Natürlich hatte ich nicht genügend Geld, um mir die teuren Schallplatten zu kaufen. Die kosteten 24 Mark das Stück. Das hieß, einen Monat lang Zeitungen herumbringen. Glücklicherweise standen im Zimmer des großen Bruders eine Menge davon herum, nach und nach wurden diese ausgeliehen.
Musiksozialisation über die Gebrauchsresteverwertung.
Dabei waren einige Entdeckungen, die prägend für meinen Musikgeschmack der frühen achtziger Jahre sein sollten. Gerade vierzehn Jahre alt, die neue deutsche Welle abgeklungen, Grauzone und Fehlfarben hatten Spuren hinterlassen, natürlich auch die alberne Musik von UKW, Nena, Hubert Kah. Die Extrabreit, Ideal und Neonbabies kann man auch heute noch manchmal hören, die Nacht nur spät genug ist, auf Parties die letzten Gläser geleert werden, niemand mehr in der Lage ist, sich dagegen zu wehren und jeder mitgröhlt.
Ja, einige Wochen lang konnten die Tubular Bells von Mike Oldfield und zwei andere Platten aus einer Box Vergnügen bereiten. Wenn man sich nur tief genug unter die Bettdecke zurückzog, wenn man nur ein Buch bei sich hatte, das gelesen sein wollte, wenn man am besten einen ganzen Stapel da liegen hatte. Bücherberge, die abzuarbeiten waren. Irgendwann reichten die Melodien Oldfields nicht mehr, sie hinterließen ein eigenartiges Hungergefühl, einen schalen Geschmack, der Kopf wollte mehr, wollte die Stimmung gefasst sehen. Ein Freund lieh irgendwelche Hardrock und Heavy-Metall Musik, die aber irgendwie nichts erzeugte, nicht im Bauch, nicht zwischen den Schläfen. Auch einige siebziger Jahre Klassiker der Rockmusik wurden gehört, meist allerdings als nicht mehr verständlich verworfen, dann der geniale Lou Reed, ein Sound, der weiter in die Tiefe zog, die Gedanken kreisen ließ, das hatte nichts mit Sex zu tun, aber mit äußerster Verheißung. Diese Stimme eröffnete Welten zwischen Hoffnung und Hölle.
Am Ende der Plattenreihe: Entdeckungen für die Zukunft.
Später entdeckte ich ganz am Ende der Plattenreihe drei Vinyls, die mich nie wieder loslassen sollten, die mich bis heute begleiten, „Faith“ von The Cure, „Bela logusi´s dead“ von Bauhaus und letztlich „This charming man“ von The Smiths. Eine sogenannte Maxisingle. Alle paar Minuten musste man aufstehen und die Nadel auf das Neue aufsetzen. Irgendwann habe ich eine ganze Cassettenseite nur mit diesem Lied aufgenommen, auf der anderen Seite war das Lied von Bauhaus in der langen Version. So konnte man sich jeweils eine dreiviertel Stunde einem Gefühl hingeben und dabei lesen. Tatsächlich war meine erste eigene Platte gebraucht, Knistern inklusive, die Schmidtsscheibe habe ich dem Bruder abgekungelt, in harten Verhandlungen, die beiden anderen gingen irgendwann auch in meinen Besitz über. Diese Platten haben mich zwangsläufig zur Indiemusik der schtziger Jahre geführt, zu Nick Cave und den Bands von 4AD, von Creation, letztlich Rough Trade. Aber auch an der weichen Stimme von Susanne Vega konnte ich nicht mehr vorbei, natürlich waren da die Sugar Cubes mit Björks kieksiger Stimme. Plötzlich veränderte sich alles, mit Ravemusik, mit dem Triphop und den Grunchbands und trotzdem, der Rest ist geblieben. Und ein ganzes Jahr Lang habe ich ausschließlich die erste Platte von Blumfeld gehört, die leider irgendwann geklaut wurde. Jetzt liegt sie nur noch als CD vor. „Haben sie eigentlich auch normale Popmusik?“, wurde ich einmal gefragt. Das ist für mich die normale Popmusik, vielleicht nicht in allen Punkten massenkompatibel, aber viel gehört. Die letzte Platte, die ich vor einigen Wochen gekauft habe, auf einem Trödelmarkt, hat eher einen melancholischromantischen Wert, ein Rückblick. Eine LP von Biff Bang Pow.
Inzwischen stehen alle Platten im Atelier in meiner Sitzecke. Jeden Tag muss ich feststellen, dass einer von den jungen Künstlern, die bei mir arbeiten, die Sammlung genutzt hat, nach eigenen Entdeckungen sucht und immer wieder liegen die Platten von The Cure auf dem Teller. Neuerdings haben sie ein Lied von den Dreamwarriors entdeckt, das immer wieder gehört wird. Und einer von ihnen hat inzwischen selbst begonnen, echte Platten aus diesem seltsamen schwarzen Plastik zu sammeln. Dabei war dieser altbackenen Technologie doch schon der Todesstoß versetzt worden. Wenn ich mit einem guten Glas Wein im Atelier im Bogen sitze, vielleicht ist auch mein Freund Weigoni da, wahrscheinlicher aber Malte Schelp, Stephanie Neuhaus oder Yanic Roßmann, dann trinke ich den Wein von Paul Mas oder besser noch einen Lagrein dunkel vom Eberlehof zu dieser knisternden Musik, rauche eine selbst gedrehte Zigarette, es sei denn, der Ajott will gerade mal die Beach Boys hören, dazu schmecken Zigaretten nicht.
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