbstporträt Andreas Roseneders 1986 „Sie ist in mir & ich in ihr“ an der Oberfläche dieser Aussage sogar bestätigt. Die Kunst, die analog der Märchenfigur von Rapunzel als eine Art weiblicher Seelenanteil interpretiert werden kann, muss frei werden für das Aushalten von zeitweiser Wüste um nach dieser Prüfung erlöst zu sein für die eigentliche Lebensaufgabe, die Überwindung der Trennung vom Königssohn.

Wenn wir tiefer in die Frage nach der Weiblichkeit an sich, der Frage nach der Kunst als weibliche Vorstellung fragten, müssten wir uns auch den unbekannteren Seiten, den Schattenseiten stellen, wie sie schon in der „Verdunklung“ des Turms am Tag der Offenen Türe anklang. Was wäre denn ein Bild, eine Malerei, ja ein Leben, eine Frau, die Kunst ohne Schatten?

Beim Betrachten der Frage spielen Türme  auch heute, etliche Jahre nach dem Aufgeben des Ateliers im Flugsicherungsturm für Andreas Roseneder eine große Rolle. In einer seiner derzeitigen Arbeiten, dem  Projekt 1001 – Lavender Cosmos, ist er mit den Schattenwürfen von vier Türmen beschäftigt. In einer Pflanz(en)installation von fünfhundert Lavendelbüschen auf dem Campus des Cosmopolitischen Gartens Burgenlands (Eisenstadt, Ö), in der ein Dutzend violettfarbene „Patches“, seine Kunstblüten-Skulpturen aus Polymer malerisch eingebettet sind, zeichnet er die dahinter liegende Industrie weich. Die feinsinnige Kunst der Abstimmung von Farben, Formen und Gerüchen, der durchdachte kommunikative Austausch auf nonverbaler Ebene kommt nicht nur den tiefen frühen Einstimmungen einer weiblichen Person gleich, welche die Umgebung für ihr Kind intuitiv aufnimmt und modifiziert. Das Setzen der Pflanzen erinnert auch an die Wiederherstellung des Gartens der Zauberin, der Gothel von Rapunzel, die über den Diebstahl ihrer Wurzeln vom Kindsvater für seine schwangere Frau sehr erzürnt war und deshalb das Mädchen in ihren Machtbereich entführte. In der Verbannung in die Wüste nach dem Entkommen aus dem Turm, in die anarchische Urmutter allen Lebens, geht es ums nackte Überleben, in dem die Naturgesetze herrschen.

„Die Installation 1001- LAVENDER KOSMOS wird die Wechselwirkungen zwischen menschlichen Anstrengungen und den Kräften der Natur im Laufe der Jahreszeiten& jeweiligen Witterungen anzeigen“ schreibt Andreas Roseneder selbst zu seinem Projekt und lässt mit dieser Aussage als „Königssohn“ erkennen, dass ihn im Angesicht der Frau „Zauberin“, welche die Gegensätze  von Geburt und Tod versinnbildlicht, die im Erdhaft- Dunklen die Stärkere ist, nicht schaudert, dass er die notwendigen Tabubrüche im Kampf mit den Schattenseiten der Herausforderungen angenommen und handhaben gelernt hat.

Der gärtnerisch-künstlerische Wagemut auf einem Brachland mit der Einladung zur Gestaltung in Eigeninitiative mit Händen, die die Erde begreifen und wässern, und solchen die die Pflanzenreihen so setzten, dass sie aus der Entfernung wie Pinselstriche erscheinen, kommen dem äußeren Arbeiten in der Welt ebenso wie dem inneren Arbeiten – Reflektieren und Denken wie wir unsere Qualität des Wahrnehmens und vor allem unseres Miteinanders verändern oder verfeinern können – nach. Diese Kunst entspricht der Idee der Sozialen Plastik nach Joseph Beuys, die demnächst (18. – 21. Juni 2012) auf dem gleichen Campusgelände als Soziale Plastik-Bodenseminar „von ganz unten“ von Hildegard Kurt aus Berlin aufgegriffen wird, sodass die Burgenländische Landeshauptstadt ähnlich Großstädten wie Berlin oder New York – Städte in denen der Künstler Andreas Roseneder u.a. mittels Aufenthalten künstlerische Erfahrungen gesammelt hatte – über dieses Urban Gardening zu einem ungeahnten Aufbruch kommen kann.

Rust never sleeps

Wenn der Wind umschlägt und Erbarmen mit den Arbeitern der weiterverarbeitenden Industrie hat, werden sie diese Kunst von Andreas Roseneder riechen können, den beruhigenden und reinigenden Duft des auch als Heilpflanze bekannten Lavendels. So wie ihn interessierte Betrachter des sinnlichen Landschaftsbildes einatmen können. Das Projekt-Landstück, das jederzeit betretbar ist, ein „grenzen.los“ in einem grenznahen Gebiet, verwandelt sich aus einem ungenutzten Land in einen blühenden Garten, in dem die Beheimatung von Polyethylen ebenso wie die Umwandlung einer Schattensituation in eine Entwicklungsgeschichte einer ganzen Region Thema ist. Das menschliche Urbedürfnis, sich die Natur zu erhalten aber auch urban zu machen,  wird nicht nur berücksichtigt, sondern sichtbar im Sinne von „bewusst gemacht“. Welche Kunst hat derart viele Komponenten?

Und wer hätte nicht gerne eine Verabredung mit so einem Weib?

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Redaktionelle Ergänzung:

Andreas Roseneder ist auch bei folgendem Projekt vertreten:

»Rheintor, Linz – Anno Domini 2011«, Edition Das Labor 2011. – Limitierte und handsignierte Auflage von 100 Exemplaren. – Dem Exemplar 1 – 50 liegt ein Holzschnitt von Haimo Hieronymus bei. – Erhältlich über: info@tonstudio-an-der-ruhr.de