Meine erste Schallplatte war die erste Schallplatte meines Freundes, weil wir immer zusammen Musik hörten. Wir waren 10 Jahre alt und seit der Grundschule die dicksten Freunde, was teilweise zu Hänseleien führte — er ein Junge, ich ein Mädchen. Andi kam mitten in der 2. Klasse zu uns, weil seine Familie ins Dorf zog. Er fand nicht leicht Anschluss. Ich aber liebte ihn vom ersten Augenblick an. Er war jemand, der sich in den Pausen immer unter dem Tisch versteckte und die Ohren zuhielt, weil es so laut war. Das verstand ich gut. In der Schule war nur Lärm. Wir aber suchten MUSIK.
Das verstimmte Klavier meines Vaters, die zerkratzte Gitarre meiner Mutter, sämtliche Töpfe des Haushalts — das waren unsere Spielgeräte, zum Leidwesen unserer Eltern.
Auf dem Plattenspieler von Andis Eltern durften wir Beatles hören, oder Abba. Dass es eines Tages noch was neueres, fetzigeres geben sollte, damit hatten wir ja nicht gerechnet. Andi war Einzelkind und hörte in seinen einsamen Stunden Radio. Eines Tages schwärmte er von einer Gruppe namens The Police. In der Schule kannte die keiner, und alle lachten ihn aus und lästerten, hielten AC/DC oder KISS dagegen.
Von seinem Taschengeld kaufte er sich endlich seine erste Platte: Zenyattà Mondatta. Wir hörten sie zusammen. Das war UNSERE Platte, die Musik unserer Generation. Denn dass sich die Mehrheit so heftig darüber aufregte, bewies doch, dass hier eine Revolution der Musik im Gange war.
Wir konnten kein Wort Englisch, aber wir hatten eine Vorstellung von der Sprache und ihrer Bedeutung, die ja auch von der Musik transportiert wurde. Bald kannten wir die Platte auswendig mit unseren Phantasie-Englisch.
Ich war im Besitz eines Kassettenrecorders! Wir produzierten damit einen Remake der Platte und spielten noch ein paar eigene Titel ein. Andi natürlich als Andy Summers und ich als Steve Copeland. Denn keiner wollte dominieren und Band-Leader sein. Außerdem gefiel uns die eigensinnige Richtung von Summers besser als die von Sting.
Eins unserer Lieblingsstücke war: Man in a suitcase. Dass ’suitcase‘ Koffer heißt, wussten wir schon. Der Rest des Textes wurde von Sting allerdings für uns zu schnell und zu rhythmisch gesprochen. »Must I be« war für uns »Mister B«, klar: Mister B – der Mann im Koffer. Mit ihm identifizierten wir uns, wir waren die Mister Bs, die Außenseiter, wir waren Plan B, wir waren nicht die ersten in der Schule, wir saßen in der zweiten Reihe, wir waren nicht laut, außer mit unseren Instrumenten, die anderen trainierten für die A-Jugend, wir saßen in der Dachkammer und bastelten an unserem Traum.
Gegen Ende eines jeden Stückes verloren wir uns in wilden Soli, ganz egal, ob das im Original so war oder nicht. Und das machte immer am meisten Spaß: Die zu Anfang nachgeahmte Form zu verlassen und uns selbst auszudrücken.
Leider schickten mich meine Eltern bald auf eine andere Schule, nämlich die, an der auch mein älterer Bruder war. Ich weiß noch, dass Andis Mutter anrief und sagte: Das geht doch nicht.
Die neue Schule war furchbar anstregend, ich hatte kaum noch Zeit und dann war ich mit dieser blöden Pubertät beschäftigt.
Natürlich kann man so jemanden wie Andi nicht vergessen und ich hatte ja auch noch die Tonbänder, und als ich mich mal wieder mit Andi zu treffen traute und bei ihm anrief… war seine Familie wieder weggezogen – Mr. B im Koffer verschwunden.
Heute weiß ich, dass Andis Mutter damals recht hatte. Das ging wirklich nicht, uns auseinanderzureißen! (Mein jetziger Mann hat allerdings verdammte Ähnlichkeit mit Mister B). Doch diese Musik, diese Musik werde ich nie vergessen, weil die uns ins Leben katapultiert hat – We must be.
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