Kulturpessimisten versprechen uns, dass durch das digitale Zeitalter letztlich die Informationen selbst zu ihrem Ende gelangen, entweder weil sie durch einen immensen Sonnensturm gänzlich, schnell und effektiv gelöscht werden (Ja, auch die Backups), oder weil die Datenformate einerseits, die Datenträger andererseits in Zukunft mit nichts mehr kompatibel sind. Die Optimisten verweisen darauf, dass lediglich ein Teil der letzten 40 Jahre der Löschung anheim fiele, was erstens nicht tragisch sei, da der Großteil sämtlicher Dateien an sich schon Müll darstellt, zweitens könne davon ausgegangen werden, das die ganz wichtigen Dateien auch heute noch irgendwo in gedruckter Form vorliegen. Aber vielleicht haben wir ja auch Pech und die gerade gefundene Weltformel verschwindet auf Nimmerwiedersehen.
Aufgabe der Bibliotheken
Im Falle eines solchen massiven Sonnensturmes kann auf jeden Fall davon ausgegangen werden, das Bibliotheken ganz plötzlich zu neuen Machtzentren des Wissens wieder auferstehen würden. Dass die wissenden Mitarbeiter ganz eigene Möglichkeiten der Einflussnahme in Politik und Gesellschaft hätten. Unser geschaffenes Digital- und Datenwissen würde in einem solchen Falle keine Bedeutung mehr haben. Sämtliche Oberflächenbediener würden in den Abgrund der Arbeitslosigkeit rutschen – zumindest für einige Zeit.
Depression
Die Auswirkungen auf die Wirtschaft wären in dieser Situation gar nicht auszudenken. Ganze Branchen und Verzweigungen des Handels würden von einem Tag zum nächsten zusammenbrechen. Und wie bitte sollte ein Studierender dann seine Masterarbeit schreiben? Auf einer Schreibmaschine etwa, wie noch vor 25 Jahren? Auch viele Menschen wären ihres wichtigsten Zeitvertreibs beraubt, all die Youtubeglotzer, die Ebayseller und -Buyer, all die unglaublichen und sozialen Netzwerker, die Blogger und Anhänger von Tipps aus dem Netz. Ihnen würde es gehen wie der Weltwirtschaft um 1929, als alles in Hoffnungslosigkeit versank. Die Menschheit hätte sich eine der schlimmsten Krankheiten eingefangen, die es gibt, eine Depression.
Möglichkeiten und Aufgaben der Medien – und Datenarchäologie
Den zukünftigen Medien- und Datenarchäologen sei allerdings schon jetzt vorausschauend ans Herz gelegt, sich beizeiten eine stattliche Sammlung an Geräten zuzulegen. Damit auch in Zukunft Lochkarten, Datassetten, Floppies und Discs, Disketten und Sticks, Videotapes verschiedenster Formate (die bekanntesten noch VHS und Beta), Hörcasseten, Tonbänder und Schalplatten, die diversen Filmformate auf Silberscheiben und sonstigen optischen wie akustischen Systeme gelesen werden können – es wird schwieriger sein, als ein Buch aufzuschlagen, eine Schriftrolle zu entrollen. Dann reicht es nicht mehr, einige klassische Sprachen zu beherrschen, dann müssen weiterhin die Programmiersprachen bekannt sein, um die Realsprachen überhaupt entziffern zu können. Hieroglyphen waren gestern, morgen wird ganz neuer Stoff gefordert sein.
Glücklicherweise werden sich in Zukunft trotz aller Fährnisse überall Mengen an Daten finden lassen, denn was heute als Abfall in den Wäldern liegt, all die Kartons mit VHS- Cassetten, all die Kisten mit alten Disketten, wird in Zukunft wertvolle Antiquität sein. Was für uns heute Qumrams Schriftrollen sind, werden in Zukunft die CDs der Sauerlandwälder sein. Und wenn irgendein Archäologe dann zufälligerweise eine ganze Kiste mit Science-Fiction Filmen findet und diese als Realdokumente erkennt, dann werden die Menschen der Zuknuft wenigstens wissen, warum unsere Kultur untergegangen ist.
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Kassettentäter ist der Überbegriff für eine Vielzahl von Veröffentlichungen die Ende der 1970er und vor allem in den 1980er Jahren in Deutschland erschienen sind. Gemeinsam war den Veröffentlichungen der Tonträger Kassette. Lesen Sie dazu auch den einführenden Essay aus dem KUNO-Archiv.
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Weiterführend →
→ Laut Deutschlandfunk sind Tapes „Hipper als Vinyl“. Herr Nipp erhebt Einspruch, 1986 wurden zum ersten Mal mehr CDs als Schallplatten gekauft. Nun hat Vinyl die CD wieder überholt. Die Redaktion läßt nach diesem Pro auch ein Contra zu Wort kommen.